Fleet Foxes: Helplessness Blues
Cooperative Music/Universal
VÖ: 29.04.2011
Wertung: 11,5/12
Tipp!
Neulich im Supermarkt: Eine Mutter in einem viel zu engen Oberteil schrie ohne Unterlass ihre Tochter an. Es deutete sehr viel daraufhin, dass das Kind Schantalle von ihren Eltern genannt wurde. Die
Mutter rief jedenfalls unaufhörlich diesen Namen. Der Vater - von der Mutter Mario genannt - schrie derweil den Schustin an. Das kleinste Kind hörte auf den Namen Zö. Sämtliche Klischees wurden somit
erfüllt. Soweit nichts Besonderes im deutschen Alltag. Was einen allerdings wirklich traurig machen konnte, war die Hintergrundmusik dazu: die neue Adele. Ich will das nicht! Ich will nicht, dass die
von mir geschätzte Adele als Hintergrundberieselung für die Einkaufstour von wandelnden RTL2-Klischees herhalten muss. Jetzt ist es schon soweit! Die Fleet Foxes werden nie in Einkaufstempeln laufen!
Nie! Hört ihr, ihr musikalischen Leiter der Supermärkte? Nie! Schon gar nicht „Helplessness Blues"!
Dieses Wunderwerk der Musik ist sicher für vieles geeignet, aber ganz sicher nicht um die Leute zum nächsten Wühltisch zu locken. Dieses Meisterwerk funktioniert nicht als Hintergrundgeräusch. Nein,
dieses Album entfaltet seine volle Schönheit nur dann, wenn man sich der Musik voll und ganz hingibt. Hits? Offensichtliche gibt es nicht! Warum auch? Das hier ist ein Album nach guter alter
Tradition! Überhaupt werden hier Dinge zu Tage gefördert und gepflegt, die ganz sicher rein gar nichts mit dem aktuellen Musikgeschehen zu tun haben. Die Fleet Foxes aus Seattle beschäftigen sich da
viel lieber mit den 60ern und 70ern! Im Grunde kann man hinter jeden Satz, der sich mit dieser Band befasst, ein Ausrufezeichen setzen. Die Musik in ihrer ganzen Dringlichkeit gibt das eben her!
Dabei stand das alles unter keinem guten Stern. Es war eine schwere Geburt. Man suchte verschiedene Studios auf, Krankheiten erschwerten den gesamten Prozess und schließlich kamen auch noch Zweifel
an die eigene Kreativität hinzu. Teile wurden gar ganz neu- oder umgeschrieben. Hört sich alles nicht nach einem fluffigen Aufnahmeprozess an. Frontmann Robin Pecknold machte sich zudem noch mit
Joanna Newsom aus dem Staub und eröffnete für die Dame auf deren Tour die Shows. Das alles hat nicht geschadet. Vielleicht ist die Band daran sogar noch gewachsen? Es ist auch alles völlig egal, so
lange dabei ein freigeistiges Werk wie dieses entsteht!
„Helplessness Blues" ist ein zeitlos schönes Stück Musik. Klar, es hört sich alles nach den weiter oben erwähnten Jahrzehnten an, aber diese Songs hier werden Bestand haben und noch weitere
Generationen beschäftigen. Zeit spielt da keine Rolle. Die Fleet Foxes führen einem mit diesen Stücken schmerzlich vor Augen, dass wir heute doch sehr viel Gebrauchs- und Wegwerfmusik hören. Gut,
dass es diese Band gibt, deren Musik sich genauso anhört, wie diese Waldschrate aussehen.
Was gibt es also auf die Ohren? Man höre und staune, „Astral Weeks" war eine große Inspiration. Paul Simon schimmert auch durch und sein ehemaliger Mitstreiter Art Garfunkel ist auch nicht weit. In
erster Linie ist das aber eine tiefe Verbeugung vor Crosby, Stills, Nash & Young! Und Young darf man dabei auch hervorheben. Ist das Folkrock? Oder nur Folk ohne seinen Bruder Rock? Im Grunde ist
auch das völlig egal, denn diese schönen Songs mit den noch schöneren Chören erstrahlen voller Glanz am Firmament!
Und nein, die Fleet Foxes entpuppen sich nicht als Blender. Dieses Album ist keine Kunst um der Kunst willen. Dafür ist sich die Band dann doch zu sehr der eigenen Stärke bewusst. Es wird gar nicht
erst versucht Erwartungen zu erfüllen oder an den Erfolg des Vorgängers irgendwie anzuknüpfen. Das Klangspektrum wird einfach erweitert und so manches obskures Instrument wurde dazu verwendet. Das
nützt aber alles nichts, wenn das Songwriting nichts taugt. Es taugt eine ganze Menge! Man höre sich dazu nur das zentrale Stück „The Shrine/an Argument" an. Sollte Neil Youn jemals diese 8 Minuten
und 7 Sekunden zu Gehör bekommen, wird er sich verbeugen. Progressiver kann Folk nicht sein. Wenn nach knapp zwei Minuten an Fahrt aufgenommen wird und sich zum Schluss alles in ein Saxophon-Gewitter
entlädt, dann ist das ebenso ambitioniert und künstlerisch wertvoll, wie eben auch schön. Schön ist überhaupt ein Wort, welches man bei diesem Album häufig verwenden kann. Dazu zählt auch der Refrain
von „Montezuma" - sofern man überhaupt von einem Refrain sprechen kann.
Dieses Album wächst und wächst. Zunächst lässt einen das verspielte „Bedouin Dress" noch etwas ratlos zurück, aber diese Geigen lassen einen dann doch nicht mehr los. Hat man in letzter Zeit
eigentlich ein schöneres - da ist das Wort wieder - Folkstück wie „Sim Sala Bim" gehört? Gänsehaut! Und wer immer behauptet, dies sei eigentlich kein Folkrock, der wird mit „Battery Kinzie" dann auch
gleich eines Besseren belehrt. Einzig „The Plains/Bitter Dancer" nervt etwas. Aber auch dafür wird es freudige Abnehmer geben.
Der Titeltrack „Helplessness Blues" bringt mit dem Wort unique eigentlich alles auf den Punkt. Die Fleet Foxes nehmen im Musikgeschehen jedenfalls eine Ausnahmestellung ein. Dafür steht die
Fingerübung von „The Cascades" ebenso, wie auch das treibende „Lorelei". Fasst euch an den Händen, steckt eine Blume ins Haar und tanzt dazu auf einer Wiese! Übrigens passt die Gestaltung
hervorragend ins Bild. Booklet - sofern man überhaupt von einem Booklet sprechen kann - und Cover und Größe(!) sprengen jeden Rahmen. Wer sich dieses Album (legal) runterladen möchte, dem sei zum
Kauf der CD als Tonträger geraten. Das haptische Erlebnis sollte man nicht verpassen!
Fazit: Die Fleet Foxes haben mit „Helplessness Blues" eines der Alben für das Jahr 2011 aufgenommen. Ein besseres und schöneres Folkalbum wird es dieses Jahr nicht mehr geben, da kann man sich schon
festlegen. Zudem ist dies ein zeitloses Meisterwerk! Es gibt hier viel zu entdecken. Also, keine Zeit verschwenden und „Helplessness Blues" genießen!
Text: Torsten Schlimbach