Nick Cave & The Bad Seeds: Lovely Creatures (Deluxe Edition)
Mute/Warner
VÖ: 05.05.2017
Wertung: 12/12
Tipp!
Normalerweise sind „Best Of“-Zusammenstellungen eine ziemlich ideen- und seelenlose Geschichte. Dies trifft auf „Lovely Creatures“ von Nick Cave & The Bad Seeds ausdrücklich nicht zu! Das Album wurde von Nick Cave und Mick Harvey zusammengestellt. Die Bandmitglieder der Bad Seeds – und dies schließt ausdrücklich auch die ehemaligen Weggefährten mit ein – durchforsteten ihre persönlichen Archive und gaben ungesehene Fotos oder Memorabilien für dieses Projekt frei. So gibt es selbst für langjährige Fans noch eine Menge zu entdecken. Das Material der DVD – gespickt mit Liveauftritten, raren Aufnahmen und dem Interviewmaterial - dürfte auch nicht jeder kennen oder im Schrein stehen haben.
Eigentlich war „Lovely Creatures“ schon seit Längerem für eine Veröffentlichung vorgesehen und sollte im Herbst 2015 erscheinen. Es galt drei Jahrzehnte zu feiern und zu würdigen. Dann geschah die Tragödie, bei der der Sohn von Nick Cave starb. „Skeleton Tree“ und die dazugehörige Dokumentation halfen vielleicht bei der Verarbeitung und so musste dieses Projekt hier ruhen. Jetzt erscheint es in vier verschiedenen Konfigurationen. Die Doppel-CD ist zwar nett, aber letztlich nicht mehr als ein Update der ersten „Best Of“, da die Ergänzung zwar bis „Push The Sky Away“ reicht, naturgemäß aber keinen Platz für rares Material lässt. Selbiges gilt natürlich auch für die dreifach Vinyl. Interessant wird es dann bei der Deluxe und Super Deluxe Edition.
Die Aufmachung der Deluxe Edition ist schon ziemlich fein. Im Buchformat präsentiert sich „Lovely Creatures“ auch optisch hervorragend. Die Liner Notes von Kirk Lake sind sehr umfangreich und erhellend. Im direkten Anschluss gibt es sehr viele Fotos – auch aller ehemaligen Mitglieder – zu sehen. Informationen zu den Songs und der DVD runden das als Gesamtpaket sehr schön ab. Übrigens gibt es dieses Set schon für recht schlanke 22 Euro zu erwerben und das ist alleine schon aufgrund der liebevollen Aufmachung fast geschenkt.
Die drei CDs haben in der Summe 45 Songs zu bieten. Das ist schon mal ein Brett, da man so als Hörer den Wandel von der Postpunk über die fast schon klassischen Singer/Songwriter-Phasen und das Croonertum bis zu den Effekt- und Loopspielereien nachvollziehen kann. Jede CD widmet sich dabei einem Jahrzehnt und lässt auch Platz für heimliche Höhepunkte, Soundtrackbeiträge oder einigen anderen raren Geschichten.
Die erste CD startet mit der heiligen Dreifaltigkeit „From Her To Eternity“, „In The Ghetto“ und „Tupelo“. Das war ja nun mehr oder weniger zu erwarten und gehört schon zum australischen Kulturgut. Ruppig ist das. Mit „In The Ghetto“ deutet Cave aber auch schon an, wohin die Reise mal gehen wird. „The Mercy Seat“ ist längst zu einem Klassiker avanciert und „The Weeping Song“ und „The Ship Song“ sind musikalisch schon wunderschöne Kleinode. Mit „Papa Won´t Leave You, Henry“ gibt es aber auch schon auf der ersten CD einen heimlichen Fanliebling zu hören.
Mit dem ikonischen „Do You Love Me?“ startet die zweite CD. „Nobody´s Baby Now“ schließt sich als schwelgerischer und verträumte Song an und gibt schon einen dezenten Hinweis, was da in den 90ern noch folgen sollte. Das dunkle „Loverman“ und besonders „Red Right Hand“ werden trotz Ausflügen zum Minimalismus sehr schön schaurig von den Bad Seeds in Szene gesetzt. „Stagger Lee“ ist sowieso immer wieder ein Fest und von der Erzählstruktur und dem Aufbau einmalig. „Where The Wild Roses Grow“ half einst Kylie Minogue aus dem Karrieretief. Das Video dazu lief auf MTV rauf und runter. „Into My Arms“ - getragen vom Klavier – ist ein wundervolles Kleinod, genau wie „People Ain´t No Good“. Augen schließen und träumen. Die Melancholie von „(Are You) The One That I´ve Been Waiting For“ trifft zudem mitten ins Herz. „Come Into My Sleep“ zeigt aber auch, dass Cave und seine Bad Seeds durchaus auch noch treibende Rhythmen im Gepäck hatten. Danach wird es mit „Love Letter“ und natürlich „God Is In The House“ schon regelrecht sakral. Die Wandlungsfähigkeit ist schon beachtlich.
Und wer denkt, dass Cave seine Rotzigkeit abhanden gekommen ist, der sollte sich das scheppernde Postpunk-Stück „Hiding All Away“ anhören! Und dann kreuzt er das auch noch mit Gospelanleihen – das spottet jeder Beschreibung. „There She Goes, My Beautiful World“ ist gar opulent ausgearbeitet und steigert sich bis zum Pathos. Live ist das gerne ein wilder Ritt. „Nature Boy“ kommt sogar als straighter Rocker daher. „O Children“ kennt der eine oder andere Hörer vielleicht nur aus Harry Potter. Man wird das dann auf ewig mit dem Tanz von Hermine und Harry verbinden. Dagegen ist „Dig, Lazarus, Dig!!!“ regelrechter Schweinerock. Mit dem Spätwerk hat sich Cave noch mal ein Denkmal gesetzt. Das Album „Push The Sky Away“ war 2013 die Platte des Jahres. Der gleichnamige Song, aber auch „We No Who U R“, „Jubilee Street“ und „Higgs Boson Blues“ unterstreichen sehr eindrucksvoll warum das so ist!
Höhepunkt des Sets ist sowieso die DVD! Über 2 Stunden kann man hier Live-Auftritte aus allen Phasen der Karriere der Bad Seeds bewundern. Dies reicht von den ruppigen Anfängen bis zu den ruhigen und dezenten Klängen bis ins Jahr 2013. Von den als "Interviews" deklarierten Beiträgen sollte man allerdings nicht zu viel erwarten, da es sich hier meist um kurze und knackige O-Töne von Cave handelt. Das Bild ist auch von höchst unterschiedlicher Qualität. Das reicht von Handyaufnahmen über Youtube-Videos bis zu erstklassigen S/W-Aufnahmen.
Viele Auftritte, beispielsweise aus dem Studio, sind von einer beeindruckenden Intimität geprägt. Hier kommt man den Musikern und Künstlern sehr nahe. Cave präsentiert sich auch dort als der unumstrittene Chef im Ring und alles hört auf sein Kommande und achtet auf seine Gesten. Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie schnell jeder Einzelne auf die Wünsche von Cave eingehen kann - wohlgemerkt während der Song weiter gespielt wird! "Higgs Boson" Blues" wirkt da wie ein Blick durch das Schlüsselloch. "From Her To Eternity" von 1984 ist von der Bildqualität zwar miserabel, aber dafür ist dieser Auftritt aus den USA unverzichtbar, wenn man die Entwicklung der Band verfolgen will. Die vielen Gesichter und Inkarnationen von Blixa Bargeld - und später Warren Ellis - sind zudem auch höchst bemerkenswert.
DIe intimte Aufnahme von "Love Letter" aus den ABC Studios in Australien geht zu Herzen. Hier kommt man Cave so nahe, dass da sämtliche Barrieren fallen. Schade, dass er in Zagreb 2008 das eigentlich wunderschöne "Into My Arms" mehr gesprochen denn gesungen hat. Dafür ist "The Mercy Seat" vom Bizarre Festival 1996 großartig. "God Is In The House" wurde für "Later With Jools Holland" aufgezeichnet. Cave singt und spielt Klavier und die restlichen Bad Seeds versammelten sich um das Instrument und hörten - mehr oder weniger - dem Meister einfach nur zu. Blixa Bargeld hat dann auch noch den Vogel abgeschossen und geraucht. Geraucht wurde bei den Bad Seeds aber sowieso sehr viel. Die S/W-Aufnahme von "Jubilee Street" verbreitet eine sehr intensive Atmosphäre. Übrigens unterstützt ein Kinderchor die Band. Sehr hörenswert. "In The Ghetto" hat man sich bei Youtube geliehen. Man sieht kaum was, aber natürlich ist die Aufnahme von 1984 für diese Kapelle von historischer Bedeutung. "Where The Wild Roses Grow" hat selbstverständlich auch Kylie Minogue am Start. Kennt man von MTV Most Wanted. Das waren noch Zeiten! "Stagger Lee" - aufgenommen in London 1996 - ist großartig und auf seine Art gefährlich. Die S/W-Aufnahmen von "Push The Sky Away", mit seinen Streichern und seinem Chor, gleicht gar einer spirituellen Erfahrung. Das Material der DVD ist in jeder Hinsicht großartig, auch wenn die Bildqualität sehr unterschiedlich ausgefallen ist. Der dokumentarische Wert ist aber immens!
Fazit: Es gibt „Best Of“ und es gibt ab jetzt „Lovely Creatures“ von Nick Cave & The Bad Seeds. Die Aufmachung der Deluxe Edition ist sehr liebevoll ausgefallen und kann mit vielen raren Fotos punkten. Die Haptik ist zudem überragend. Die drei CDs lassen einen an der musikalischen Reise über drei Jahrzehnte teilhaben. Das Repertoire ist schon beachtlich. Heimlicher Höhepunkt von diesem Set ist die DVD, die die ganze Geschichte auch sehr ausdrucksstark bildlich in Szene gesetzt hat und mit einer Mischung aus Livematerial, Interviews und rarem Material ganz fett punkten kann. Alles in allem eine tolle Zusammenstellung – nicht nur für Neueinsteiger!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: Skeleton Tree
Bad Seed Ltd./Rough Trade
VÖ: 09.09.2016
Wertung: 12/12
Tipp!
Es fällt schwer, das neue Album von Nick Cave in irgendeiner angemessenen Art und Weise zu besprechen. Es fällt ja schon schwer „Skeleton Tree“ überhaupt zu hören. Es ist ein schmerzhaftes Werk. Susi und Nick Cave verloren letztes Jahr im Sommer ihren Sohn Arthur, als dieser tödlich verunglückte. Für Eltern kann es keinen schlimmeren Schicksalsschlag geben. Der Künstler Nick Cave versuchte diesem Trauma auf die ihm eigene Art Herr zu werden: durch und mit seiner Musik. Als Cave die Arbeiten an dem, was nun „Skeleton Tree“ geworden ist, wieder anging, wurde er von Regisseur Andrew Dominik begleitet. Diese Aufnahmen sind zum begleitenden Film „One More Time With Feeling“ geworden. Aber was heißt schon begleitend? Album und Film sind ganz eng miteinander verknüpft und wer dieses Musikwerk in seiner Gänze verstehen will, sollte auch die visuelle Unterstützung kennen. Die emotionale Tiefe von „Skeleton Tree“ wird dadurch noch greifbarer. Und trauriger.
Diese achte Tracks sind voller Verzweiflung und von Trauerarbeit durchzogen. Cave versucht mit brüchiger Stimme das Unglaubliche zu verarbeiten. Ungefiltert. Die ihm ganz eigene Poesie gibt es auf „Skeleton Tree“ nicht. Die Texte lassen keine Fragen offen und sind von einer schmerzlichen Direktheit durchzogen. „With my voice I am calling you, Nothing really matters when the one you love is gone, I need you“. Der Künstler und die Kunstfigur Nick Cave verschwindet auf diesen acht Songs vollends. Der Mensch Nick Cave legt einem seine ganze Emotionalität zu Füßen. Vielleicht hilft es seiner Frau, seinem verbliebenen Sohn Earl und ihm ein bisschen den Tod des geliebten Sohnes und Bruders zu verarbeiten.
Die Bad Seeds gehen mit sehr viel Empathie zu Werke. Es fällt schwer, angesichts der Hintergründe, Superlative niederzuschreiben. „Skeleton Tree“ ist aber nichts anderes als ein Meisterwerk. Es wird auf ewig eine Sonderstellung im umfangreichen Schaffen von Cave einnehmen. Die Songs schweben und sind ganz ruhig gehalten.Schlagzeug und Bass finden meist im Hintergrund statt. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Songs stehenbleiben. Synthesizer, Loops, Vibraphone oder Violine machen das musikalische Zentrum aus. Das ist nicht neu bei den Bad Seeds, in dieser bedrückenden Langsamkeit aber schon.
Bei dem tieftraurigen „Girl In Amber“ scheinen die Pianoklänge wie Regen aus den Boxen zu tropfen. Die Stimme von Cave ist derart traurig, dass es dafür keine Worte gibt. Mit „Jesus Alone“ beginnt „Skeleton Tree“ düster und hoffnungslos. Musikalisch kann man das nicht besser umsetzen. „Rings Of Saturn“ präsentiert einen gehetzten Cave, der den Text mehr spricht denn singt, während „Magneto“ völlig in sich gekehrt ist. „Anthrocene“ ist ein Klangcollage – gar ein Score – der in seiner tieftraurigen Art abermals die ganze Verzweiflung zum Ausdruck bringt. „I Need You“ entwickelt eine Intensität, die im Musikgeschäft so nicht mehr vorkommt. Der Songtitel lässt ja keine Fragen offen. Auch als Zuhörer braucht sich hier keiner seiner Tränen zu schämen. Das orchestrale „Distant Sky“ haut einen dann vollends um. Das Duett mit Else Torp ist atmosphärisch nicht zu übertreffen. „Skeleton Tree“ - der Song – folgt noch am ehesten einem Songschema und -aufbau, so wie man es von seinen früheren Arbeiten kennt. Melodisch ist das ein sehr schöner Abschluss.
Fazit: „Skeleton Tree“ nahm bereits spät im Jahr 2014 in den Retreat Studios in Brighton erste Formen an. Im Herbst 2015 nahm die Band in den französischen La Frette Studios die Arbeiten wieder auf. Anfang 2016 wurde „Skeleton Tree“ in den Londoner AIR Studios abgeschlossen und abgemischt. Die tragische Geschichte hinter den Songs und dem Film sollte man kennen, denn sonst wird man „Skeleton Tree“ nicht einordnen können. Die Songs erreichen eine nie dagewesenen Intensität. Eine schmerzvolle Intensität.
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: Live From KCRW
Bad Seeds Ltd./Rough Trade
VÖ: 29.11.2013
Wertung: 9/12
2013 ist das Jahr von Nick Cave und seinen Bad Seeds. Mit „Push The Sky Away“ lieferte die Truppe ein beeindruckendes Werk ab, welches sich mit Blick auf das gesamte Schaffen ganz weit nach vorne schiebt. Besseres hat die Band selten aufgenommen und das will bei diesen vielen Meisterwerken im Backkatalog durchaus etwas heißen. Auch live war die Kapelle natürlich unterwegs. Der Auftritt beim Coachella Festival ragt hier vielleicht sogar noch etwas heraus. Insgesamt standen gar vier Konzerte dort an, denn mit der Radautruppe von Grinderman hat man sich auch noch mal dem schönen Krach hingegeben. Dazwischen fand die Band noch die Zeit am 18. April live bei einer Radiosession von KCRW in den Apogee Studios in Los Angeles von Bob Clearmountain aufzutreten. Dieses Ereignis wird nun veröffentlicht.
„Abattoir Blues Tour“ von 2007 war das letzte Live-Album, welches aber an „Live From KCRW“ heranreicht. Dies liegt mitunter an der sehr intimen Atmosphäre in der das Ereignis stattfand – insofern ist dies kein schnödes Live-Werk. Selbst aus der Konserve ist zu spüren, dass dies ein Rahmen war, der auch für Nick Cave & The Bad Seeds besonders und nicht alltäglich war. Die Setlist ist sehr schön und ausgewogen. „Higgs Boson Blues“ von der letzten Platte macht den Anfang und breitet sich episch über acht Minuten aus. Ein großartiger Spannungsbogen setzt Akzente und zieht den Zuhörer unweigerlich in seinen Bann. Es ist faszinierend und großartig, verlangt einem auf seine morbide Art aber auch einiges ab.
Mit „Far From Me“ von „The Boatman´s Call“ gewährt Cave einem danach Zeit zum Durchatmen. Warren Ellis treibt einem mit seinem unnachahmlichen Spiel trotzdem die Tränen in die Augen. „Stranger Than Kindness“ von „Your Funeral...My Trial“ zieht die Daumenschrauben dann wieder an. Es gibt kaum einen anderen Musiker auf dem Planeten, der mit stillen und ruhigen Songs eine solche Atmosphäre erzeugen kann – bedrohlich und gleichzeitig wunderschön. „The Mercy Seat“ wird anschließend komplett umgebaut. Der Wahnsinn der vergangenen Tage fehlt komplett. Keine Raserei, kein Torso – nur schönster Wohlklang. Muss man sich aber auch erst dran gewöhnen, so fehlt der Nummer doch etwas der Zauber.
Das wundervolle „And No More Shall We Part“ wird zum Niederknien instrumentiert, ausgerechnet der Background-Gesang ist etwas windschief. Mit „Wide Lovely Eyes“ folgt dann nochmals ein Stück von „Push The Sky Away“. Hier zeigt sich erneut wie großartig dieses Album doch ist. Dieser erhabene Song überstrahlt ja selbst die bis hierhin gespielten Klassiker. „Mermaids“ reiht sich da nahtlos ein und wenn die Band zum Refrain ansetzt, dann öffnen sich sämtliche Schleusen. Die Gitarre sägt durch die Szenerie als wären dies die letzten Klänge, die die Menschheit zu Gehör bekommt. Hier werden Gefühle transportiert, die man kaum mit Worten beschreiben kann. „People Ain´t No Good“ wirkt dagegen regelrecht fröhlich. Das getragene „Push The Sky Away“ bringt einen anschließend aber wieder um den Verstand. Untypischer, fast schon sphärischer Song. Ein großartiges Stück! Mit „Jack The Ripper“ von „Henry´s Dream“ lärmt sich die Band dann zur Studiotür hinaus.
Fazit: „Live From KCRW“ von Nick Cave & The Bad Seeds ist ein großartiges, intimes Live-Album. Obwohl es nur zehn Songs sind, kriegt man doch einen sehr schönen Querschnitt durch die verschiedenen Phasen von Cave und seiner Band geboten. Das letzte Werk - „Push The Sky Away“ - wird dabei natürlich auch bedacht und die Songs ragen sogar noch ein Stückchen heraus. Hat Cave eigentlich jemals ein schlechtes Album veröffentlicht? Nein!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: Push The Sky Away (Limited Deluxe Edition)
Bad Seeds Ltd./Rough Trade
VÖ: 15.02.2013
Wertung: 12/12
Tipp!
Nick Cave war und ist ein Künstler der Extreme. Guckt man sich sein Œuvre an, dann wird einem ganz schnell klar, wie leichtfertig man immer mit der Bezeichnung Künstler umgeht. Dieses Wort und der Sinn dahinter ist gemacht für Freigeister wie Cave. Hat der Mann überhaupt schon mal etwas annähernd Schlechtes veröffentlicht? Das Gesamtwerk ist großartig und egal in welcher Ausdrucksform er sich gerade bewegt, es entsteht etwas Beeindruckendes. In fortgeschrittenem Alter hat er gar den Punk und Krach wiederentdeckt, der sich in der Katharsis bei und durch Grinderman entladen hat.
Grinderman ist einstweilen Geschichte oder auf Eis gelegt – bei Nick Cave weiß man ja nie. Jetzt sind die wundervollen Bad Seeds wieder an seiner Seite. Auch, wenn die Herrschaften von Grinderman auch bei den Bad Seeds aktiv sind, hat man es hier mit zwei völlig unterschiedlichen Bands zu tun und die Grenzen sind klar abgesteckt. Krach und wilde Raserei ist einstweilen zu den Akten gelegt. „Push The Sky Away“ besticht durch einen reduzierten Ansatz wie man es bei Nick Cave & The Bad Seeds noch nie gehört hat. Natürlich liegt der Vergleich zu „The Boatman´s Call“ auf der Hand, doch das fünfzehnte Studioalbum ist dann doch gänzlich anders.
„Push The Sky Away“ reiht sich in der langen Reihe der Cave-Meisterwerke ziemlich weit vorne ein! Und dies nach all´ den Jahren! Dagegen ist man bei anderen Musikern seines Alters einfach nur froh, wenn diese noch okaye Platten aufnehmen. Vergleiche muss man für dieses Album nicht krampfhaft heranziehen und auch nicht suchen. „Push The Sky Away“ ist völlig selbständig und steht für sich alleine. Eine Kategorisierung alleine fällt schon schwer. Zwischen Kammermusik, Blues, Gothic, Gospel und klassischem Singer/Songwriter-Terrain lassen sich die Songs nur schwer einordnen.
Eins ist bei diesen Kleinoden, die allesamt in Südfrankreich mit Produzent Nick Lanay in einem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert aufgenommen wurden, immer gleich: man fühlt diese Songs. Diese Musik schafft es Stimmungen zu erzeugen, wie man es nur ganz selten erlebt. Geist und Körper werden gleichermaßen angesprochen. Man kann sich diesen Klängen kaum entziehen. Es entsteht eine Sogwirkung, die faszinierend und verstörend zugleich ist. „Water´s Edge“ gleicht einem Ritt am Abgrund. Diese klaustrophobische Atmosphäre schnürt einem die Luft ab. Geräusche, Töne und Klänge fliegen an einem vorbei und reißen einem die Seele raus. Auf der Suche nach selbiger wird man so manche unschöne Tür aufstoßen. Cave flüstert, haucht, krächzt und singt als wäre er die Inkarnation des Teufels. Die Bad Seeds geben dazu die Schergen mit den rasselnden Ketten. Nur eine von vielen Meisterleistungen auf diesem Album.
„Jubilee Street“ ist eine weitere! Der Song gleicht einer Reise und steigert sich auf unnachahmliche Art. Nach knapp vier Minuten ist die Bergspitze erreicht. Opulent und voller Eleganz entlädt sich alles in einem Torso, wie es nur die Bad Seeds veranstalten können. Man achte auch auf die vielen liebevollen Details, die sehr intuitiv wirken. Das wunderschöne „Mermaids“ bereitet einem eine dicke Gänsehaut! Die Erzählstruktur mündet schließlich in einer Art Gospelstück! Wunderschön! Hat man Nick Cave stimmlich eigentlich schon mal derart mit sich im Reinen gehört wie bei „We No Who U R“? Das orchestrale „Wide Loveley Eyes“ ist bis auf das nackte Gerüst zerlegt und schält sich voller erhabener Schönheit aus seinem Kokon. Das dramatische „We Real Cool“ spielt gar mit Stimmungen der Klassik. Für „Finishing Jubilee Street“ fehlen einem sowieso die Worte! Der liebliche Frauengesang steht in krassem Gegensatz zu der Art Sprechgesang von Cave. Die Musik ist abermals auf das Nötigste reduziert, groovt auf eine seltsame Weise aber wie Hölle. Das epische „Higgs Boson Blues“ ist genau das – nämlich ein Bluesstück im Bad Seeds Universum. Wenn von Robert Johnson und dem Teufel die Rede ist, dann weiß man was die Stunde geschlagen hat. „Push The Sky Away“ beendet das Album mit einer wunderschönen und traurigen Klangästhetik, die diesem Meisterwerk voll und ganz gerecht wird.
Und man sollte auch nicht lange überlegen und zur schönen Deluxe Edition greifen, die zudem limitiert ist! Sensationen hält diese zwar nicht bereit, aber das
feine 32-seitige Hardcover Buch hat jede Menge exklusive Bandfotos, Texte und Linernotes zu bieten und gibt es nur in der Erstauflage. Abgesehen davon sind die beiden düsteren Songs "Needle Boy" und
"Lightning Bolts" sicher Kaufanreiz genug. Diese beiden Tracks hätten aufgrund der Stimmung nicht auf das eigentliche Album gepasst. Die beiden (Studio-)Videos in rot und grün gibt es mit Text noch
obendrauf! Und das alles zum Preis von knapp 16 Euro!
Fazit: „Push The Sky Away“ von Nick Cave & The Bad Seeds ist ein Meisterwerk, ein Kleinod und eine herausragende kompositorische Leistung. Die vielen kleinen Details entdeckt man bei diesem leisen Album erst nach und nach. Ein Album voller Schönheit, aber auch verstörender Elemente. Wie ordnet man „Push The Sky Away“ nun in das außergewöhnliche Gesamtwerk ein? Muss man dies überhaupt? An dieser Platte hier ist alles genau so, wie es sein soll. Es ist ja bekannt, dass Nick Cave wie ein Buchhalter arbeiten kann und doch klingt dies alles sehr intuitiv und ist eingebettet in ein warmes Klangbild. Nein, „Push The Sky Away“ braucht keine Vergleiche mit dem eigenen Backkatalog von Cave zu scheuen – mit anderen sowieso nicht. Prädikat: besonders wertvoll!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: No More Shall We Part (Deluxe-Edition CD/DVD)
EMI
VÖ: 13.05.2011
Wertung: 12/12
Tipp!
„No More Shall We Part“ schließt die Veröffentlichungen aus dem Backkatalog von Nick Cave And The Bad Seeds einstweilen ab. Besser könnte es nicht sein, denn mit diesem Album befand sich Cave auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Wühlt man sich durch alle Studiowerke, dann wird sicher jeder Hörer ein anderes Album als das ganz persönliche Lieblingsalbum nennen. Es ist aber auch ein Kreuz, wenn ein Künstler immer auf einem derart hohen Niveau Musik veröffentlicht. Mit „No More Shall We Part“ wurde aber ein episches Monument geschaffen, welches an Intensität unerreicht bleibt. Zudem finden sich hier alle Zutaten aus der gesamten Karriere wieder.
Die DVD ist dann auch randvoll mit Bonusmaterial und stellt sogar noch die anderen dieser Reihe in den Schatten. Das war eigentlich schon ein Ding der Unmöglichkeit, aber wenn man sich das ganze Material anguckt und anhört, dann ist das sogar noch mal eine Stufe höher anzusiedeln. Natürlich darf man das Album auch in 5.1 und Stereo genießen – gar keine Frage. Dazu gesellen sich aber noch acht weitere Tracks! Als Kernstück kann man die vier Nummern der Westside Session sehen. Die einzelnen Tracks sind zwar schon nahe an der Albumversion dran, doch weht hier ein wesentlich rauerer Wind durch die Songs. Liveatmosphäre. Dies kommt besonders gut beim rohen „Fifteen Feet Of Pure White Snow“ zum Vorschein. Man weiß ja nun gar nicht mehr, welche Version man lieber mag. Die Traurigkeit von „We Came Along This Road“ bekommt hier eine ganz neue Ausdruckskraft und das Spiel von Warren Ellis noch besser zur Geltung. „God Is In The House“ und „And No More Shall We Part“ sind nur marginal anders, aber natürlich auch in der Westside Session Version großartig.
Dazu gesellt sich mit „Good Good Day“ ein Song, der es teilweise noch mal richtig krachen lässt und eine positive Grundstimmung ausstrahlt. Dies ist eine wunderbare Interpretation. Aber auch das ruhige „Little Janey´s Gone“ oder „Grief Came Riding“ hätten einen Platz auf dem eigentlichen Album verdient gehabt. Tolle Songs, toll umgesetzt – formidabel.
Das gilt natürlich auch für den elften Teil von „Do Youl Love Me Like I Love You“! Hier wird noch mal eingehend die Rolle von Warren Ellis beleuchtet. Sein Beitrag zu diesem Album ist ja auch entsprechend groß. Er selber betont noch mal, dass ihm Nick Cave sämtliche Freiheiten gelassen hat und dies ihn letztlich zu diesen Leistungen beflügelt hätte. Interessant sind auch die Einblicke in den Studioprozess. Man hätte ja nicht für möglich gehalten, dass bei diesem opulenten Werk alles derart schnell ging. Wie heißt es hier? Sobald die Band das Studio betritt, muss man im Grunde auf Aufnahme drücken. Die Texte werden selbstverständlich auch noch mal unter die Lupe genommen, wie auch der Videodreh zu „Fifteen Feet Of Pure White Snow“. Selbstverständlich liegt dieses tolle Performance-Video ebenso vor, wie die beiden bedrückenden visuellen Umsetzungen zu „As I Sat Sadly By Her Side“ und „Love Letter“. Dies stellt eindeutig den Höhepunkt der DVD-Reihe dar!
„No More Shall We Part“ selber ist ein elegisches Meisterwerk, welches einen vom ersten bis zum letzten Ton in seinen Bann reißt. Cave erweist sich mit seinen oftmals düsteren und kryptischen Lyrics auf dem Höhepunkt seiner Poesie. Die Instrumentierung dazu ist fein akzentuiert. Als besonders wertvoll erweisen sich auch die Gesangsbeiträge von Kate McGarrigle und Anna McGarrigle. Auf der DVD wird dazu auch noch mal festgestellt, dass die beiden ja eigentlich Volksmusiksängerinnen sind (nicht zu verwechseln mit dem, was wir in Deutschland dafür halten). Warren Ellis bildet mit seinem Geigen/Violinenspiel den perfekten Gegenpart zum Gesang. Großartig! Die Gänsehaut will bei diesen Songs einfach nicht nachlassen. Die dichte Atmosphäre trägt dazu ebenfalls bei. Man wird diesem Meisterwerk sicher nicht gerecht, wenn man da einzelne Songs nennt. Ein jedes Lied hat seine Berechtigung und ist für sich gesehen ein Kleinod. Von „As I Sad Sadly By Her Side“ bis „Darker With The Day“ ist das die ganze hohe Kunst des Songwritings, der Instrumentierung und der Arrangements! Besser geht es nicht mehr! Düster, feinfühlig, bissig, wild, roh, traurig, schön, melancholisch – die Liste bitte selbständig fortsetzen!
Fazit: „No More Shall We Part“ ist ein monumentales Album von Nick Cave und seinen Bad Seeds. Hier befand man sich auf dem Höhepunkt des Schaffens und hat aus allen Phasen die besten Zutaten genommen und dazu noch einen epochalen Klang hinzugefügt, dass einen diese Songs nicht mehr loslassen werden. Insofern nimmt natürlich auch die Wiederveröffentlichung eine Ausnahmestellung ein. Das üppige Bonusmaterial überzeugt auf ganzer Linie und somit kann es nur die Höchstwertung geben! Dieses Meisterwerk gehört in jede Sammlung!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: The Boatman´s Call (Deluxe-Edition CD/DVD)
EMI
VÖ: 13.05.2011
Wertung: 9/12
Mit „The Boatman´s Call“ gibt es eine ganz spezielle Wiederveröffentlichung von Nick Cave And The Bad Seeds. Hier gibt es mehr Nick Cave und weniger Bad Seeds auf die Ohren. Dies ist das Album, welches wohl auch allen Müttern und Schwiegermüttern dieser Welt zu Herzen geht. Romantischer und gefühlvoller hat man Cave nur selten gehört. Leiser sowieso nicht – jedenfalls bis hierhin. Es änderte sich auch die Arbeitsweise der Band – damit waren nicht alle zufrieden.
Abermals ist es die großartige Interview-Dokumentation „Do You Love Me Like I Love You“, die Einblicke in den Entstehungsprozess gibt und noch so manche Geschichte drumherum erzählt, das Prunkstück. Blixa Bargeld war – so kann man zwischen den Zeilen sehr gut heraushören – alles andere als begeistert von dem neuen Ansatz. Die Musik hält er freilich immer noch für großartig, nur wurde erstmals ein konventioneller Weg beschritten. Gavin Friday bringt gar die Büroarbeitsweise von Cave zur Sprache. Harvey moniert, dass er diesmal nicht mehr viel an den Arrangements machen konnte und überhaupt hätte sich Cave in dieser Phase ganz klar zum Leader aufgeschwungen. Vom Ergebnis sind freilich alle begeistert.
Die Vergleiche, die hier teilweise herangezogen werden, sind aber schon überraschend bis hanebüchen. So erfährt man, dass „Into My Arms“ auch als Weihnachtssong bei X-Factor laufen könnte und die Nummer schon einen ähnlichen Effekt wie „Lady In Red“ von Chris De Burgh erzielen würde – weil man das Stück eben so oft gehört hat. Trotzdem sind sich alle darin einig, dass es sich um ein weiteres Meisterwerk von Cave handelt. Diese Art von Albumdokumentation gehört zum Besten, was es auf diesem Gebiet gibt - und dies ohne Studioaufnahmen oder sonstiges aus dieser Zeit. Einfach die Protagonisten befragen und man kriegt eine ganze Menge Material an die Hand um sich sein eigenes Bild zu machen.
Auch hier ist das gesamte Album in 5.1 und in Stereo enthalten, sowie ein paar nette Bonustracks, die aber eben auch nicht mehr sind. Die beiden Videos zu „Into My Arms“ und „(Are You) The One That I´ve Been Waiting For?“ hat man selbstverständlich auch mit drauf gepackt. Es soll ja auch Leute geben, die erst durch die Tränen am Ende des Videos von „Into My Arms“ auf das Album aufmerksam geworden sind. Insofern ist das eine wunderbare Reise in die Vergangenheit.
Die zwölf Songs sind durch die Bank alle sehr ruhig instrumentiert. Nick Cave hat sich hier zum waschechten Singer/Songwriter entwickelt, der ganz in der Tradition eines Leonard Cohen oder Bob Dylan auftritt. Die CD wimmelt voller ruhiger und schöner Balladen. Das bewegt sich auf einem immens hohen Level, allerdings fehlt hier eindeutig die Abwechslung. Cave singt über Sehnsüchte, die Liebe, Hoffnung und Gott. Eine tiefe Traurigkeit durchzieht die Songs von „Into My Army“ bis hin zu „Green Eyes“. Einzig „Lime Tree Arbour“ ist etwas üppiger ausgefallen. Der Rest ist bis auf das Wesentliche reduziert. Nick Cave erweist sich hier als wahrer Poet und „The Boatman´s Call“ ist eine weitere Sternstunde seines Schaffens.
Fazit: Man hätte sich auf diesem Album etwas mehr Abwechslung gewünscht, denn beim flüchtigen Hören gleicht sich doch vieles. Auf der anderen Seite hat es Nick Cave geschafft, hier ein – fast - reines Balladenalbum ohne Kitsch aufzunehmen. Das können nicht viele, Pathos gibt es natürlich jede Menge. Bei dieser Scheibe hatten die Bad Seeds wohl fast Arbeitspause. Dafür steckt sehr viel Liebe im Detail. Eine andere Seite des großartigen Songschreibers. Die DVD ist mal wieder das heimliche Herzstück dieser Veröffentlichung!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: Murder Ballads (Deluxe Edition CD/DVD)
EMI
VÖ: 13.05.2011
Wertung: 10,5/12
Tipp!
Mit „Murder Ballads“ kommt nun auch ein ganz besonderes Album im Rahmen der Veröffentlichungsoffensive des Nick Cave And The Bads Seeds Katalogs zu neuen Ehren. Über die Songs wurde seinerzeit viel diskutiert, zudem kam man damals endgültig im Mainstream an. Dies lag allerdings weniger an den einzelnen Stücken, sondern vielmehr an einem Duett mit Kylie Minogue. „Where The Wild Roses Grow“ lief nun wirklich auf allen Kanälen und plötzlich war da über Nacht eine ganz neue Käuferschicht herangewachsen. Beabsichtigt war das sicher nicht.
Die Aufmachung ist wieder mal ein Fest! Auch das Cover und Design entfaltet mittels des schönen Digipacks noch mal eine ganz andere Wirkung. Wie es zu dieser Gestaltung kam, kann man auch noch mal anhand der beiliegenden DVD nachvollziehen. Abermals ist es die Dokumentation „Do You Love Me Like I Love You“, von der man sich kaum losreißen kann und möchte! Die neunte Runde bringt mal wieder sehr viel Licht ins Dunkel.
So erfährt man von Blixa Bargeld beispielsweise, dass die ganze Geschichte eigentlich aufgrund von zwei übrig gebliebenen Songs von „Let Love In“ entstanden ist. Wer bisher nicht genau nachgezählt hat, weiß nun, dass man bis zum Ende der Platte 64 Morde zu hören bekommt. Wie es zur Beteiligung von Kylie Minouge kam, wird ebenfalls in allen Details geschildert und dass Michael Hutchence daran nicht ganz unschuldig war. Zumindest saß sie neben ihm, als man ihn um die Nummer von Kylie bat. Eigentlich wollte man ja schon 89 mit ihr zusammenarbeiten, aber da gab es eine nette Absage per Fax. Letztlich suchte gar die Mutter von Nick Cave die Endversion aus. Blixa Bargeld ist jedenfalls sehr zufrieden mit ihrer Interpretation, da sie sich sehr stark an seiner eigenen orientiert hat.
Auf die Kraft der Wörter wird dabei auch noch mal eingegangen. So ist „Motherfucker“ doch ein zentrales Element von „Stagger Lee“. Ein weiteres Thema ist natürlich PJ Harvey und das gemeinsame Video mit Nick Cave. Die Videos zur Platte sind selbstverständlich auch enthalten. Unterschiedlicher könnten diese nicht sein. Jenes zu „Where The Wild Roses Grow“ muss man ja nicht mehr weiter erwähnen, die blutigen Händen von Cave und Kylie Minogue als Wasserleiche dürften ja hinreichend bekannt sein. Aber auch das Video mit PJ Harvey entfaltet eine ganz besondere Wirkung und wenn sie letztlich mit Nick Cave tanzt, dann dürften keine weiteren Fragen mehr offen bleiben. „Stagger Lee“ gleicht hingegen einem Torso, ganz wie es der Song verlangt.
Selbstverständlich liegt auch hier das komplette Album auf der DVD in 5.1 und in Stereo vor! Daneben gibt es noch einige sehr beachtliche Bonus-Tracks, bei denen „The Ballad Of Robert Moore And Betty Coltrane“ und „The Willow Garden“ herausragen. Die DVD alleine ist mal wieder Kaufargument genug!
Das Album „Murder Ballads“ sollte in keiner Nick Cave Sammlung fehlen. Ironischer und bissiger hat man den Meister selten gehört. Oder ist dies am Ende gar keine Ironie mehr? Man achte nur auf seine Phrasierung – göttlich! Mord und Totschlag machen dieses Konzeptalbum zu einem ganz besonderen Werk von Cave und seinen Bad Seeds. Höhepunkte gibt es viele, herausragend ist „O´Malley´s Bar“, wo Cave über vierzehn Minuten die Geschichte eines Amokläufers auskotzt. „Stagger Lee“ zählt zu den weiteren Großtaten. Derart fordernd hat man Cave selten gehört. „Henry Lee“ mit PJ Harvey ist von der Instrumentierung sicher sehr schön, aber auch über dieser Nummer schwebt natürlich eine gewisse Düsternis. Bei dem Dylan-Stück „Death Is Not The End“ dürfen alle beteiligten Künstler mitwirken – plus Shane MacGowan, der sich auch irgendwie ins Studio geschleppt hatte.
Fazit: Auch „Murder Ballads“ überzeugt in dieser neuerlichen Veröffentlichung auf ganzer Linie. Über die großartige Aufmachung, die sehr feine DVD - mit tollem Bonusmaterial - bis hin zum eigentlichen Album ist dies ein weiteres Meisterwerk von Nick Cave And The Bad Seeds! Besser kann man Mord und Totschlag sicher nicht vertonen. Augenzwinkern inbegriffen! Oder doch nicht?
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: Let Love In (Deluxe-Edition CD/DVD)
EMI
VÖ: 13.05.2011
Wertung: 11/12
Tipp!
Die Reise des kleinen Nick Cave mit den Bad Seeds geht in eine neue Runde. Es werden weitere Alben aus dem umfangreichen Backkatalog neu aufgelegt und in schöner Optik mit reichlich Bonusmaterial präsentiert. Chronologisch geht es mit „Let Love In“ weiter. Das hochwertige Digipack lässt mal wieder keine Wünsche offen. Ausgeklappt werden einem die beiden Tonträger plus ein Extrafach für das Booklet präsentiert. Für Sammler ist das alleine schon ein Fest!
Das Album selber wurde selbstverständlich remastert. Der Stereo-Mix erfreut dabei ebenso die Ohren, wie auch der 5.1 Surround Sound der DVD. Die DVD ist ja überhaupt mal wieder das heimliche Herzstück dieser Deluxe-Edition. Prunkstück ist dabei abermals die Dokumentation „Do You Love Me Like I Love You“. Die achte Runde führt die umfassenden Album-Dokumentation weiter voran. Vom Videodreh in Brasilien über die US-Tour ohne Blixa Bargeld bis hin zum Bassspiel von Casey wird eine ganze Menge erläutert. Martin Gore von Depeche Mode nimmt hier die Rolle eines Fans ein und erklärt, warum die Liebessongs von Nick Cave so großartig sind. Und jetzt wissen wir auch, dass Blixa Bargeld schwer zu hypnotisieren ist. Der Mann ist überhaupt mal wieder das Eintrittsgeld wert.
Die Videos „Do You Love Me?“, „Loverman“ und „Red Right Hand“ sind natürlich auch enthalten und geben zwischen Performancekunst und wahnwitzigen Geschichten den ganzen Torso dieser Bandgeschichte wieder – auch mal mittels schwarzweißen Bildern, wie teilweise beim bedrückenden „Loverman“. Was gibt es noch? Natürlich die Bonustracks. „Cassiel´s Song“ ist da schon ein Fingerzeig in Richtung Zukunft. Toll arrangiert und vorgetragen. Dieser eher stillen und ruhigen Richtung hat sich Nick Cave ja letztlich eine ganze Weile gewidmet. „Sail Away“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Was ist eigentlich Jazz? Die Antwort gibt es auch, aber „That´s What Jazz Is To Me“ fällt natürlich bei Nick Cave und den Bad Seeds ganz anders aus, als es Jazz-Puristen gerne hätten. Spoken Word-Beiträge sind ja sowieso immer eine Schau. Diese DVD ist für alle Fans eine absolute Bereicherung!
„Let Love In“ wird ja gerne nachgesagt, dass es vorerst das letzte Album seiner Art war. Dies kann man natürlich immer noch zur Diskussion stellen. Fakt ist, dass die Band ihre Aggressivität auch in die 90er gerettet hatte. Es geht thematisch um die Liebe mit allen Schattierungen und Facetten. Dass Nick Cave dies auch mal etwas anders aufbereitet wie ein Großteil seiner Kollegen, dürfte ja hinlänglich bekannt sein. Hier kommt eben ein anderer Zungenschlag rein.
Musikalisch gibt es aber auch schon eindeutige Hinweise für die Zukunft. Das ruhige und schöne „Nobody´s Baby Now“ hätte auch seinen Platz auf „The Boatman´s Call“ gefunden. „Jangling Jack“ wiederum hätte auch auf „Murder Ballads“ eine gute Figur abgegeben. Höhepunkte gibt es auf „Let Love In“ viele. Nach über anderthalb Jahrzehnten stellt sich zudem heraus, dass dieses Album regelrecht zeitlos ist. Man würde sich mal wünschen, dass Tarantino Songs wie den bedrohlichen Überhit „Do You Love Me?“ oder das morbide „Red Right Hand“ für seine Filme entdecken würde.
Fazit: „Let Love In“ ist ein großartiges Album von Nick Cave und seinen Bad Seeds. Das Thema Liebe wird musikalisch mal aggressiv und mal fast liebevoll umgesetzt. Die rohen 80er sind dabei ebenso präsent, wie die Gegenwart zum Entstehungszeitpunkt. Die Zukunft der Band weht auch schon deutlich durch diese Platte. Insofern finden sich hier viele Facetten wieder. Die Wiederveröffentlichung ist ein Fest. Gerade die DVD hält mal wieder Bonusmaterial der Extraklasse bereit! Absolut empfehlenswert!
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: Henry´s Dream (CD/DVD)
EMI
VÖ: 26.03.2010
Wertung: 8/12
„Henry´s Dream“ ist das vorerst letzte Album der Widerveröffentlichungen aus dem Nick Cave And The Bad Seeds-Backkatalog. Selbstverständlich wurde auch dieses Album digital remastert. Und was auch schon für die anderen Veröffentlichungen gilt, ist auch hier Programm. Es ist zwar schön, dass es die Scheibe als Einzel-CD käuflich zu erwerben gibt, die CD/DVD-Version ist aber über jeden Zweifel erhaben und die Kaufentscheidung ist eigentlich schnell gefällt.
Das siebte Studioalbum ist um einiges anders als noch sein eher ruhiger und fröhlicher Vorgänger „The Good Son“. Sowieso hatte sich viel getan und Nick Cave und seine Bad Seeds waren im Zuge des ganzen Wahnsinns, der zu Beginn der 90er musikalisch losbrach, plötzlich in einem ganz anderen Fokus. Ein breiteres Publikum nahm sie plötzlich wahr. Dies schlug sich auf viele Dinge nieder. Mit David Briggs fand man einen namhaften Produzenten und für die Covergestaltung zeichnete sich Anton Corbijn verantwortlich. Man war also endgültig aus einer Nische empor gekrochen und im allgemeinen Zuge der Alternativ-Bewegung bei einem ganz anderen Publikum bekannt.
„Henry´s Dream“ fährt die Schiene des Vorgängers nicht weiter und haut noch mal ordentlich auf den Putz. Allerdings auch nicht wie noch in den Anfängen, sondern strukturierter und in geordneten Bahnen. Die Stimmung des Albums wird schon vom aggressiven Opener „Papa Won´t Leave You, Henry“ sehr schön eingefangen. Cave singt mal wieder, als wäre der Teufel hinter seiner Seele her. Übrigens, wer behauptet, dass Musik von Cave und den Bad Seeds nicht tanzbar wäre, wird hier eines Besseren belehrt. In diesem Fahrwasser geht es weiter und auch „I Had A Dream, Joe“ macht mit ordentlich Schmiss und Schmackes weiter. Kritiker bemängeln an dem Album ja gerne mal, dass sich hier vieles zu sehr gleicht. Stimmt, macht aber trotzdem Spaß. Und mit dem wunderschönen „Straight To You“ findet sich eine weitere Großtat hier wieder.
Mit „Brother´s My Cup Is Empty“ folgt der nächste Schlag auf den Rockputz, bevor es mit „Christina The Astonishing“ wieder in die melancholische Ecke abdriftet. „When I First Came To Town“ verfolgt diese Stimmung weiter. Zwar ist das für das Oeuvre von Nick Cave fast von untergeordneter Bedeutung, da die ganz großen Songs fehlen, aber in seiner Gesamtheit ist das Album doch sehr schlüssig. Und nur, weil hier nicht überall der Klassikerstatus lauert, ist eine Nummer wie „John Finn´s Wife“ mit diesem großartigen Aufbau, der bis hin zur Raserei anwächst, nicht weniger schlecht. Ach ja und mit „Jack The Ripper“ gibt es dann doch noch so etwas wie einen Klassiker.
Die DVD hält mal wieder einiges an Bonusmaterial für den geneigten Hörer und Fan bereit. Der siebte Teil von „Do You Love Me, Like I Love You“ sagt einiges über den Zustand der Band und die damalige Produktion aus. Blixa Bargeld kann sich auch heute noch herrlich über die Produktion echauffieren und vertritt immer noch die Meinung, dass man das gar nicht erst in fremde Hände hätte geben sollen. Briggs hingegen kommt auch zu Wort – herrlich. Daneben gibt es noch die großartigen Videos zum Album, die immer etwas anders sind und immer etwas schräger.
Fazit: „Henry´s Dream“ ist sicher nicht das beste Album von Nick Cave And The Bad Seeds aber ein immens interessantes Werk. Die Melancholie und Langsamkeit wurde weitestgehend über Bord geschmissen. Man entdeckte den Rock wieder, der doch tatsächlich auch bei Cave und den Bad Seeds eingängig sein kann. Zudem ist die Scheibe doch glatt tanzbar, wer hätte das gedacht? Die Unterschiede zu den anderen Veröffentlichungen werden auch sehr gut in der Dokumentation herausgearbeitet. Interessantes Album – in jeglicher Hinsicht!
http://www.nickcaveandthebadseeds.com
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: The Good Son (CD/DVD)
EMI
VÖ: 26.03.2010
Wertung: 10/12
Tipp!
„The Good Son“ ist das zweite Album, welches im Rahmen des zweiten Teils der Widerveröffentlichung des Nick Cave And The Bad Seeds-Backkatalogs in einer überarbeiteten Version in die Läden kommt. Auch hier gibt es selbstverständlich eine Einzel-CD zu erwerben, aber eben auch hier gilt, was für die gesamte Reihe gilt – die CD/DVD-Version ist unschlagbar und hat erneut einiges an Mehrwert zu bieten.
Berlin liegt hinter Nick Cave und seinen Bad Seeds, Brasilien liegt dafür vor ihnen. „The Good Son“ ist stilistisch dann auch weitaus melodischer ausgefallen wie alles zuvor. War es die neue Umgebung? Eine neue Liebe? Oder war die Band einfach nur reifer, erwachsener und gesünder geworden? Ob Sao Paulo, die Liebe zu Viviane Carneiro oder die Geburt seines Sohnes einen nicht unerheblichen Anteil an „The Good Son“ haben ist im Grunde ja zweitrangig, dieses Werk manifestierte jedenfalls erstmals den Ruf es mit einem der größten Poeten und Sänger der Gegenwart zu tun zu haben.
„The Good Son“ gilt für viele als das erste große Meisterwerk. Vielleicht ist es auch die freundliche und melodische Atmosphäre, die diese Scheibe in der Gesamtheit ausstrahlt, die viele zu diesem Urteil kommen lässt. Zudem ist der Klang endlich mehr als annehmbar und klingt nicht mehr wie in der Blechtrommel aufgenommen – man könnte hier glatt von zeitlos sprechen.
Die neun Tracks werden von einigen Meisterstücken überstrahlt und so fallen einige Längen, die diese Scheibe nämlich auch hat, nicht weiter ins Gewicht. Schon der schöne Auftakt von „Foi Na Cruz“ lässt aufhorchen. Was ist denn mit Nick Cave los? So viel Schönheit und positive Kraft ist man gar nicht von ihm gewohnt. Die Streicher jubilieren im Hintergrund, dass man sich verwundert die Augen und Ohren reibt. Und dann? Nix mit Krach. „The Good Son“ wird gospelartig eingeleitet, nimmt dann aber etwas an Fahrt auf und lässt dann doch wieder den typischen Cave-Wahnsinn durchblicken. Dagegen klingt „Sorrow´s Child“ wie der sakrale Auftakt zu einer Andacht. Und in gewisser Weise ist er das auch, denn jetzt folgen zwei der besten und größten Songs von Cave. Das geniale „The Weeping Song“ verbreitet auch heute noch immer und immer wieder eine Gänsehaut. Dieses geniale Duett von Nick Cave und Blixa Bargeld ist auch heute noch unübertroffen. Danach geht einem mit dem wunderschönen „The Ship Song“ das Herz auf. Groß! Ganz Groß! „The Hammer Song“ ist das komplette Gegenteil und lässt einen fast erschaudern. Mit „Lament“ und „Lucy“ haben sich für meinen Geschmack zwar schöne, aber auch ein paar gewöhnliche Songs eingeschlichen, die über ihre jeweilige Distanz auch etwas langweilig werden. Dann doch lieber das schmissige „The Witness Song“.
Die DVD hält dann abermals einige Schmankerl bereit. Die Neil Young Coverversion „Helpless“ macht sich Nick Cave ganz zu Eigen. „The Train Song“ hätte sich zudem gut auf dem eigentlichen Album gemacht und die Song-Kolletkion vervollständigt. Die beiden enthaltenen Videos sind großartig. „The Weeping Song“ zeigt zwei etwas derangierte Herren. Wie sich Nick Cave und Blixa Bargeld durch die Nummer in ihrem Boot oder tanzend schlängeln, zieht einem glatt die Schuhe aus. „The Ship Song“ mit den niedlichen Kindern und einer freundlichen Atmosphäre ist dann das komplette Gegenteil. Der sechste Teil von „Do You Love Me, Like I Love You“ ist abermals sehr aufschlussreich. Hier berichten die Protagonisten, wie es sie nach Brasilien verschlagen hat und wie dort die Aufnahmen abliefen. So erzählt Blixa Bargeld z.B., das die rauchende Band im Studio eben nicht rauchen durfte, ja dass man nicht mal dort etwas trinken konnte. Insgesamt ist dies mal wieder eine sehr kurzweilige halbe Stunde, die man sich unter Garantie öfters angucken kann.
Fazit: „The Good Son“ war und ist ein herausragendes Album von Nick Cave And The Bad Seeds und hat nur ganz, ganz wenige Schwächen zu bieten. Mit „The Weeping Song“ und „The Ship Song“ finden sich zwei Klassiker hier wieder, die auch heute noch zu den Höhepunkten eines Cave-Konzerts zählen. Insgesamt ist die Scheibe wesentlich positiver gestimmt wie seine Vorgänger und hier wird deutlich eine neue Ära eingeleitet. Die DVD ist mal wieder ein besonderes Schmankerl und wertet das Album – man mag es kaum glauben – noch mal auf!
http://www.nickcaveandthebadseeds.com/
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: Tender Prey (CD/DVD)
EMI
VÖ: 26.03.2010
Wertung: 9/12
Die Nick Cave-Festspiele gehen in die nächste Runde. Letztes Jahr wurden ja bereits die ersten vier Studioalben neu veröffentlicht und dies in derart genialer Form, dass man es kaum erwarten konnte, bis der Backkatalog weitere Überarbeitungen erfährt. Die Zeit des Wartens ist ja nun vorbei und auch „Tender Prey“ kommt in einer überarbeiteten Version in die Läden. Es gibt die ganze Geschichte natürlich als Einzel-CD und selbstverständlich auch als Deluxe-Version. Man sollte allerdings nicht lange überlegen und gleich zur CD/DVD-Version greifen, denn der Mehrwert ist doch erheblich.
Das fünfte Studioalbum war auch zugleich das letzte Album der Berlin-Phase. Aufgenommen wurde die Scheibe in den Berliner Hansa Studios. Nicht wenige Stimmen sprechen davon, dass dies das erste Meisterwerk von Nick Cave und seinen Bad Seeds gewesen sei. Nachhaltig im Gedächtnis ist die Scheibe schon deshalb geblieben, da der Opener „The Mercy Seat“ längst zu einem Klassiker avanciert ist und in der Version von Johnny Cash noch mal zu neuen Ehren kam.
„Tender Prey“ zeichnet schon den Weg vor, den die Band einmal einschlagen wird. Natürlich ist das Werk noch recht sperrig, allerdings nicht mehr so avantgardistisch wie die Anfänge. Von The Birthday Party ist dieses Album schon ein großes Stück entfernt, auch wenn es an verschiedenen Ecken und Enden dann doch mal wieder ordentlich kracht und poltert.
Das brachiale und dunkle „The Mercy Seat“ überstrahlt die ganze Scheibe. Der vertonte Wahnsinn. Willkommen in der dunkelsten Ecke der Hölle! Willkommen in der Welt von Nick Cave! Und trotzdem ist der Stuhl Gottes und die Gnade nicht weit entfernt. Ein typischer Cave Text. Die musikalische Raserei vertont das Thema kongenial und es ist kein Wunder, dass dieser Song heute zu den ganz großen Klassikern von Cave gehört und es verwundert ebenso nicht, dass sich Johnny Cash diese Nummer zu Eigen gemacht hat.
„Tender Prey“ ist aber nicht nur „The Mercy Seat“. Der versoffene Blues von „Up Jumped The Devil“ verbreitet eine Unbehaglichkeit, die sich zur schieren Raserei entwickelt. Da kommt das beschwingte und vermeintlich unbeschwerte, gar poppige „Deanna“ genau zur rechten Zeit. Das zerschossene „Watching Alice“ ist dann ein erster Vorbote für diese traurigen, melancholischen Klavierstücke, die später noch folgen sollen. Gibt es andere Künstler, die gleichzeitig eine derartige Beklemmung und Faszination wie bei „Mercy“ kreieren können? Kaum. Mit „City Of Refuge“ findet sich dann ein weiterer Song wieder, der nicht die Zukunft aufzeigt, sondern eher wieder zurück zu den Anfängen geht. „Tender Prey“ ist somit vermutlich die einzige Scheibe, die beide Fanlager von Nick Cave and The Bad Seeds bedient. Das schöne „Slowly Goes The Night“ sorgt anschließend für etwas Entspannung bevor „Sunday´s Slave“ und „Sugar Sugar Sugar“ wieder den Ritt auf der Rasierklinge antreten. Immerhin gibt es mit „New Morning“ einen fast fröhlichen Albumausklang. Schade, dass das Werk seinerzeit klang wie in einer Blechtonne aufgenommen.
Die DVD ist natürlich das besondere Schmankerl. Der Audioteil hält so beispielsweise die Akustikversion von „Mercy Seat“, „City Of Refuge“ und „Deanna“ bereit. Die Songs verlieren auch in diesem Gewand nichts an Intensität. Das Video zu „The Mercy Seat“ muss man einfach gesehen haben – Nick Cave, der hier wie ein dem Wahnsinn verfallener James Dean anmutet. Mit einfachsten Mitteln wird hier das Maximum erzielt. Und dann hätten wir ja noch den fünften Teil der unglaublich aufschlussreichen Dokumentation von „Do You Love Me Like I Love You“, wo alte Weggefährten und eben Teile der Bad Seeds zu Wort kommen. Höhepunkte sind hier mal wieder die Ausführungen zur Produktion und Entstehungsgeschichte von Blixa Bargeld, während Flood seine Geschichte aus einem etwas anderen Ansatz erzählt. Essenziell für jeden Fan!
Fazit: Die Widerveröffentlichung von „Tender Prey“ ist in der CD/DVD-Konstellation ein Meilenstein für den Backkatalog von Nick Cave And The Bad Seeds. Das Album selber schrammt aufgrund des Klangs ganz knapp am Meisterwerk vorbei, bietet aber alle erdenklichen Facetten des Ausnahmekünstlers und seinen Mitstreitern. Die DVD setzt der ganzen Geschichte dann das Sahnehäubchen auf und die Dokumentation ist erneut das Herzstück dieser Reihe.
http://www.nickcaveandthebadseeds.com/
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: Your Funeral… My Trial (CD/DVD)
EMI
VÖ: 26.04.2009
Wertung: 11/12
Tipp!
Mit “Your Funeral… My Trial” gibt es einstweilen die letzte Widerveröffentlichung des großartigen Nick Cave und seiner Bad Seeds (angedacht sind aber alle Studioalben in neuem Gewand). Auch dieses Paket besticht wieder durch eine wunderschöne Optik. Das aufklappbare Digipack hält abermals die CD und DVD bereit.
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: „Kicking Against The Pricks“ (CD/DVD)
EMI
VÖ: 24.04.2009
Wertung: 9/12
Mit “Kicking Against The Pricks” hat sich Nick Cave endgültig in den Gesangesolymp erhoben. Das dritte Album mit den Bad Seeds ist eine Zusammenstellung von Coverversionen. Thomas Wylder gab sein Debüt als festes Mitglied hinter der Schießbude. Wylder verstand es die musikalischen Visionen von Cave umzusetzen und mit diesem Album ist die Band wohl insgesamt angekommen. Erstaunlich, dass dazu ein Coveralbum diente.
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: The Firstborn Is Dead (CD/DVD)
EMI
VÖ: 24.04.2009
Wertung: 9/12
Mit “The Firstborn Is Dead” kommt gleich der nächste Streich von Nick Cave und seinen Bad Seeds zu neuen Ehren. Auch dieses Paket kommt im aufklappbaren Digipack und hat neben dem eigentlichen Album noch eine weitere DVD mit üppigem Bonusmaterial zu bieten. Fanherz was willst du mehr?
Nick Cave: From Her To Eternity
EMI
VÖ: 24.04.2009
Wertung: 10,5/12
Tipp!
Sparen ist angesagt! Der komplette Backkatalog von Nick Cave & The Bad Seeds soll digital überarbeitet veröffentlicht werden – mit üppigem Bonusmaterial. Einstweilen kommen vier Alben in die Läden und sind Anlass genug eine Minute innezuhalten und ein kleines Dankesgebet gen Himmel zu schicken! Die Sets sind nämlich eine kleine Offenbarung. Den Anfang macht das geniale „From Her To Eternity“.
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave & The Bad Seeds: Dig, Lazarus, Dig!!!
EMI
VÖ: 29.02.2008
Wertung: 9,5/12
Der Tausendsassa und Hans Dampf in allen Gassen meldet sich mit seiner Band – den The Bad Seeds – zurück. Der Meister selber war ja nicht wirklich weg, auch wenn das letzte Album mit seiner Hauptband nun auch schon fast gut und gerne vier Jahre auf dem Buckel hat. Gemerkt hat man dies nicht wirklich, weil Nick Cave in der Zwischenzeit umtriebig wie nie war. Wunderschöne Soundtracks hat er zusammen mit seinem kongenialen Partner Warren Ellis aufgenommen und alle, die in den Genuss dieser einzigartigen Musik kamen, mit in eine tieftraurige Klangwelt genommen. Das komplette Gegenteil hat er mit seinem Lärmprojekt Grinderman auf die Beine gestellt, was nicht minder interessant war.
Der Mann ist also alles andere als berechenbar und wer jetzt meint, dass Cave & The Bad Seeds mit „Dig, Lazarus, Dig!!!“ ein melancholisches Album voller Pianoballaden aufgenommen haben, der wird staunen, was es da auf die Lauscher gibt. Grinderman scheint doch noch Nachwirkungen zu zeigen und so überrascht das neuerliche Album durch einen rockigen Ansatz. Bisweilen ist die Scheibe sogar recht minimalistisch in der Instrumentierung ausgefallen. Platz für das geliebte Piano war da nur noch bedingt, dafür kommt die Orgel hier und da zu neuen Ehren und die Gitarren dürfen auch mal lärmen und werden regelrecht von der Leine gelassen. Paradoxerweise hat man das Gefühl, dass dies der Weg ist, den Blixa Bargeld vielleicht gerne mit bestritten hätte – hat er aber nicht. Vor dem geistigen Auge sieht man förmlich wie er sein Nichtkönnen an den fünf Saiten zelebriert.
Der Titeltrack und Albumopener „Dig, Lazarus, Dig!!!“ gibt gleich die Richtung vor. Es quietscht, es scheppert und Cave spricht sich ruhe- und atemlos durch den Song. Ein stampfender Rocksong, der durch eine nonchalante Lässigkeit besticht. „Today´s Lesson“ knüpft daran nahtlos an, allerdings kommt die Nummer schneller auf den Punkt und weiß mit einem großartigen Refrain zu überzeugen. Veredelt wird der Track durch den Einsatz einer Orgel. „Moonland“ ist weniger lärmend und wird von einer starken Rhythmussektion getragen. Das melodische Gitarrenzwischenspiel ist wie das Salz in der Suppe. „Night Of The Lotus Eaters“ ist von der Instrumentierung eher minimalistisch und monoton und verbreitet eine düstere Atmosphäre. Trotzdem nicht gerade die stärkste Nummer der Scheibe. „Albert Goes West“ rockt danach umso mehr durch die Prärie und gefällt mit schönen Whoooho-Chören. „We Call Upon The Author“ ist ähnlich gelagert wie der Titeltrack, allerdings nicht ganz mit dieser Eingängigkeit versehen. Bei der wunderschönen Ballade „Hold On To Yourself“ bekommt die Stimme von Nick Cave den nötigen Freiraum geboten und zeigt, dass der Mann sich keineswegs hinter einer lärmenden Band verstecken muss und immer noch zu einem der Besten mit seinem Organ gehört. Nein, da macht ihm ganz sicher keiner so schnell was vor. „Lie Down Here (And Be My Girl)“ ist ein straighter Rocksong mit angezerrten Gitarren und grölligem Chorus. Auf die komplette Songdistanz wirkt das allerdings auch etwas langatmig und langweilig. Entschädigt wird man als Zuhörer aber dafür mit dem melancholischen „Jesus Of The Moon“ und dem wunderschönen „Midnight Man“. Mit „More News From Nowhere“ reitet die Bande von staubigen Strolchen entspannt dem Sonnenuntergang entgegen. Der Zuhörer freilich beginnt die Irrfahrt von „Dig, Lazarus, Dig!!!“ sicherlich erneut.
Fazit: Angeblich geht Nick Cave ja jeden Tag in sein Büro und schreibt dort Songs. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass er bei dieser Arbeitsweise derart von der Muse geküsst wird. Ob diese Geschichte, die ja nun seit Jahren kein Geheimnis mehr ist, nun stimmt oder nicht ist ja völlig egal. So lange dabei immer wieder ein solches Ergebnis zustande kommt, kann man nur hoffen, dass Nick Cave noch sehr lange seinem Bürojob nachgeht. Der Mann ist einfach ein Unikum und vom Scheitel bis zur Sohle die Coolness in Person. Seine musikalischen Ergüsse sind allesamt immer noch relevant, innovativ, fordernd und von einer derartigen Qualität, dass es seinen Kollegen schwindelig werden dürfte. Ist „Dig, Lazarus, Dig!!!“ nun das beste Album von Nick Cave & The Bad Seeds? Sicher nicht, aber ein verdammt gutes!
http://www.nickcaveandthebadseeds.com/
Text: Torsten Schlimbach
Nick Cave And The Bad Seeds: The Abattoir Blues Tour
EMI
VÖ: 20.09.2004
Wertung: 9/12
The Abattoir Blues Tour gibt es in zwei verschiedenen Versionen. Neben der Doppel-DVD gibt es auch noch ein dickes, fettes Doppel-DVD/Doppel-CD Box-Set. Konzentriert sich die visuelle Ausgabe größtenteils auf den Auftritt von Nick Cave & The Bad Seeds aus London, den die Band im November 2004 gab, so enthalten die CDs Mitschnitte von verschiedenen Konzerten. Die zweite DVD bietet übrigens Auszüge aus einem weiteren Londoner Auftritt, den Cave bereits im Juni 2003 im Rahmen seiner "Nocturama"-Tour gab. Hinzu kommen fünf Videos der letzten beiden Alben, Tourberichte, Interviews und Auszüge aus dem Videodreh zu „Bring It On“.
Die CD-Ausgabe, die wir hier zur Besprechung vorliegen haben, erscheint losgelöst vom Box-Set im März erneut. Insgesamt wartet diese mit 17 Titeln auf. Los geht es mit dem wunderschönen „O Children“ (aufgenommen in Düsseldorf). Langsam baut sich die Atmosphäre auf, veredelt durch den Chor. Gänsehautatmosphäre gleich zu Beginn. Danach gibt es die andere Seite der Band zu hören. Beschwörend und bedrohlich schält sich „Hiding All Away“ aus den Boxen (aufgenommen in Manchester). Krach kann doch so schön sein. Mit „Breathless“ gibt es dann einen kleinen Stilbruch und für Cave Verhältnisse eine fast schon heimelige und fröhliche Stimmung. „Get Ready For Love“ ist wie gemacht für die großen Bühnen dieser Welt (beide Tracks ebenfalls aus Düsseldorf). „Red Right Hand“ aus Kopenhagen ist von der Grundstimmung ruhig, aber Cave wäre nicht Cave, wenn es nicht auch ein paar verstörende und laute Elemente geben würde. Zum anschließenden „Ship Song“ muss man wohl nicht mehr viele Worte verlieren. Dieser dürfte mit Sicherheit zu den ganz großen Klassikern von Cave zählen und auch dieser Vortrag aus Paris weiß zu überzeugen. In dieselbe Kerbe schlägt dann „The Weeping Song“ (aufgenommen in München). CD1 findet dann seinen Abschluss mit dem epischen „Stagger Lee“ – die Band ist hier in Hochform.
CD2 startet dann mit dem ausufernden „Carry Me“ aus Düsseldorf. „Let the bells ring“ ist ein eher konventioneller Song fürs Stadion (aufgenommen in Lausanne). „Easy Money“ ist dann wieder einer dieser Gänsehautsongs, die auch noch einmal verdeutlichen, dass Cave einer der ganz großen Sänger und auch Songschreiber ist (aufgenommen in Mailand). „Supernaturally“ lässt es dann wieder mächtig krachen und „Babe You Turn Me On“ zeigt die eher nachdenkliche Seite – beide aus Paris. „There she goes, my beautiful world“ aus Amsterdam rockt dann wie Hölle mit einem großartigen Gospelchor. Das wunderschöne „God is in the House“ aus Paris bedarf keiner Worte, anschalten und genießen. Mit „Deanna“ aus Hamburg schließt sich ein weiterer Klassiker an, bevor „Lay Me Low“ aus München den würdigen Abschluss bildet.
Fazit: Für Cave-Fans ist die Doppel-CD natürlich Pflicht, selbstverständlich nur zusammen mit den DVDs. Ob eine „Nur-CD-Veröffentlichung“ großartig Sinn macht, muss jeder für sich selber beurteilen. Insgesamt überzeugt die Doppel-CD natürlich auf ganzer Linie, aber da man bei Nick Cave & The Bad Seeds nicht nur Genuss für die Ohren geboten bekommt, sollte man auf jeden Fall auf das Box-Set zurückgreifen. Dennoch kann man für diese runde Geschichte ruhigen Gewissens 9 Punkte vergeben.
http://www.nickcaveandthebadseeds.com/
Text: Torsten Schlimbach