Jochen Distelmeyer: Songs From The Bottom Vol. 1
Four Music/Sony
VÖ: 12.02.2016
Wertung: 9/12
Auch, wenn es Jochen Distelmeyer nicht gerne hört, er war mal so etwas wie ein Sprachrohr für eine ganze Generation. In den 90ern hat er mit seiner Band Blumfeld den Nerv der Zeit und der jugendlichen Musikhörer getroffen. Klar, alleine war die Band nicht und da Tocotronic oder Die Sterne aus ähnlichem Holz geschnitzt waren, wurde dann gleich eine neue Ära ausgerufen. Das ist lange vorbei und mittlerweile spielt Distelmeyer für die junge Generation längst keine Rolle mehr. Das ist auch gut so, denn jede Zeit hat ihre Helden. Viele Fans und Anhänger hat der Mann freilich immer noch. Es war quasi nur eine Frage der Zeit, wann er nach seinem Solodebüt, der Blumefeld-Reunion und seinem Roman „Otis“ ein weiteres Album aufnimmt. „Songs From The Bottom Vol. 1“ heißt es und ist eine Sammlung von Coverversionen.
Es ist ein Akustikalbum und resultiert wohl aus der Begeisterung der Leute seiner Lesereise zu „Otis“, als er einige seiner Lieblingslieder aus fremder Feder spielte. Jetzt gibt es also das Werk dazu. Jochen Distelmeyer auf Englisch hat man ja lange nicht mehr gehört. „Songs From The Bottom Vol. 1“ stellt in dieser Hinsicht nicht das Debüt dar und doch hat man die Stimme von Distelmeyer und die daraus resultierenden Wörter vornehmlich in deutscher Sprache im Kopf. Gewöhnungsbedürftig ist das nicht und doch hört man den Akzent natürlich ganz deutlich. Abgesehen davon ist die klare Singstimme von Distelmeyer derart markant, dass man selbige unter einer Millionen Sänger heraushören könnte. Das ist ja nun alles andere als suboptimal, denn ein hoher Wiedererkennungswert ist ja nicht unbedingt die schlechteste Ausgangssituation.
Im weitesten Sinne ist „Songs From The Bottom Vol. 1“ ein Liebesalbum. Die 12 englischsprachigen Stücke befassen sich nämlich mit sämtlichen Facetten der Liebe – und wenn es nur das Weitermachen ist. Die Songs sind somit durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Distelmeyer macht sie alle zu seinen Songs. Das ist dann auch die große Stärke der Platte, denn dadurch sind sämtliche Stücke wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Oder käme man sonst auf die Idee, dass „Toxic“ von Britney Spears zu Radiohead und „Pyramid Song“ passen würde?! Oder der alte Schmachtfetzen „Let´s Stay Together“ von Al Green zum großartigen „Bitter Sweet Symphony“ von The Verve. Die markanten Stellen des Songs pfeift Distelmeyer übrigens.
Die vielleicht größte Überraschung dürfte „I Could Be The One“ sein. Dieses sehnsuchtsvolle und traurige Pianospiel vereinnahmt den Hörer vollends. Und berührt die Seelen. Und die Zärtlichkeit mit der Distelmyer „Turn Turn Turn“ von Pete Seeger interpretiert ist natürlich derart herzlich, dass es keinen kalt lassen dürfte. Die Klarheit von „This Old Road“ – nur Stimme und Akustikgitarre – bringt den alten Kris Kristofferson Heuler noch mal völlig neu zur Geltung. Dies ist das tolle an diesem Werk: hier wird nicht nur einfach nachgespielt, sondern auf grandiose Art und Weise interpretiert. „Beautiful Cosmos“ gleicht ganz zum Schluss einer Spoken Word Performance, die fast schon weihnachtlich wirkt. Und damit schließt sich der Kreis, der mit „Just Like This Train“ von Joni Mitchell begonnen und mit „Video Games“ von Lana Del Rey einen ersten Höhepunkt gefunden hat.
Fazit: „Songs From The Bottom Vol. 1” kommt aus dem Herzen. Jochen Distelmeyer covert die Songs nicht nur, sondern macht diese zu seinen und interpretiert selbige mit Akustikgitarre und/oder Piano auf ganz herzliche Art. Die glasklare Stimme, mit denen er die Tracks meist vorträgt, macht das dann zusätzlich zu etwas ganz Besonderem. In jeglicher Hinsicht ein tolles Album und eine Herzensangelegenheit.
Text: Torsten Schlimbach