Fiona Apple: The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw....
Sony
VÖ: 15.06.2012
Wertung: 10/12
Tipp!
Fiona Apple ist vielleicht einer der begabtesten Songschreiberinnen ihrer Generation. Leider hört man viel zu selten neues Material aus ihrer Feder. Eine Bilderbuchkarriere sieht sicher anders aus. Nach dem noch recht zugänglichen Album „Tidal“ wurde ihre Musik über die Jahre immer sperriger. Das mündete zunächst schließlich in der Nichtveröffentlichung von „Extraordinary Machine“. Das Label war nicht gewillt diese Songs so unter die Leute zu bringen. Das Material wurde kommerziell als nicht erfolgsversprechend eingestuft. So einfach kann es manchmal sein einen Künstler auszuhebeln. Letztlich wurde die Platte doch noch veröffentlicht und von vielen Händen verdorben. Die Überarbeitung, die im Jahr 2005 in die Läden gestellt wurde, wich von der Ursprungsversion doch erheblich ab. Diese tauchte wie von Zauberhand zu großen Teilen schließlich auch noch in den unendlichen Weiten des Internets auf. So kann es gehen.
Ob jetzt alle Seiten miteinander Frieden geschlossen haben ist nicht weiter bekannt. Fakt ist, dass nun mit „The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do” wieder ein Album mit einem epischen Titel vorliegt. In Zukunft wird man diese Platte sicher als “The Idler Wheel” kennen. Erstaunlicherweise ist das erst die vierte Platte von Fiona Apple. Schwierigikeiten mit dem Label mögen den Prozess beim letzten Album hinausgezögert haben, diesmal war es die Künstlerin selber.
Wann genau sie mit den Arbeiten für dieses Album begonnen hat, weiß sie auch nicht mehr so genau. Sie sagt, dass es 2008 gewesen sein könnte oder vielleicht auch 2009? Zeit spiele jedenfalls keine Rolle. Ein paar Zeilen von “Left Alone” brachten die Sache schließlich ins Rollen. Sie arbeitete übrigens diesmal völlig autark und im Verborgenen. Labelvertreter wussten jedenfalls nichts von diesem Album, bis, ja bis sie damit plötzlich um die Ecke kam. Bei einem Geheimkonzert stellte sie erstmals neues Material vor und dann wurde auch schon eine Promotour angesetzt. Sicher auch ein schwieriger Schritt, weiß man doch, dass die Alleinlebende selten das Haus verlässt und nur wenige Freunde ganz nah an sich ranlässt.
Wer nach Jahren erstmals wieder aktuelle Bilder von Fiona Apple aufgrund der anstehenden Veröffentlichung zu Gesicht bekam, war zunächst sicher geschockt. Aus der einst wunderhübschen jungen Frau ist eine vom Leben gezeichnete ältere Dame geworden – und das mit Jahrgang 77. So ähnlich ist es auch mit “The Idler Wheel Is...”. Zunächst ist man irritiert, ein bisschen verwirrt, vielleicht sogar enttäuscht und dann macht sich unbändige Freude breit. Fiona Apple und ihre Musik entspricht keiner Norm, keinem Mainstreamverständnis und ist sowieso mal wieder viel zu spröde und sperrig. Oder kann sich tatsächlich einer “Every Single Day” oder “Werewolf” zwischen dem ganzen belanglosen Sirenengeheul und Klimbim-Dance der Charts vorstellen? Richtig, das passt nicht zusammen. Erfreulicherweise!
Es gibt auf diesem Album 42 Minuten und nicht eine davon hat auch nur im Ansatz Hitqualitäten. Dafür strahlt diese Platte zu jeder Sekunde eine morbide Schönheit aus, der man sich nur schwerlich entziehen kann. Dieser pure Minimalismus zieht einen von den ersten Klängen bei “Every Single Day” in seinen Bann. Die Atmosphäre ist gar klaustrophobisch. Ein vestohlenes Plukern, Glockenklänge, die durch Mark und Bein gehen und dann diese Stimme! Düster, geheimnisvoll, aber eben auch bedrohlich. In einer besseren Welt wäre "Daredevil" vermutlich ein Hit. Natürlich nicht im eigentlichem Sinne. Auch, wenn sie hier erstmals beherzt in die Tasten haut, folgen die Pattern doch keinem bestimmten Motiv. Die Claps im Hintergrund klingen dann auch schon wieder wie in der Hölle aufgenommen und wenn es dann aus Fiona Apple auch noch mit brüchiger Stimme herausbricht, dann scheint eine ganze Armada an Dämonen aus den Boxen zu steigen. Unheimlich.
“Valentine” mit dem herzhaft in die Welt hinausgetragenen “I Love You” Mantra ist da schon weitaus positiver ausgefallen. Musikalisch wurden sogar ein paar Versatzstücke aus der Jazz-Ecke eingesammelt. Anschließend ist “Jonathan” aber wieder die komplette Kehrtwendung. Das passt gleichwohl in einen David Lynch und Tim Burton Film. Die machen ja auch keine Kunst von der Stange. Und genau das ist es, was “The Idler Wheel Is...” ist: Kunst!
Da fällt es auch gar nicht weiter auf, dass “Left Alone” gar nicht so großartig wie der Rest ist. Muss man ja auch nicht weitersagen. “Werewolf” ist es nämlich schon. Text und Titel würden eine völlig andere Musik dazu vermuten lassen und dann wird das mal eben eine wunderschöne Pianoballade im Fiona Apple Style. Das ist immens wichtig zu betonen, denn Kitsch ist nun wirklich nicht ihr Ding. Keine Soße bitte! So schön wie sie das Piano bei “Periphery” stolpern lässt, kriegt es nicht mal eine Tori Amos hin. Hört man da gar einen Walzertakt? Stimme und Tasteninstrument reichen vermeintlich um diese dichte Atmsophäre zu erzeugen. Da nimmt man die ganzen Hintergrundgeräusche kaum wahr und dann gibt es ja auch noch einen Backingchor. Jedenfalls fast.
“Regret” ist danach die epische Abfahrt zum Belzebub. Dagegen wirkt “Anything We Want” wie die positive Botschaft aus dem ewigen Feuer: wird doch alles wieder gut werden. Das stimmgewaltige “Hot Knife” beendet die Platte. Zwischen Weltmusik und Musical lässt Fiona Apple den staunenden Zuhörer zurück. Plötzlich ist es vorbei. Ohne Vorwarnung. Faszinierend!
Fazit: Das vierte Album von Fiona Apple bricht mal wieder mit allen herkömmlichen Strukturen der modernen Populärmusik. Avantgarde, Indie, Kammermusik bis hin zu Klängen der Weltmusik und der Musicals ist da alles möglich. Und doch ist Fiona Apple meist mit sich und ihrem Piano ganz alleine. Und den Geräuschen. Diese Platte ist hervorragend – man muss sich aber drauf einlassen können und wollen! Aber auf welchen Fiona Apple Hörer treffen diese Eigenschaften nicht zu? Na also!
Text: Torsten Schlimbach