Selig: Original Vinyl Classics - Selig + Hier
Sony
VÖ: 05.04.2019
Wertung: 10/12
Tipp!
Selig waren irgendwie schon immer eine Band, die auf Retro gesetzt hat. Dies manifestierte sich schon aufgrund der Optik bei dem Debüt, dem Sound und einem gewissen Faible für Vinyl. Wenig überraschend, dass die „Original Vinyl Classics“-Reihe nun auch die ersten beiden Alben als eine Veröffentlichung würdigt. Das passt noch aus einem anderen Grund hervorragend, denn wir feiern 25 Jahre „Selig“ – jenes legendäre Debüt. Damit geht die Band nun auch auf Tour und spielt das Teil komplett und am Stück. Das Zweitlingswerk „Hier“ ist ebenfalls Teil dieser Veröffentlichung. Somit wird diese wichtige Bandphase noch mal mit voller Wucht gewürdigt.
Vinyl war in den 90ern fast vollends verschwunden. Von „Selig“ und „Hier“ gab es im Grunde gar keine offizielle Veröffentlichung auf diesem Medium. Lediglich eine kleine Miniauflage, die allerdings eher eine Promoaktion darstellte, wurde damals herausgegeben. Dies bedeutet nun auch, dass „Geträumt“, „Halt Mich Nicht Hin“ und „Bruderlos“ im Vinyl-Mix erstmals seit 25 Jahren erhältlich sind. Der Titelinhalt ist zudem abweichend von der CD-Version.
Wer sich jetzt an der Optik des neuen Covers stört, kriegt mittels der aufklappbaren Gatefold-Innenseiten im Großformat die Originaloptik geboten. Die Überspielungen wurden zudem überarbeitet. Wer das Debüt nun erstmalig hört, könnte eventuell auf die Idee kommen, dass bei der Albumeröffnung „Regenbogenleicht“ ein Fehler vorliegen würde. Die Knackser sind gewollt und waren damals schon als eine Art Hommage an Vinyl zu verstehen. Es handelt sich hier mitnichten um einen Produktionsfehler.
Das Debüt strotzt nun so vor Kraft – und Hits. „Sie Hat Geschrien“ ist immer noch einer der deutschen Grunge-Überhits. Abgesehen davon ist das sogar eine recht zeitlose Nummer. „Ohne Dich“ ist auch heute noch die Überballade schlechthin! Da ist immer noch ein Kloß im Hals vorprogrammiert. „Wenn Ich Wollte“ ist ebenfalls ein moderner deutschsprachiger Rockklassiker. Selig waren eigentlich schon mit dem Debüt im Olymp angekommen.
Mit „Hier“ wurde es dann eine ganze Ecke psychedelischer. Das fängt mit dem Titeltrack an und hört mit dem wuchtigen „Arsch Einer Göttin“ noch lange nicht auf. „Lass Mich Rein“, „Du Kennst Mich Nicht“ oder „Nach Hause“ lassen erahnen, dass da im Studio nicht nur Instrumente getauscht wurden. „An Einem Morgen“ oder „Kleine Schwester“ sind immer noch tolle Nummern und mit „Ist Es Wichtig?“ hatte die Band sogar wieder einen waschechten Ohrwurm und Hit am Start.
Fazit: Wer Vinyl liebt und zudem auch noch auf handgemachte Rockmusik steht, bei Selig bisher aber eine Lücke im Schrank klaffen hat, kriegt nun mit der Original Vinyl Classics-Reihe und den ersten beiden Alben von Selig als eine zusammengefasste Veröffentlichung, alles, was das Herz begehrt. Selig haben den deutschsprachigen Rock damals definiert. Warum das so war und im Grunde immer noch ist, kann man nun hier nachhören.
Text: Torsten Schlimbach
Selig: Kashmir Karma
Sony
VÖ: 03.11.2017
Wertung: 8,5/12
Selig sind eine Band, die irgendwie immer kämpfen musste. Nicht um die Fans, die waren ja von Anfang, als es in den 90ern mit der Kapelle durch die Decke ging, schnell sehr zahlreich gefunden. Auch die Muse küsste die Hamburger immer sehr ausgiebig. Nein, die fünf Bandmitglieder hatten immer mit den eigenen Dämonen zu kämpfen, die eigenen Egos im Griff halten und sich der gegenseitigen Freundschaft bewusst zu sein. Man hatte als Außenstehender gedacht, dass nach der Reunion endlich alles in geordneten Bahnen laufen würde. Die Herren waren ja nun älter und reifer. Das Comeback ab 2009 geriet dann auch zu einer imposanten Rückkehr. Und dann? Dann trennte man sich 2014 von Keyboarder Malte Neumann. Wie es so schön heißt: im gegenseitigen Einvernehmen. Nun ja. Ersatz sollte zunächst nicht her, die Sounds von Neumann kamen live aus dem Computer. Bis dieser dann während einer Show auch noch seinen Dienst versagte. Ab jetzt war klar: kein Computer und keine Keyboards mehr.
Damit waren Selig aber nicht wieder auf Kurs. Die vier verbliebenen Bandmitglieder machten sich auf in die Einöde nach Schweden. Plewka war vorher klar, dass sich in Schweden entscheiden wird, ob es die Band weiter gibt oder nicht. Das Ende ist bekannt, denn sonst würde man das neue Album „Kashmir Karma“ ja nicht in den Händen halten. Am Ende steht aber auch die Erkenntnis und der folgenschwere Satz von Plewka zu den anderen: „Ihr seid meine Freunde.“ Bis dahin war es ein weiter Weg, denn Selig kamen immer wieder zurück nach Schweden. Der November 2016, übrigens der Vorabend zur Wahl von Trump, war nur der Beginn. Selig kehrten fünfmal nach Schweden zurück und blieben jeweils zehn Tag. Mathegenies werden dabei auf insgesamt 50 Tage kommen, 50 Tage, die die Uhren von Selig wieder auf Null stellten. „Kashmir Karma“ ist nämlich mehr als nur der Name des neuen Albums. „Kashmir Karma“ war auch einst als Bandname angedacht - noch vor Selig. Es schließt sich also auch ein Kreis. Oder wie „Plewka“ in Lebenselixier singt „wir sind immer noch hier.“ Dabei geht es vordergründig gar nicht um Selig, aber es ist doch so treffend.
In Schweden war zunächst auch nicht alles eine rosa Wolke. Kann es ja auch nicht, denn wenn man aufsteht, den Fernseher anmacht und feststellen muss, dass der mächtigste Mann der Welt nun dieser Vollhorst ist, kann einem ja nur das Kotzen kommen. Da ist die schlechte Laune vorprogrammiert. Die Tristesse des Novembers und die schneebedeckte Landschaft in Schweden trugen dann sicherlich nicht gerade zur Hochstimmung bei. Und dann wurde doch noch der Schalter umgelegt, nämlich als das Quartett gemeinsam die Schönheit der Landschaft entdeckte. An diesem Tag entstand das schöne und elegische „Wintertag.“ Kein Demo, sondern der komplette Song. Fortan war dann auch klar, wie man arbeiten wollte, nämlich direkt und ungefiltert.
„Kashmir Karma“ ist eine typische Selig-Platte. Dies ist keine Kritik und die Band glänzt hier auch nicht durch Stillstand oder Ideenlosigkeit. Der Sound, den Stephan Eggert, Leo Schmidthals und Christian Neander kreieren hat aber eine ganz eigene Note, die sonst keine andere Band vorweisen kann. Die markante Stimme von Jan Plewka sorgt dann sowieso für den hohen Wiedererkennungswert.
„Kashmir Karma“ überzeugt zudem durch eine große Stilvielfalt. Der Titel ist hin und wieder Programm. Der Auftakt „Unsterblich“ mit seinem treibenden Bass und seiner flirrenden Gesamtatmsophäre ist psychedelisch und dann ist der Krautrock auch nicht mehr weit. Das lässige Geschrammel von „Nimm Mich So Wie Du Bist“ ist so etwas wie der Trademark-Sound von Selig. Die schon erwähnte Ballade „Wintertag“ ist ganz groß. So wie alle großen Selig-Balladen. „Alles Is Nix“ fängt mit einem Solo an wie es Ron Wood spielen würde und diese Dengel-Rhythmusgitarre, die Keith Richards kultiviert hat, macht Laune. Dann bricht die Nummer zum Refrain aus und es geht sirenenartig weiter. Der heimliche Star ist abermals der Bass. „DJ“ ist quasi ein Best Of der Sounds von Selig. „Zu Bequem“ lässiger Blues, der psychedelisch angehaucht ist. Das melancholische und sehnsuchtsvolle – sowohl musikalisch und textlich – sehr schöne „Unterwegs“ zeigt danach abermals eine neue Facette von „Kashmir Karma“. Mit „Feuer Und Wasser“ wird es politisch/ökologisch. Zuhören! Wah-Wah darf es noch mal bei „Lass Los“ sein, bevor sich mit dem Song „Kashmir Karma“ der Kreis für Selig schließt. Hier fängt die Zukunft an.
Fazit: Und mal wieder markiert ein neues Selig-Album einen Neustart. „Kashmir Karma“ ist das vorläufige Ende einer langen Reise. Eine Reise, an deren Anfang nicht mal feststand, ob es mit der Band überhaupt weitergehen wird. Tut es nun aber und das ist verdammt schön so! „Kashmir Karma“ ist nämlich ein gutes und sehr vielseitiges Album. Selig feiern ihre Freundschaft, lasst uns mit ihnen feiern!
Text: Torsten Schlimbach
Selig: Magma
Universal
VÖ: 01.02.2013
Wertung: 7,5/12
Irgendwie wird ja immer noch über die Selig-Reunion gesprochen. Eigentlich kann man dieses Kapitel endgültig zu den Akten legen, denn mit „Magma“ kommt nun bereits das dritte Werk seit der Neufindung in die Läden. Damit steht es nun auch Unentschieden zwischen der Zeit vor und nach der Trennung. So richtig abgeschlossen ist dieses dunkle Kapitel aber selbst für die Band nicht, denn selbige kommt immer wieder darauf zurück. Man muss dabei auch mal positiv anmerken, dass es kaum eine andere Combo gibt, die derart kritisch die eigene Vergangenheit - zum Teil auch öffentlich - aufarbeitet. Selbstreflexion ist da das Zauberwort. „Magma“ ist in dieser Hinsicht tatsächlich nicht arm an Anspielungen und dafür muss man nicht mal zwischen den Zeilen lesen und suchen.
„Magma“ ist das erste Album seit der Reunion, welches nun nicht in Eigenregie produziert wurde. Mit Steve Power konnten Selig einen ganz dicken Fisch an Land ziehen. Und weil Luftveränderungen auch mal ganz gut tun, machte sich der gesamte Tross auf nach England in ein abgelegenes Kaff um dort zu leben, zu arbeiten und „Magma“ auf den Weg zu bringen. Ein Großteil der Platte stand da sowieso schon. Die Ideen sprudelten vorher nur so über und so konnte die Band auf sagenhafte 42 Skizzen und Songideen zurückgreifen. Erste Aufnahmen im Heimathafen fühlten sich aber noch nicht so richtig gut an und spiegelten nicht dies wieder, was sich Selig unter „Magma“ vorstellten. Der Albumtitel war nämlich zuerst da und soll in gewissem Sinne die Essenz der Band widerspiegeln.
Diesmal wurde im Vorfeld also einiges anders gemacht. Von der Covergestaltung, über den Albumtitel bis hin zur Wahl eines Produzenten ist „Magma“ doch deutlich anders ausgefallen als seine beiden direkten Vorgänger. Und musikalisch? Der Selig-Faktor ist natürlich immer noch deutlich hör- und spürbar. Es wäre ja auch irgendwie komisch, wenn dies nun nicht mehr der Fall wäre. Diese fünf Herren haben zusammen über die Jahre einen ureigenen Sound kreiert und das lässt sich auch nicht so leicht abschütteln. Zum Glück! Die englische Luft hat den Jungs aber doch ganz gut getan und nun findet man Tracks vor, die herrlich entschlackt sind oder noch mehr in eine psychedelische Richtung gehen. Anderes wiederum ist geradliniger Poprock, der so schnörkellos ist, dass die Radiostationen sich danach eigentlich die Finger lecken müssten. „Magma“ ist teilweise auch in der Mitte des Mainstreams angekommen und dürfte dem Pur-Fan ebenso wie auch dem Grunge-Nostalgiker gefallen!
Wie so oft im Leben gibt es verschiedene Betrachtungsweisen und selbstverständlich ist das immer alles höchst subjektiv, aber aus vielen subjektiven Meinungen lässt sich mitunter ein objektiver Trend herauslesen. Schon an der Single „Alles Auf Einmal“ werden sich die Geister scheiden. Das Stück könnte man ohne mit der Wimper zu zucken auch in einem bekannten ZDF-Format unterbringen. Im Zusammenspiel mit dem Text und der Selig-Vergangenheit zündet die Nummer aber dann doch irgendwie. Überhaupt ist „Magma“ immer dann besonders stark, wenn sich die Texte auf Alltagsbeobachtungen und die eigenen Befindlichkeiten konzentrieren. Die Ballade „Schwester Schwermut“ sorgt zunächst auch für Verwirrung. Seicht und kitschig schleicht sich der Song aber unnachahmlich in die Ohren und plötzlich zündet die neue Leichtigkeit von Selig doch noch. Das psychedelisch angehauchte „Sie Scheint“ oder das rockige „Ich Lüge Nie“ dürfte die Altfans ja wieder versöhnen. Das träumerische „Der Tag Wird Kommen“ lässt in die Hamburger-Seelenwelt blicken und mit „Wenn Ich An Dich Denke“ gibt es gar Schlagerpop vom Feinsten. Gerade Jan Plewka trägt diesen Song und wenn er das Wort „heul´n“ in die Länge zieht, dann klatscht man vor Freude glatt in die Hände. Zum dröhnenden Rock wird es bei „433“ noch mal ganz persönlich im Selig-Kosmos.
„Love & Peace“ bollert sich durch die letzten dreißig Jahre der Politik. Kann man machen, aber nach ein paar Durchgängen nervt das Stück auch schnell. Es sind die ruhigen Stücke – und von denen gibt es viele – die „Magma“ zu etwas Besonderem machen. Das melancholische „Zeit“ kann nur von einer Band kommen, die in der Mitte des Lebens angekommen ist. Man macht das auf den Konzerten heutzutage ja nicht mehr, aber dazu würden sich Wunderkerzen gar förmlich aufdrängen. Mit dem Titelsong hat sich die Band gar den besten Song bis zum Schluss aufgehoben. Psychedelisch reiten sie mit einem in die grelle Abendsonne. Und aus.
Fazit: Es braucht ein paar Durchläufe bis man in „Magma“ drin ist. Zunächst kann man mit dieser Leichtigkeit und teilweise nahe am Popschlager angesiedelten Seichtheit nicht viel anfangen. Nach und nach erschließen sich aber die Songs und gerade die ruhigen Stücken wissen zu gefallen. Würde man sich aus den drei Platten nach der Reunion eine Zusammenstellung basteln, dann hätte man ein Album mit Höchstnote vorliegen. „Magma“ ist davon doch noch ein ganzes Stück entfernt, hat aber seine Momente und die sind dann tatsächlich über jeden Zweifel erhaben. Die schönste Erkenntnis nach "Magma" lautet sowieso: Selig machen noch richtige Alben - ist ja selten geworden, da viele ja nur noch einzelne Songs in den einschlägigen Portalen platzieren möchten. Selig sind eben outstanding!
Text: Torsten Schlimbach
Selig: Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Universal
VÖ: 01.10.2010
Wertung: 8/12
Und plötzlich ist es da, das neue Album von Selig. Dabei ist das Comeback-Album “Und Endlich Unendlich” eigentlich fast noch frisch. Die kühnsten Optimisten hätten wohl nicht zu glauben gewagt, dass man schon nach so kurzer Zeit ein neues Werk der fünf Musiker in den Händen halten wird. Kritiker werden jetzt sicher wieder aus ihren Löchern kommen und davon sprechen, dass hier mal eben schnell die Kuh weiter gemolken werden soll. Die Kuh ist in diesem Falle die große Schar an Fans.
Als die Band sich wieder zusammen gefunden hat, war das nicht nur ein Neubeginn, sondern auch ein Sprung ins kalte Wasser. Das Musikgeschäft hat sich nach der Trennung von Selig komplett gewandelt und es lag sicher nicht auf der Hand, dass die Fans die Hamburger Band nicht vergessen haben. “Und Endlich Unendlich” konnte nicht nur auf Platz fünf der Charts einsteigen und sich damit auch gleich mal zum erfolgreichsten Album der Bandgeschichte entpuppen, nein, auch die Konzerttickest fanden jede Menge glückliche Abnehmer.
So berauscht von dem Erfolg und über die Freude, dass man sich als Band und Menschen neu entdeckt hatte, ging es im Januar diesen Jahres dann ins Studio. Selig schrieben neue Songs, probten und nahmen das neue Material auf. Christian Neander sagt, dass man so lange wie noch nie im Studio war bzw. an den Songs gearbeitet hat. Für Aussenstehende mag das jetzt alles schnell gehen, für Selig ist es alles andere als das. “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” ist ein gewachsenes Werk. Auch, wenn die Band viel Zeit und Energie in die Scheibe gesteckt hat, so ist selbige doch nicht überproduziert. Vielmehr weht durch die einzelnen Songs ein Livegefühl. Die Basic der dreizehn Songs bauen dann auch alle auf diesem Livegefühl auf und neben den Instrumenten sind selbst einzelne Gesangspassagen direkt live eingespielt und gesungen worden. “Wirklich Gute Zeit” hat dann sogar ein Novum der Bandgeschichte zu bieten: Jan Plewka spielt Mundharmonika! So nebenbei sei erwähnt, dass dies der First-Take ist!
Die Band sagt selber, dass dies ein Konzeptalbum ohne Konzept wäre. Diesen Umstand sieht man schon alleine daran, dass die Songs von einem “Eingang” und “Ausgang” eingerahmt werden. Letzterer entpuppt sich dabei sogar als waschechter Jam. Selig haben im Studio einfach laufen lassen. Die locker und leichte Atmosphäre kommt dabei sehr gut zum Vorschein. Dieses Urvertrauen, wie es die Band nennt, spiegelt sich sehr gut in dem psychedelischen Ende wieder. Zwischen Beatles und Led Zeppelin macht es sich die Band gemütlich und freut sich vermutlich selbst am meisten über das gute Gelingen.
Man kann jetzt jede Menge Attribute bemühen und von Hippie-Metal, Hardrock, Deutschrock, Stoppok, Rio Reiser, Beatles, Nirvana, Led Zeppelin und Konsorten sprechen – muss man aber nicht. “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” ist nämlich ein Selig-Album durch und durch. Die Stimme von Jan Plewka ist natürlich derart markant, dass man einen Song von Selig schon alleine daran erkennen würde. Aber selbst ohne Gesang haben Selig einen derart eigenen Klang, dass man auch ein Instrumentalstück ohne Umschweife zuordnen könnte. Der Stil von Christian Neander ist derart speziell, dass sein Spiel immer klar erkennbar ist. Selbiges gilt auch für Leo Schmidthals am Bass und Stephan “Stoppel” Eggert hinter der Schießbude. Auch Malte Neumann am Keyboard breitet einen Klangteppich aus, der einfach nur zu Selig passen will. Zusammen ist dies dann eben unverkennbar Selig!
Dieser markante Sound sorgt dann auch zunächst für Enttäuschung und man ist geneigt schnell abzuwinken und festzustellen, dass dies eben typisch nach Selig klingt. Das Album wächst aber ziemlich schnell mit jedem Durchgang und dann ist man doch erfreut, dass es eben doch noch Musiker mit eigener Identität gibt. Zudem werden hier nicht nur alte Sachen wieder aufgewärmt. Wer hätte Selig eine Folknummer wie “Wirklich Gute Zeit” zugetraut? Diese luftigleichte und unbekümmerte Atmosphäre ist doch gänzlich neu. “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” ist zudem um einiges rockiger und härter wie der Vorgänger. Intuitiv hat die Band dieses Richtung eingeschlagen.
“5.000 Meilen” und “Freier Fall” hauen dann zunächst auch ordentlich auf den Putz. Gemacht für die Bühne! Überhaupt findet sich hier jede Menge Material für die Konzerte wieder. Die Single “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” durchweht dann wieder diese typische Melancholie, wie sie Selig über die Jahre kultiviert haben. Es geht um das Fühlen der großen Liebe, die immer stärker wird. Natürlich werden auch wieder all´ die gefallenen Engel thematisiert, egal ob in “Hey Ho” oder “Dramaqueen”. Musikalisch gibt es da keine Kompromisse und mit ordentlich Wah-Wah wird durch die Prärie gefegt. Die Texte sind selbstveständlich wieder auf einem Niveau, wie man sie im deutschsprachigen Pop- und Rockbereich nur bei Selig findet.
Einer der ungewöhnlichsten Selig-Nummern dürfte “Ich bin kein Gott mehr” sein. In knapp einer Minute ist alles gesagt und das plötzliche Ende verstärkt die Thematik zusätzlich und als Hörer meint man das schon körperlich zu fühlen. So traurig, so schön.
Die Umstände der damaligen Trennung wird von der Band mittlerweile ja offensiv angegangen und es bleiben da kaum noch Fragen offen. Hört man sich “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” unter diesem Aspekt an, dann kann man überall versteckte Hinweise dazu finden oder zumindestens in diese Richtung interpretieren. Hier wird verarbeitet, was bei der ersten Platte nach der Reunion noch nicht möglich war. Schön, dass Selig mittlerweile wieder so gefestigt sind!
Fazit: “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” ist ein typisches Selig-Album und auf der anderen Seite doch wieder nicht. Was sich wie ein Widerspruch anhört, muss es aber nicht sein. Zwar kann man die Urheber sofort heraus hören und doch sind Selig manchen Weg noch weiter gegangen. Härter sind sie geworden, auch ein Stück melancholischer, sie haben den Folk entdeckt, die psychedelischen Momente noch weiter ausgearbeitet und nicht zuletzt ein sehr geschlossenes Album aufgenommen – das war nicht immer so. Wer meint, dass Selig hier einen Schnellschuss aufgenommen haben, der hat einfach nicht richtig hingehört!
Text: Torsten Schlimbach
Selig: Und Endlich Unendlich
Universal
VÖ: 20.03.2009
Wertung: 8/12
Kaum eine Reunion hat in den letzten Jahren im Vorfeld für so viel Furore und positive Resonanz gesorgt wie die von Selig. Internetforen überschlagen sich mit Beiträgen zu Deutschlands bester Rockband der 90er. Man hat noch keinen neuen Ton gehört, ist sich aber schon sicher, dass die Band nichts vom Können vergangener Tage eingebüßt hat. Die Truppe wurde vermutlich selber vom ganzen Ansturm überrascht und buchte für die Tour erstmal kleinere Veranstaltungsorte. Ziemlich schnell mussten die fünf Jungs von Selig aber erkennen, dass die Nachfrage wesentlich größer ist. Die Hallen wurden schnell noch umgebucht und mittlerweile steht im Herbst schon wieder eine Tour an. Wer hätte diesen ganzen Wahnsinn vermutet?
Die Hamburger haben daran vermutlich gar keinen Gedanken verschwendet, als sie erstmals wieder zusammenkamen um mal auszuloten, ob es musikalisch noch hinhaut. Wie sich herausstellte knisterte es noch in ihren Venen, ganz besonders beim gemeinsamen Musizieren. Die Kiste läuft sogar so gut, dass mit „Und Endlich Unendlich" nun ein Album mit zwölf neuen Stücken vorliegt. Eingespielt wurden große Teile übrigens live – ganz so wie es sich für Selig gehört.
So toll die ganze Euphorie um die Widervereinigung auch ist, bei einer derartigen Erwartungshaltung können Selig eigentlich nur verlieren. Und ja, beim ersten Durchgang gibt es erstmal ein langes Gesicht. Wie? Das war alles? Nein, auf „Und Endlich Unendlich" gibt es kein „Sie hat geschrien", „Ohne Dich" oder „Ist Es Wichtig"! Dafür gibt es aber zwölf andere Tracks, die entdeckt werden wollen und wer bereit ist, sich auf die selige Reise einzulassen, wird nach und nach ein Album vorfinden, welches dann doch überzeugt – nur anders.
Es dauert allerdings ein paar Runden, bis man die neuen Selig verinnerlicht hat. Natürlich darf man keine Angst vor einer großen Portion Pathos haben und auch die Texte sind sehr bedeutungsschwanger – muss man sich drauf einlassen können und wollen, sonst funktioniert „Und Endlich Unendlich" nicht. Zudem empfiehlt sich der Einsatz von Kopfhörern, dann erschließt sich doch das ein oder andere, was zuvor noch belanglos klang.
Das Album beginnt gar nicht so untypisch. „Auf dem Weg zur Ruhe" lässt keine Zweifel daran, wer hier der Urheber ist. Diese Stimme! Auch die musikalische Umsetzung gibt dem Zuhörer ein Gefühl von zu Hause. Langsam baut sich der Song auf und entwickelt sich dann zu einem wohldosierten Selig-Rocker, der nach hinten raus ordentlich Betrieb macht. Waren die 90er jemals vorbei? Egal! So lange sie sich so anhören ist doch alles in Butter. Es war klar, dass es so nicht weitergehen kann. Die Jungs sind reifer und älter geworden. „Wir werden uns wiedersehen" erinnert dann sogar an Rio Reiser. Dieser melancholische Unterton ist allerdings auch nicht neu für Selig, von daher fügt sich ein Rädchen in das andere. „Schau Schau" entpuppt sich nach und nach als eine neue Hymne am Selig-Himmel.
Die ruhige Phase wird mit „Ich fall in deine Arme" eingeleitet. „Lang lebe die Nacht" und „Die alte Zeit zurück" sind vordergründig zwar etwas schneller, kommen im Grunde aber über den Midtempo-Bereich nicht hinaus und leider hält auch etwas Langeweile Einzug. Macht aber nichts, denn „Ich bin so gefährdet" lässt Selig wieder zur Höchstform auflaufen. Der Gesang von Jan Plewka sprudelt über vor Charisma, das Gitarrenspiel von Christian Neander setzt die richtigen Akzente und Malte Neuman stellt unter Beweis, dass ein Keyboard doch nicht überflüssig sein muss. „Immer wieder" stampft und rockt danach wieder fleißig durch die Prärie, bevor „Der schönste aller Wege" glatt als Erlösungslied durchgeht. Wie erwähnt – die bedeutungsschwangeren Texte muss man abkönnen.
Tonnenschwerer Blues rollt mit „Ich dachte schon" anschließend über den Zuhörer hinweg, bevor „Du siehst gut aus" erneut ordentlich auf den Putz haut. „Traumfenster" beendet die Scheibe dann nicht nur nachdenklich, sondern entpuppt sich sogar als Selig-Sternstunde.
Fazit: Mit „Und Endlich Unendlich" legen Selig ein grundsolides Comeback hin. Alle Zutaten, für die man die Band in den 90ern in sein Herz geschlossen hat, werfen sie auch hier wieder in die Waagschale. Es ist nicht alles Gold was glänzt, aber wenn man bereit ist, den ein oder anderen Staub wegzupusten, wird man doch viel Schönes vorfinden!
Text: Torsten Schlimbach