Interpol: El Pintor
Soft Limit/Rough Trade
VÖ: 05.09.2014
Wertung: 8/12
Das Musikgeschäft funktioniert nicht wie ein Hollywood Blockbuster. Tat es noch nie. Oftmals ist das mit Schmerz, Verletzungen und Enttäuschungen verbunden. Fast jede Band muss dies im Verlaufe der Karriere durchleben und Besetzungswechsel sind an der Tagesordnung. U2 ist da eine Ausnahme, aber viel mehr Bands fallen einem da auch nicht mehr ein. Musik ist eben nicht „Dirty Dancing“ und Paul Banks nicht Johnny und Carlos Dengler nicht Babe. Interpol machen jetzt ohne den eigentlich unersetzbaren Dengler weiter. Der Ex-Bassist war ja nicht nur für den Sound und die Musik extrem wichtig sondern auch visuell ein ganz entscheidender Faktor. Nach der letzten Platte stieg er aus und somit standen Daniel Kessler, Paul Banks und Sam Fogarino am Scheideweg. Weitermachen oder alles beenden? Einstweilen entschied man sich getrennte Wege zu gehen. Letztlich führte dies zu einer Auszeit von fast drei Jahren und während dieser Zeit lebten sie auch noch in unterschiedlichen Städten. Es hätte alles ein böses Ende nehmen können. Hat es aber nicht und „El Pintor“ ist das überraschende Ergebnis. Das überraschend gute Ergebnis!
Banks und Kessler trafen sich im August 2012 wieder. Gemeinsam musizierten sie – ohne Masterplan. Die Chorus-Melodie von „My Desire“ in diesem frühen Stadium gab wohl den Ausschlag, dass es zu einer Art Aufbruchstimmung kam. Und Banks spielt jetzt Bass! Und das macht er auch noch gut. Kurioserweise führte eine Schreibblockade dazu, denn ihm fiel partout nichts auf der Gitarre ein und so konnte er Kessler und seinen Ideen nicht folgen. Fogarino kam erst viel später dazu und war beeindruckt, wie weit seine Kollegen schon waren. „El Pintor“ - ein offensichtliches Anagramm des Bandnamens – wurde in den Electric Lady Studios und dem neuen Atomic Sound Studio in New York aufgenommen.
Wenn man ganz ehrlich ist, dann stagnieren Interpol stilistisch seit jeher. Ein Interpol-Song ist ein Interpol-Song. Trotzdem treten sie keineswegs auf der Stelle. Hört man sich das neue Werk an, dann muss auch die Frage erlaubt sein, ob der gute Dengler nicht auch etwas überschätzt wurde. „El Pintor“ wird ihn ärgern, keine Frage. Intepol kommen auch gut ohne ihn klar und auf eine luftige Weise wirken die verbliebenen drei Mitglieder wie befreit. Die Songs werden auch nicht mehr komplett ausgefüllt und da wird noch genug Luft gelassen. Intepol sind immer noch eine Band für die Nacht und doch meint man hin und wieder das Tageslicht zu sehen.
Banks singt wie kaum ein anderer. Wie der Fürst der Dunkelheit ist er der Inbegriff von New York. Es geht um alles. Dunkel und bedrohlich. „All The Rage Back Home“ wird dazu von Kessler mit seinen flirrenden Gitarrenmotiven ausgefüllt, dass es nur so eine Art ist. Dies ist mit einer Dringlichkeit versehen die einen beim Schopf packt und mit einem Sog in das Album zieht. Kessler scheint hier überhaupt aufzublühen. Das düstere „My Desire“ wird von seinen eindringlichen Riffs dominiert. Erhaben thront sein Spiel über den ganzen Flächen. Interpol denken immer noch in großen Soundcollagen, keine Frage. Fogarino geht dabei aber keineswegs unter, denn das große „Anywhere“ wäre ohne seinen Punch nichts wert. „Same Town, New Story“ ist interessant, hat aber auch gehöriges Nervpotenzial. Das Geklingel und Gegniedel von Kessler kann einem schon so ein bisschen auf den Keks gehen. Macht ja nichts, mit „My Blue Supreme“ entdecken Interpol, dass Entschlackung auch mal herrlich entspannt sein kann.
„Everything Is Wrong“ gefällt mit einem tollen, treibenden Bassmotiv. Man meint zu hören, dass der Banks da im Studio grinst. Die vielen kleine Brüche – wie in fast jedem Song – halten den Spannungsbogen hoch. „Breaker 1“ gönnt sich zwischendurch auch mal eine kleine Verschnaufpause und dann wird die nächste Soundwand aufgebaut. Das ist neu an Interpol im Jahre 2014. Wo sie früher noch mehr Schichten gestapelt hätten, nehmen sich die drei Herren jetzt auch mal den Freiraum einfach etwas Druck rauszunehmen. „Ancient Ways“ ist etwas komisch und Musik und Gesang verlaufen ziemlich gegensätzlich. It must be Art. Der beachtlichste Track auf dieser Platte ist „Tidal Wave“. Für sich gesehen ist der Song keine Sensation, aber doch – gerade für Interpol – außergewöhnlich. Das Zusammenspiel harmoniert hier perfekt und wie sich diese Nummer immer mehr steigert, zwischendurch auch mal den Beat verschleppt, ist ganz wundervoll. „Twice As Hard“ ist zum Schluss ein Walzer in der Interpol-Interpretation und mäandert dann doch wieder in Sphären, die eben nur New Yorker erreichen.
Fazit: Interpol treten mit „El Pintor“ an um den Indiethron zu verteidigen. Es könnte abermals klappen. Dieses Album lässt seine Urheber unschwer erkennen. Die Band hat sich durch den Ausstieg von Dengler nicht verändert und doch wurden neue Weg beschritten. So hart es für den Mann auch ist, aber man vermisst Dengler auf dieser Platte nicht eine Sekunde. Seine ehemaligen Kollegen haben die Gunst der Stunde genutzt und den Sound mal etwas entschlackt. Man kann jetzt trefflich darüber streiten wie sich „El Pintor“ in den Backkatalog einfügen wird, es ist und bleibt sowieso eine gute Platte. Die Geschichte von Interpol ist noch lange nicht auf der letzten Seite des Buches angekommen und „El Pintor“ somit ein weiteres, spannendes Kapitel.
Text: Torsten Schlimbach