Ein Hoch auf die Möglichkeiten, die einem heutzutage zur Verfügung stehen. Schnee, Eis, Glätte hat Köln und das bergische Umland fest im Griff und trotzdem kann ein verabredetes Interview mit Ingo Knollmann ohne Probleme und Verzögerungen stattfinden. Wie das geht? Man trifft sich eben in einem virtuellen Telefonkonferenz-Raum und somit müssen beide Seiten das Haus gar nicht erst verlassen und den widrigen Bedingungen draußen trotzen. Der sympathische Sänger der Donots wird den ganzen Tag übrigens so verbringen um über das neue Album „Lauter Als Bomben“ - und noch ein bisschen mehr – zu sprechen, aber lest selbst...
Hallo, hier ist Ingo. Sag mal, ist das auch für Dich das erste Mal so ein Interview zu führen? Das findet für mich bis 20:30 Uhr jetzt auf diese Art statt. Ich habe hier zwei oder drei virtuelle Konferenzräume.
Ja, das ist auch für mich neu. Machst Du das denn jetzt von zu Hause?
Ja, direkt aus Köln. Ich habe noch den Nachwuchs in die Kita gebracht, war einkaufen und jetzt sitze ich hier. Seit ungefähr drei Jahren wohne ich nun schon in Köln. Wir haben natürlich trotzdem unsere Büro und unser Studio noch in Münster. Heute bin ich aber in Köln. Ich bin eben noch eine dreiviertel Stunde mit dem Hund durch den Regen gejoggt und seitdem quatsche ich mir die Lippen fusselig. Aber das ist alles völlig in Ordnung so, denn es macht mir gerade unglaublich viel Spaß über das neue Album zu sprechen.
Da hätte wir uns übrigens doch treffen können, ich komme nämlich aus Bergisch Gladbach.
(lacht). Das gibt´s doch nicht. Ich wohne in Deutz.
Mensch, das ist ja gar nicht so weit weg.
Das ist echt geil.
Und Du wohnst da schon immer oder was?
Jaja, ich wohne – im Gegensatz zu Dir – schon immer hier. Köln ist nur ein Steinwurf entfernt und trotzdem wohnen wir hier sehr ländlich.
Es gibt auch schlechtere Orte als Bergisch Gladbach, will ich meinen.
Auf jeden Fall.
Das freut mich jetzt umso mehr, dann quasi in die Nachbarschaft ein „Hallo! Hallo!“.
Hallo Ingo, noch mal vielen Dank für Deine Zeit. Nächstes Jahr steht ja euer neues Album „Lauter Als Bomben“ an. In gewisser Weise geht es damit ja zurück zu euren Wurzeln, weil die Platte bei eurem eigenen Label erscheint und ihr euch wahrscheinlich um viel mehr Dinge kümmern müsste, die ihr bei „Karacho“ noch in andere Hände abgegeben habt. War das eine bewusste Entscheidung von euch jetzt wieder alles Do-it-yourself zu machen?
Dieses DIY war, egal mit welchen Labels wir zusammengearbeitet haben, eigentlich immer da. Diesmal hängen wir was die Arbeit betrifft, viel mehr drin und natürlich auch was das Geld betrifft. Ich glaube aber, dass diese klassischen 80er und 90er Labelgeschichten auch vorbei sind. Und dann gibt es halt noch eine andere Seite der Medaille. Die letzte Platte kam beispielsweise bei der Universal raus. Es gibt dann halt so Punkte, wo wir dann mit der Rechteabteilung der Universal nicht so ganz d´accord sind. Wir sind eine Band, die sehr offen und sehr liberal ist. Ich habe nichts dagegen, wenn unsere Songs bei youtube sind oder wenn sich die Leute unser Album illegal downloaden, wenn sie dann immer noch unsere Konzertkarten kaufen. Das ist für mich völlig in Ordnung so. Mal ein Beispiel: als wir mit der „Karacho“ bei „Circus Halligalli“ aufgetreten sind, waren da Bela von den Ärzten, Vom von den Toten Hosen und Flo von den Sportfreunden Stiller mit dabei und wir sind dann eben mit drei zusätzlichen Schlagzeugern im Hintergrund da aufgetreten. Das war alles total spannend. Am nächsten Tag haben uns die Leute von „Circus Halligalli“ gefragt, ob sie das bei youtube veröffentlichen dürfen. Wir haben natürlich unbedingt gesagt. Die Rechteabteilung von Universal hat dann gesagt, dass die das aber nur gegen Bezahlung nutzen dürfen. Das sind so Sachen, weißte, die sind völlig Banane. Eine bessere Promo kann es ja nicht geben und die kommt ja auch dem Label zugute.
„Lauter Als Bomben“ ist euer zweites Album nacheinander in eurer Muttersprache. Habt ihr das im Vorfeld schon so festgelegt oder war das eine natürliche Entwicklung beim Schreiben?
Das war schon eine natürlich Entwicklung und wir waren natürlich unfassbar euphorisch, was die tollen Kritiken und Reaktionen auf „Karacho“ betraf. Genaugenommen würde ich gerne immer zweisprachig fahren. Das heißt, dass wir für Deutschland, Österreich und die Schweiz ein deutschsprachiges Album rausbringen und dass wir die gleiche Platte für die USA oder Japan auf englisch veröffentlichen. Das haben wir bei „Karacho“ auch schon so gemacht. Das möchten wir auch nicht missen wollen. „Lauter Als Bomben“ habe ich auch schon komplett übersetzt, aber noch keine Zeit gefunden das einzusingen.
Gab es im Vorfeld vielleicht Bedenken, weil es gerade ja eine Schwemme deutschsprachiger Musik mit diesen unverbindlichen poetischen Texten gibt?
(lacht) Ich weiß genau was Du meinst. In der Vergangenheit sind wir von unserem Label fast schon drangsaliert worden ein deutschsprachiges Album aufzunehmen. Und jetzt kriegt man vom Promoter aus dem Radiobereich zurückgekoppelt, dass dann Leute fast schon kein Bock mehr auf deutsche Musik haben. Also wie man es macht, ist es wahrscheinlich immer falsch oder antizyklisch. Aber ganz ehrlich, das ist auch egal. Wir machen das ja so um uns glücklich zu machen. Wir sind ja glücklicherweise eine Band, für die ist Radio oder Airplay eher ein Bonus. Es gibt ja da so komische, also so Leute - diese Deutschpoeten, die du da eben angesprochen hast – so ein Mark Forster, auf jeden Fall wenn der keinen Hit im Radio landet, dann kommt auch keiner zum Konzert. Bei uns ist das eben anders. Wenn wir nicht im Radio gespielt werden, ist das auch in Ordnung, denn die Leute kommen ja trotzdem zu den Konzerten. Wenn du zwanzig Jahre auf englisch textest, dann kennste dich ja eigentlich ganz gut. Man hat dann ja fast schon einen Weg gefunden irgendwie auf Autopilot zu schreiben. Das ist ja auch in Ordnung so, aber, ähm, die deutsche Sprache hat ja vielmehr Stolperfallen. Das kann ja ganz schnell peinlich oder belanglos werden. So Mainstreampop halt. Auf der „Karacho“ haben wir die ganze Zeit eigentlich nur gekotzt und gesagt 2nein, nein, nein. Das nicht und das nicht2. Und diese Platte jetzt sagt zwischendurch auch mal Ja und geht auch mal in eine andere Themenrichtung.
Was war denn zuerst da? Die Texte oder die Musik?
Ein ganz klares Ja für die Texte. Es war so, dass ich die Texte so nebenher geschrieben habe, also für mich. Die anderen Jungs haben die Songs dann mit Kurt Ebelhäuser im Studio erarbeitet und arrangiert und wenn der Song bzw. das Grundgerüst dann fertig war, habe ich mir den dann wieder gegeben und mir überlegt, was der Song denn jetzt eigentlich mit mir macht. Ich hatte dann die ganzen Texte da und dann habe ich überlegt, welcher Text wozu passen könnte. Im Grunde habe ich dann beides miteinander verwoben.
Musikalisch ist das Album – wie ich finde – extrem vielfältig...
(begeistert) Jajaja. Auf jeden Fall. Kurt Ebelhäuser hat dann gesagt, dass wir mit dem Selbstverständnis rangehen müssen, dass das alles seine Berechtigung hat. Natürlich haben die Leute eine Erwartungshaltung, aber für uns war das eher so das Gefühl, als wenn wir da ein Mixtape haben. Und man muss ja auch sagen, dass wir nicht perfekt genug spielen oder ich nicht perfekt genug singe. Wir sind ja gar nicht in der Lage andere Genres zu bedienen. Das klingt ja am Ende des Tages trotzdem nach den Donots. Das ist ja auch irgendwie schön. Für mich muss Musik, egal welches Genre, auch eine Spur scheiße bleiben. Naiv bleiben, damit das nicht so perfekt und geleckt ist. Das macht einen Song aus und was uns betrifft, will das auch nie etwas darstellen, was es nicht ist. Ich würde für uns nie in Anspruch nehmen, dass wir geile Musiker sind.
Kurt Ebelhäuser hat euch dann dahingehend auch unterstützt?
Total. Kurt kann sehr überzeugend sein. Wenn er überzeugt ist, dass es eine total geile Idee ist, aus dem dritten Stock zu springen, obwohl unten nur eine Markise gespannt ist, dann macht man das auch. Verstehste? Wir überlegen uns dann im freien Fall, wie wir dann unten landen werden. Es wird aber eben gemacht. So kommt es dann auch zu neuen Arrangements. Dann muss auch nicht jeder Song 3:30 Minuten lang sein. Oder einen klassischen Aufbau haben: Strophe, Refrain, Strophe, Refrain. Und so kommt dann auch ein Song wie „Geschichten Vom Boden“ zustande, streng genommen ist das vom Aufbau ja völlig gaga.
„Asche Sammeln“ ist musikalisch sehr düster, dann folgt mit „Alle Zeit Der Welt“ ist so ein schönes getragenes Ding, nur um danach von so einem Brett wie „Whatever Forever“ abgelöst zu werden - ist „Lauter Als Bomben“ eure The Clash-Platte? Damit meine ich nicht unbedingt, dass ihr so klingt, aber dass das Album unglaublich breit aufgestellt ist?
So „Sandinista!“. Den Vergleich verstehe ich total. Ich meine, The Clash bedeutet mir total viel. Ich kenne aber auch ganz viele Leute, die mit diesen The Clash-Platten nix anfangen können, weil die meinen, dass das als Album nicht funktioniert. Ich finde aber schon, weil jeder einzelner Song für sich auch auf dem Album saugeil funktioniert. Es kann natürlich auch sein, dass dir ein solches Album um die Ohren fliegt. Ich freue mich aber auch über jedes Bad Religion-Album. Ich freue mich auch, wenn so ganz straighte Punkalbum rauskommen, wo ich dann ganz klar weiß, dass der Song jetzt ungefähr vierzehn Mal aufgenommen wurde, ich es aber abfeiern werde.
„Das Dorf War L.A.“ ist ja irgendwie auch so ein Nostalgietripp – jetzt auch mit musikalischen Referenzen an The Clash, wie ich finde – kommt die Nostalgie mit dem Alter und kramt ihr gerne in Erinnerungen oder hat sich das durch Zufall so ergeben?
Der Song ist in der Tat sehr wein- und bierselig entstanden. Das ist ja ein Guido-Song. Wir haben aufgenommen und sind in der Tat dann danach immer wieder nach Hause gefahren. An dem Abend hat Guido aber im Studio gepennt. Er hat sich dann, glaube ich, die erste Flasche Rotwein in den Frack gegossen und gesagt, wenn ihr morgen wiederkommt, dann habe ich einen Song fertig. Wir haben natürlich gelacht, aber am nächsten Morgen war das wirklich so. Er hat sich dann in der Nacht hingesetzt und getrunken und über das klassische Punkdorf nachgedacht. Den Anfang in den 90ern und den Donots und auch die Jahre davor. Die Zeiten halt, wo wir gesagt haben lass uns doch mal eine Band aufmachen und so. In der Nähe von Ibbenbüren gibt es so ein Dorf, das heißt Ladbergen, und die haben das eben immer L.A. genannt und sind da immer mit Bundeswehrrucksäcken und Dosenbier durch die Gegend gelaufen und haben sich wie die Größten gefühlt. So, wie man das eben ganz klassisch von Dorfpunks kennt. Dieses Gefühl wollte Guido da irgendwie wieder hochleben lassen. Wir haben jetzt über 1.000 Konzerte in 24 Jahren gespielt und das ist schon krass, was man da alles erlebt. Und die Nostalgie erst, in die man da verfallen kann. Auf der anderen Seite ist es aber schön zu wissen, dass man nicht nur von dem Gestern zehrt, sondern, dass es trotzdem irgendwie auch noch weitergeht. Das ist schon toll.
Von den ersten Ideen bis zum finalen Album: Wie lange hat sich denn der ganze Prozess für das Album hingezogen?
Wir haben verschiedene Sessions gemacht, das ist ja das schöne, wenn du dein eigenes Studio hast. Da wo jetzt unser Studio ist, war schon mal eines drin. Wir haben das jetzt irgendwie entkernt und eingerichtet. So ein eigenes Studio heißt natürlich auch, dass wir da nicht unbedingt auf den Tacho geguckt haben, so „Scheiße, wir haben nur noch drei Recording-Tage“. Wir konnten uns da schön Zeit lassen. Als die „Karacho“-Tour ihrem Ende entgegen ging, da hatten wir schon die erste Session gemacht. Dann haben wir uns drei/vier Monate später in Ruhe für ne Woche wiedergetroffen, Bier und Schnäpse getrunken und geguckt, was wir schon an Material haben. Letztlich haben wir dann siebzehn Songs gehabt und dann ging die Klopperei los. Bei neun oder zehn Songs war für alle ganz klar, dass die auf dem Album landen müssen und bei den letzten drei hat dann jeder so seine Befindlichkeiten und seine Idee davon, wie so ein Album zu klingen hat. Das waren dann so Diskussionen, welche drei Songs noch auf das Album kommen oder das Album soll nicht zu lang werden und so Sachen. Das hat eigentlich am Längsten gedauert (lacht). Ich glaube, wir waren im Frühsommer diesen Jahres fertig, meine es war Juni. Wir haben dann noch ganz kurz überlegt, ob wir das Album im August veröffentlichen, aber ich finde es ganz gut, dass wir uns nun auf Januar geeinigt haben.
Aufgrund der großen Vielfalt, Verspieltheit und musikalischen Bandbreite: gab es eigentlich auch mal Momente, wo euch einer bremsen musste und der euch dann gesagt hat, dass ihr vielleicht einen Schlenker zu viel macht oder zu einem Ende kommen müsst?
Ja, das gab es in der Tat. Aber ich kann dir auch sagen, dass wir so eine basisdemokratische Band sind. Es ist halt nicht immer zielführend, wenn von fünf Leuten in einer Band die Meinung gleichzeitig gehört wird (lacht). Wir diskutieren halt immer alles tausend Mal aus und beleuchten alles von allen Seiten. Das Schöne ist ja, dass jeder seine Meinung vertreten kann und mit der er am Ende leben kann. Es ist dann auch wichtig, dass jemand wie Kurt reinkommt und sagt nee, so machen wir das jetzt. Und wenn wir da mehrere Ideen haben, dann entscheiden wir uns jetzt für eine und dann machen wir auch nur die und die wird dann auch fertig gemacht. Es kann durchaus sein dass, wenn wir heute eine Idee haben und das final entschieden haben, morgen Mittag schon wieder was anderes im Kopf haben und dann schmeißen wir das Konzept schon wieder um. Es ist, glaube ich, nicht immer einfach mit uns zusammenzuarbeiten.
Gab es im Vorfeld innerhalb der Band Diskussionen, ob ihr vielleicht ein komplett politisches Album machen wollt? Vielleicht sogar müsst?
Ähm, na ja, ich finde, wir haben schon viel politisch und sozial rumgekotzt auf „Karacho“. Wir machen das auf „Lauter Als Bomben“ irgendwie auch noch. Wir sind uns aber auch alle einige, dass wenn man die ganze Zeit nur rotzt, irgendwann die Ohren auch zu macht. Und ich finde es auch echt in Zeiten wie diesen, wo halt alles irgendwie in Schieflage, beschissen und irgendwie undurchsichtig ist, dass man da trotzdem nicht nur NEIN sagt, sondern auch JA ABER oder auch mal in gewisser Weise nur JA sagt. Und man auch sagt, dass trotz der Zweifel, auch ein großer Teil das Wissen da ist, dass man seine Freunde hat auf die man vertrauen kann und trotzdem gute Zeiten hat. Dies ist auch ein bisschen das, was „Lauter Als Bomben“ will. Auf der einen Seite übernehmt mal alle Verantwortung und flüchtet euch nicht in Religionen oder in Gruppen, sondern jeder einzelne Mensch ist verantwortlich und sollte aktiv sein. Und dann auch dazu beitragen, dass es irgendwie gut wird auf dieser Welt. Auf der anderen Seite aber auch zu sagen, dass bei all dem Scheiß Zusammenhalt dann doch auch ne schöne Sache ist.
Ihr seid ja für eure klaren Stellungnahmen bekannt und es ist ja kein Geheimnis, dass ihr euch beispielsweise für „Kein Bock Auf Nazis“ engagiert. Fühlt ihr manchmal auch diese Ohnmacht trotzdem nichts tun zu können bzw. nur die Leute zu erreichen, die sowieso schon auf der richtigen Seite stehen?
Genau! Das ist genau der Grund, weswegen wir halt eine Band sind, die mit einem Fuß eben im Mainstream steht. Ich habe eben noch mal in einem anderen Interview gesagt, dass ich es immer gut finde, wenn sich Leute gegen Nazis aussprechen oder für ein Miteinander einsetzen. Oder sich Homophobie vornehmen, das finde ich total super. Wenn das aber irgendwie in einer Subkultur wie Punk oder Hardcore passiert, dann ist das erwartbar. Ich glaube nicht, dass du auf eine Punkshow gehst und von der Bühne „Alerta Antifascista“ krakelst und irgendwer vor der Bühne wird sagen hm, da habe ich noch nie drüber nachgedacht, da hat er aber recht. Du erreichst da ja die Leute, die das schon wissen. Darum ist es auch ganz gut, dass wir so was machen wie zum Bundesvision Songcontest zu gehen. Dies ist ja nicht unbedingt unser klassisches Austragungsfeld und wo wir unser Hauptaugenmerk drauf legen, aber wenn das in der Prime Time, bei Pro7 am Samstagabend stattfindet und wir da ne Message raushauen können und Leute erreichen, die wir sonst nicht erreichen, dann machen wir das auch. Da entsteht ja auch Reibung.
Soweit ist weiß, bist Du großer ….But Alive?-Fan, hast Du das neue Kettcar-Album hören können? Das müsste - zumindest was die Texte betrifft – ja wieder Dein Fanherz berührt haben.
(begeistert) Hach, ja, der Wahnsinn. Ganz ehrlich, ich habe dem Wiebusch ne SMS geschrieben, als ich das Album das erste Mal gehört habe. „Sommer 89“ war natürlich der Vorabsong – ich finde es total Wahnsinn wie gut der Sachen in Worte kleiden kann. Kleinteilig wie im Großen. Der hat halt alles irgendwie immer im Blick. Ich finde das ganz, ganz, ganz umwerfend, wenn Leute das können. Ähm, und das spornt mich auch wieder an, dass ich dann denke beim nächsten Album mache ich das auch wieder anders. Weißte, das ist echt schon eine ganz tolle Inspiration. Ich liebe das alles und finde das ganz toll.
In dem Zusammenhang: stimmt eigentlich die Geschichte, dass Du als Fan Marcus Wiebusch vor langer Zeit mal einen Brief geschrieben hast, ob er nicht noch Texte rumliegen hat, die er noch nicht verwendet hat und Du die gerne lesen würdest? Und hat er Dir tatsächlich welche geschickt?
Das hat Guido in der Tat gemacht. Guido hat Marcus damals tatsächlich einen Brief geschrieben. Das war so zu den Zeiten von der ersten oder zweiten ….But Alive?-Platte. Ich habe damals in einer Scheune in Ibbenbüren das Booking gemacht. Ich habe damals eine Show von ….But Alive? veranstaltet. Danach hat Guido Marcus einen Brief geschrieben und auch tatsächlich Antwort bekommen.
Nochmal zurück zum neuen Album: der Deluxe Version liegt ja auch euer 1.000 Konzert bei. Wie war das Konzert für euch? Konntet ihr das genießen oder wart ihr vielleicht sogar extrem aufgeregt weil viele Freunde und die Familien anwesend waren?
Das ist natürlich immer so, wenn du in der Heimat spielst, dann ist die Aufregung immer sehr groß. Deine Freunde und Familie teilen dir ja auch ganz ungeschönt mit, wenn es einfach scheiße war. Und dann willste das natürlich besonders irgendwie gut machen. Hinzu kam, dass wir uns wirklich erst ne Woche vorher überreden ließen, das ganze Ding mitzuschneiden. Wir haben die ganze Zeit irgendwie gedacht, dass das ein ganz toller Abend vor ausverkauftem Haus wird. In der Halle Münsterland sechseinhalb Tausend Leute ist für uns auch einfach unfassbar. Wir sind ja nun keine Band, die jeden Tag Stadien spielt. Das ist für uns schon etwas ganz besonderes.
Ihr seid aber ja schon festivalerfahren und spielt vor vielen Leuten.
Ja, natürlich. Das ist auch krass. Auf jeden Fall haben wir so die ganze Zeit gedacht nee, lass mal nicht mitschneiden. Wir haben gedacht, wenn Kameras dabei sind, das ist ja sowieso ein riesengroßer Abend für uns, viele Gäste dabei – Antilopen Gang, Broilers oder Michi von Ex-Jupiter Jones und so – dann lassen wir das mal nicht mitschneiden, denn dann wird das unlocker. Dann hat unser Tourmanager gesagt „ey, wisst ihr was? Und wenn ich das ganze Geld vorstrecke und wenn es total beschissen wird und das ganze Ding in irgendeinem Giftschrank landet, nehmt das Ding auf, ihr werdet es mir hinterher danken.“ Wir haben dann tatsächlich erst ne Woche vorher entschieden, dass wir das machen. Ganz ehrlich, das ist so ein tolles Konzert gewesen. Ich war neulich mit Eike zusammen hier in Köln bei der finalen Abnahme für das DVD-Master und wir haben uns das da noch mal in Gänze angeguckt. Ich könnte nicht stolzer sein und ich bin normalerweise jemand der sagt, dass er das und das an einer Show nicht gut fand.
Gibt es für die kommende Tour eigentlich ein Konzept oder lasst ihr euch da gerne treiben und guckt wie es jeden Abend läuft? Wird es da individuelle Setlisten geben?
Es ist in der Tat so, dass das Konzept eigentlich ist, dass wir von der Neuen sehr viel spielen wollen. Aber es ist nicht so, dass wir jetzt Abend für Abend das ganze Album spielen werden. Das heißt dann auch, dass wir jeden Abend eine andere Setlist ausprobieren wollen. Am Ende des Tages wird es darauf hinauslaufen, dass wir so eine Art Standardsetlist haben werden, aber es wird einzelne Punkte geben, die dann auch variabel bleiben, damit das ganze Ding dann auch spontan bleibt. Wir wollen ja auch sehr spontan auf das reagieren, was während der Konzerte passiert und so. Wir haben bei den Sessions alle Songs geprobt und können die in der Tat auch alle spielen. Es war so einfach wie noch nie, einfach einzustöpseln und los zu spielen – und es hat auch noch gut geklungen (lacht). Wir gehen ganz gelassen und ruhig in diese Tour. Ich will auf jeden Fall dieses Opening-Doppel vom Album auch als Opening-Doppel der Tour haben. Ich finde das so passend und großartig nacheinander und glaube, dass dies ein gutes Entree sein könnte. Ich glaube, das wird auch so passieren. Alles andere, joa, ist wie immer eine Mischung aus Angst und Bier.
Ohne groß nachzudenken, gibt es eine Show, an die Ihr euch aus irgendeinem Grund besonders gerne oder auch ungern erinnert.
Ähm, also besonders gerne erinnert man sich an das, was man zum ersten Mal macht. Ich erinnere mich ultra gerne an die einmonatige USA-Tour mit Flogging Molly, Anti-Flag und C.J. Ramone, die wir gemacht haben. Das war einfach unfassbar, weil wir da sämtliche Clubgrößen vor komplett neuem Publikum gespielt haben und jeder Abend eine Herausforderung war – egal ob du vor 20 Leuten gespielt hast oder wie in Phoenix, Arizona vor 20.000 Leuten. Und an was ich mich ungern erinnere? Hm, ähm. Nee ey, ich kenne ganz viele Leute die sagen, „das hätte man besser machen können und das war scheiße und das war scheiße“ und alles immer kacke finden irgendwie. Manche Konzerte müssen auch mal scheiße sein und man muss auch zwischendurch einfach mal scheiße sein, weil einen das auch irgendwie erdet. Ich würde nie hingehen und sagen lass uns das und das nie wieder machen. Das macht einen ja auch alles irgendwie zu dem, was man heutzutage ist.
Seid ihr eigentlich eine Band mit einem Zukunftsplan, also wisst ihr schon, wie es die nächsten 5-10 Jahre weitergehen soll oder lasst ihr das alles auf euch zukommen?
An dem Punkt, wo wir irgendwie den Kalender fünf Jahre voraus wälzen, sind wir nicht mehr die Donots. Das mag bei anderen Bands funktionieren, aber bei uns hat das noch niiiiie funktioniert. Ich glaube auch sehr zum Leidwesen unserer Familien. Die müssen ja auch irgendwie damit klarkommen, dass wir so oft weg sind oder kurzfristig irgendwelche Pläne umwerfen oder Termine reinkriegen. Wir sind nicht gut im Planen. Wir haben irgendwie das ganz gute Gefühl oder egal wie wir fallen, wir landen wie so eine Katze immer auf den Füßen.
Stimmt eigentlich die Geschichte, dass ihr euch monatlich selber ein Gehalt zahlt?
Ja, die Geschichte stimmt, in der Tat. Ende der 90er haben wir damit schon angefangen. Einfach aus dem Gefühl heraus, dass wir auch einen gewissen Arbeitsethos halten wollen. Du hast dann auch einfach das Gefühl, dass du dich anstrengen musst und du hast das Gefühl, dass du einer Beschäftigung nachgehst und du hast aber auch das Gefühl, dass du dich eben nicht komplett ausruhen kannst. Auch da haben wir ein paar Negativbeispiele aus unserem Umfeld und von anderen Bands mitbekommen. Wo dann nach einer Tour riesengroße Summen ausgezahlt wurden und wie das immer so ist, haut man die Kohle auch immer direkt raus, weil man denkt boah, hier, ich habe richtig viel Schotter am Start. Das sind dann all die Bands, die am Ende ihren Laden dichtmachen mussten, weil eben die Kohle nicht mehr da war. Wir wollten immer irgendwie wirtschaftlich bleiben. Wir haben ein Bandkonto, wir haben mit Eike und Alex irgendwie zwei Leute, die halt Buchhaltung ganz gut machen – ich könnte das nicht, Guido auch nicht – aber das ist wirklich eine gesunde Sache, die kann ich jeder Band nur empfehlen.
Also war die Band auch immer nur euer Plan A, es gab nie einen Plan B mit anderen Jobs, die ihr in der Hinterhand hattet?
Wir haben uns ganz früh entscheiden müssen. Ich hatte da gerade zwei Semester Englisch, Deutsch und Philosophie auf Lehramt studiert. Alex ist in der Tat BWL-Doktorand bis zum heutigen Tag, hat das aber halt nie abgeschlossen. Eike ist Ergotherapie diplomiert und der ist der Einzige mit einer Ausbildung. Jan hat Sport studiert und an den Nagel gehangen und Guido war auf dem Weg Einzelhandelskaufmann zu werden. Äh, wir haben uns nie wieder damit beschäftigen müssen. Das ist natürlich schön, vielleicht kann man das auch blauäugig nennen. Auf der anderen Seite: wem das zu heikel ist, der sollte vielleicht auch keine Band aufmachen, denn dann kommst du vielleicht ganz schnell an so einen Punkt, wo du Kompromisse machst oder klingen musst wie Sunrise Avenue wo wirklich alles am Reißbrett den kleinsten Widerstand geht.
Hat sich das mit der Familie für euch dann auch nicht verändert?
Na ja, natürlich gehen wir schon irgendwie ran, dass wir denken, das ist jetzt unser Job und wir müssen irgendwie den Lebensstandard für den Nachwuchs und die Familie sichern, klar. Ich spüre da für mich schon eine ganz große Verantwortung und eine große Herausforderung, aber ich möchte mit das trotzdem in gewisser Weise naiv halten. Das klingt jetzt vielleicht in gewisser Weise sogar verantwortungslos, wenn man ein Kind in die Welt setzt, aber ich vertrau einfach darauf, dass ich ganz gut darin bin spontane und gute Entscheidungen zu treffen.
Wenn ich eure Geschichte so verfolge, dann waren eure bisherigen Entscheidungen auf jeden Fall alle richtig.
Dann ist das sehr, sehr schön das jetzt auch mal so als Feedback zu bekommen, danke!
Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke dir, es hat mir sehr viel Spaß gemacht!
(Torsten Schlimbach bedankt sich bei Alex Schlage und Mirko Gläser von Uncle-M natürlich den Donots für die freundliche Unterstützung!)