Joy Denalane: Gleisdreieck
Universal
VÖ: 03.03.2014
Wertung: 10/12
Tipp!
Joy Denalane hat einst den deutschsprachigen Pop auf eine neue Ebene gehoben. Soul, R&B und HipHop hatten endlich ein musikalisches Gesicht. Man kann der Dame mit der beeindruckenden Haarpracht und der noch beeindruckenderen Stimme und Präsenz dafür nicht genug danken. Leider haben ihre Kollegen nicht genau hingehört und die Musik hierzulande verkommt immer mehr zum belanglosen Einheitsbrei ohne besonderen Anspruch. Sechs lange Jahre musste man auf ein neues Album von ihr warten. „Gleisdreieck“ führt sie zurück in ihre Berliner Heimat. Zurück in das Brachland zwischen Ost und West.
„Gleisdreieck“ setzt sich natürlich auch aus Alltagsbeobachtungen zusammen. Ist an der einen oder anderen Stelle wie in „Zuhause“ politisch. In Zeiten wie diesen ist das leider ja auch unter Alltag zu verbuchen. Rassismus ist ja leider wieder überall unserer täglicher Begleiter. Zum Kotzen! „Gleisdreck“ ist aber an vielen Stellen auch die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, der Gegenwart, aber auch ein Blick in die Zukunft. Die Songs tragen ganz offensichtlich auch sehr viele autobiografische Züge. Das Album hat für Joy Denalane fast schon therapeutische Züge, weil sie eben jenen einen Blick in ihre Seele gewährt hat, mit denen sie diese Songs geschrieben hat. Es hat ihr gut getan.
„Gleisdreieck“ ist oftmals ein ruhiges Album. Joy Denalane macht auch stimmlich keine Verrenkungen. Auf den Punkt. „Vorsichtig Sein“ und „Schlaflos“ entfalten so schon eine meditative Wirkung. Das ist extrem entschleunigend. Anderes wiederum ist auch unglaublich traurig. Wenn sie bei „Hologramm“ von einer langsam zerbrechenden Beziehung singt, dann kann man schon mal ein Taschentuch bereitlegen. „Zwischen Den Zeilen“ wird alle unglücklich Verliebten in das berühmte Tal der Tränen stoßen. Die Hoffnung bleibt allerdings. Ein kleiner Funken also und man muss sich nicht direkt in den Abgrund stürzen.
„Himmel Berühren“ mäandert im urbanen Pop der Großstadt, während „So Sieht Man Sich Wieder“ mit einem Feature von Tua eine moderne Mischung zwischen Pop und Soul darstellt. Da kann auch mal eine Vocoderstimme zum Einsatz kommen. Seltsamerweise passt das hier. „Venus & Mars“ kommt mit dezenten Gitarrenklängen sehr entspannt daher. Der schnellste – und mitunter musikalisch auch positivste – Track dürfte „Alles Leuchtet“ sein. Die Nummer wurde ja auch nicht umsonst als Single ausgewählt und liegt in zwei Versionen vor. Bei „Elli Lou“ schwingt ein bisschen karibisches Flair mit. Man sieht also, dass „Gleisdreieck“ durchaus sehr vielfältig ausgefallen ist. Es gibt selbstverständlich auch ein paar Gäste auf diesem Album, aber diese sind eher schmückendes Beiwerk. Joy Denalane trägt die Songs ganz alleine und ihr schönes Timbre sorgen für wohlige Schauer auf der Haut.
Fazit: „Gleisdreieck“ ist ein erstklassiges Album für Menschen jenseits der 30. Kein Pseudopop, kein Neo Soul, kein Plastik-R&B, nein, all das hat Joy Denalane nicht nötig. Zwischen Alltagsbeobachtungen und autobiografischen Songs pendelt sich das ein. Weniger ist mehr. Dies gilt für die musikalische, aber auch für die stimmliche Umsetzung. Die Songs brennen sich nicht sofort ein, halten dafür aber umso länger. Jetzt weiß man wieder, was einem die letzten sechs Jahre gefehlt hat.
Text: Torsten Schlimbach