Coldplay: Live 2012 (CD/DVD)
EMI
VÖ: 16.11.2012
Wertung: 7/12
Neun Jahre hat es gedauert, bis Coldplay eine neue Live-DVD in die Läden stellen. Eigentlich kaum zu glauben, dass eine Band mit diesem Status dieses Medium so sträflich vernachlässigt. Viele Fans hatten gehofft, dass die „Mylo Xyloto World Tour“ nun mit einem ganzen Konzert gewürdigt wird. Von diesem Gedanken kann man sich gleich wieder verabschieden. „Live 2012“ kann diese Ansprüche in keinster Weise erfüllen. Alle Beteiligten an diesem Werk hatten aber auch von Anfang an etwas ganz anderes im Sinn. Wer also eine simple Konzertaufnahme erwartet, kann nur enttäuscht werden. Es handelt sich hierbei nämlich um einen dokumentarischen Konzertfilm, der eben nicht nur auf Liveaufnahmen setzt.
Mit Paul Dugdale hat man einen Regisseur für dieses Projekt gewonnen, der schon durch seine Arbeit an Adeles „Live At The Royal Albert Hall" bekannt geworden ist. Er hat schon dort einen ganz eigenen Stil erkennen lassen und dieser fließt nun auch in „Live 2012“ mit ein. Zwischen den einzelnen Songs gibt es immer wieder Passagen, die sich den Hintergründen der Tour widmen. Ganz deutlich wird dort noch mal der Ansatz des ganzen „Mylo Xyloto“ Wahnsinns erklärt und dem geneigten Zuschauer näher gebracht. Es sollte – beim Album angefangen – eine farbenfrohe Angelegenheit werden. Hat die Rock- und Popwelt überhaupt schon mal ein bunteres Konzept gesehen? „Mylo Xyloto“ ist mit all seiner Pracht derart mit Zuckerwatte überhäuft worden, dass die Zahnärzte dieser Welt einen regen Zulauf verzeichnen dürften. Weniger wäre in allen Bereichen die deutlich bessere Wahl gewesen. Immerhin haben die Jungs von Coldplay nicht gekleckert und das ganz große Besteck aufgefahren!
Die vielen Interviewpassagen zwischen den einzelnen Songs haben zwar auch die üblichen Floskeln zu bieten - „bestes Album“, „beste Tour“, „Band ist so gut wie noch nie“ - eben die üblichen und abgedroschenen Geschichten, die man eben so erzählt, wenn man noch in seinem aktuellen Projekt feststeckt, erstaunlicherweise geht es aber auch etwas tiefer. Da ist dann plötzlich - fast ein wenig versteckt - von den vielen Problemen rund um die Band die Rede. Um die Chemie untereinander war es wohl nicht immer ganz so gut bestellt, Suchtprobleme stellten zusätzlich alles in Frage und Chris Martin weiß sogar zu berichten, dass er in der Vergangenheit schon etwas über die Stränge geschlagen hat und nicht mehr ganz so geerdet war. Wann hat man von Coldplay jemals derart klare und kritische Töne gehört oder gelesen? Dazu wird noch ein bisschen aus dem Tournähkästchen geplaudert und auch von den Problemen rund um den Alltag. Und auch hier gibt es einige bemerkenswerte Zwischentöne.
Die Liveaufnahmen sind von unterschiedlichen Konzerten zusammengeschnitten worden. Den Löwenanteil machen allerdings die Songs aus dem Stade De France aus. Wer jemals ein Konzert in diesem wunderbaren und beeindruckenden Stadion mit diesem verrückten Publikum erlebt hat, wird wissen, warum die Wahl hierauf fiel. Umso weniger kann man zum guten Schluss verstehen, warum man das nicht besser genutzt hat, sprich auch entsprechend eingebunden wurde. Bei diesem Schnitt und den vielen Kunstgriffen kommt weder das Publikum noch dieser beeindruckende Veranstaltungsort so richtig zur Geltung.
„Letztendlich geht es in dem Film um Menschen und wir wollten herausstellen, wie es die Band jeden Abend schafft, die Grenze zwischen Bühne und Publikum so zu verwischen, dass ein Erlebnis entsteht, das jeden Anwesenden von der ersten bis zur letzten Reihe im Stadion erreicht.“ Und tatsächlich gibt dies „Live 2012“ wieder und doch geht das auch einigermaßen in die Hose. Bei der Produktion hat man es einfach mit der Reizüberflutung übertrieben. Das eigentliche Konzert ist ja schon bunt genug: ein Konfettiregen hier, ein Feuerwerk da und dann auch noch die – großartige – Idee mit den Blinkarmbändern, es hätte ja eigentlich gereicht. Nun flirren auch noch Wortfetzen durch das Bild, bunte Kreisel, Streifen und derart viel Gedöns, dass es einfach zu viel ist. Hunter S. Thompson und Timothy Leary hätten an den vielen bunten Einspielungen ganz sicher ihre helle Freude gehabt.
Der Schnitt ist teilweise etwas unglücklich und zu hektisch. Letztlich ist das Geschmackssache und damit muss man heute leider leben, denn es gibt kaum noch eine Produktion, die es anders bewerkstelligt. Das Bild hingegen ist hin und wieder recht grobkörnig – ein weiteres, eingesetztes Stilmittel. Man kann nun wirklich keinem einen Vorwurf machen, dass das Konzept von „Mylo Xyloto“ nicht bis ins kleinste Detail verarbeitet wurde. Bei „Us Against The World“ kommt dann auch noch eine Super 8 Kamera zum Einsatz. Coldplay müssen in der Zukunft allerdings aufpassen, dass die Musik nicht in den Hintergrund tritt und darunter leidet – wenn dies nicht sowieso schon der Fall ist. Das hat alles etwas von einem großen Kindergeburtstag, dies unterstreichen sogar die vielen S/W-Aufnahmen.
Der Sound wirkt teilweise etwas zu steril und zu sehr nachbearbeitet. Trotzdem sind die Versionen, gerade von den Klassikern, sehr schön. „In My Place“, „Yellow“, „Clocks“ oder „Fix You“ sind ja mittlerweile überlebensgroß und ganz große Nummern der 00er Jahre! „Charlie Brown“ lebt davon, dass die Armbänder das Blinken anfangen und „Princess Of China“ bezieht seinen Reiz aus dem gemeinsamen Auftritt mit Rihanna, die in Paris dabei war. Die Idee „Us Against The World“ am anderen Ende des Stadions auf der Tribüne zu spielen ist sicher auch eine sehr schöne Idee. Übrigens erfährt man als Zuschauer nun auch, wie dies unterirdisch vonstatten gegangen ist. Das Bonsumaterial hat dann noch weitere Songs zu bieten, leider unterstreicht dies etwas den zerstückelten Eindruck. Nett ist sicher die Tatsache, dass man die Songs auch noch mal auf CD quasi umsonst dazu bekommt, da das CD/DVD Paket zum Preis einer stinknormalen CD erworben werden kann!
Fazit: Wer einen Konertfilm mit dokumentarischen Charakter der letzten Coldplay-Tour sucht, wird mit „Live 2012“ bestens bedient. Die bunte Vielfalt des Gesamtkonzepts wird sehr gut herausgearbeitet und zeigt die vielen Facetten von „Mylo Xyloto“. Auf die Zwischentöne kommt es an. Diese Produktion wird polarisieren. Wer einfach nur ein komplettes Konzert genießen möchte, guckt eher in die Röhre. Wenn dieses Bandkapitel dann endgültig abgeschlossen ist, wäre die Band gut beraten den Fokus wieder mehr auf die Musik zu lenken – mehr Blingbling geht ja auch nicht.
Text: Torsten Schlimbach