Jethro Tull: Stand Up – The Elevated Edition

Jethro Tull: Stand Up – The Elevated Edition

Warner

VÖ: 18.11.2016

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Es ist mal wieder an der Zeit von Jethro Tull ein Album aus dem Backkatalog in schmucker Aufmachung und mit sensationellem Sound zu veröffentlichen. Da man bei der Veröffentlichungs- und Bearbeitungspolitik nicht chronologisch vorgeht, handelt es sich diesmal um das zweite Album „Stand Up“. Das muss man vermutlich auch nicht näher beleuchten oder hinterfragen. Vielleicht liegt es auch einfach an den persönlichen Vorlieben von Steven Wilson. Mit dem ursprünglichen Erfolg kann es jedenfalls nicht in Zusammenhang stehen, denn „Stand Up“ ist das einzige Album von Jethro Tull, welches den ersten Platz der britischen Charts erklimmen konnte. Dies war 1969 durchaus noch was wert.

 

Auf diesem Album hatte Ian Anderson endgültig die Zügel ganz alleine in die Hand genommen. Nach dem Ausstieg von Gitarrist Mick Abrahams richtet er die Band zudem neu aus. Vor den Aufnahmen gehörte übrigens kurzzeitig Toni Iommi zur Band. Sein Posten wurde aber durch Martin Lancelot Barre ersetzt – dem einzig konstanten Mitglied der Band. Die Songs schrieb Anderson aber selbstverständlich alleine. Über die Jahrzehnte wurde von „Stand Up“ immer mal wieder eine soundtechnisch überarbeitete Version veröffentlicht. Meist gab es dann auch noch jede Menge Klimbim und Bonusmaterial dazu. Erst 2010 wurde noch eine Collector´s Edition in den Handel gebracht. Neben dem Album gab es noch Aufnahmen aus den John Peel Sessions und eine zweite CD mit einem Live-Konzert aus der Carnegie Hall von 1970. Zusätzlich lag das Konzert auch noch als DVD bei.

 

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob es jetzt schon wieder einer neuen Veröffentlichung bedarf. Wer die bisherigen Arbeiten von Steven Wilson für Jethro Tull verfolgt hat, kann das nur mit einem eindeutigen Ja beantworten! Mit dickem Ausrufezeichen! Abgesehen vom brillanten Klang hat dieses Set natürlich auch wieder ein paar Schmankerl zu bieten. So gibt es beispielsweise eine unveröffentlichte Version von „Bourée“ zu hören. Die Haptik ist natürlich mal wieder überragend. Die Buchform hat sich bei den bisherigen Veröffentlichungen ja mehr als bewährt. Diesmal gibt es aber noch einen ganz besonderen Hingucker wenn man das dicke Teil aufschlägt: James Grashow designte extra ein Pop-Up-Artwork. Die Band springt einen förmlich an.

 

Auf der DVD gibt es Konzertausschnitte sowie Steven Wilsons Remix des Original-Albums in PCM-Stereo und im DD/DTS 5.1. Surround-Sound, eine hochaufgelöste 96/24-Übertragung der Original-Stereo-Mastertapes sowie die Direktübertragung der Original-Mono- und Stereomixes von „Living In The Past“ und „Driving Song“. Noch Fragen? Das Buch ist zudem keine Mogelpackung, sondern hat mit seinen 112 Seiten einen echten Mehrwert zu bieten. Neben unzähligen Fotos dieser Jethro Tull-Phase gibt es auch jede Menge Lesestoff.

 

Das Material ist soweit bekannt, aber eben nicht in diesem Sound. Wilson ist einfach ein Soundhexer. Wer das richtige Equipment hat, dem fliegt die filigrane Instrumentierung links und rechts um die Ohren. Ohren ist überhaupt das Stichwort, denn da muss der gute Steven vom lieben Gott mit sehr viel Wohlwollen bedacht worden sein. Ohne gute Lauscher wäre das nämlich nicht möglich. Glücklicherweise ist er nicht diesem unerträglichen Loudness War verfallen.

 

Wilson hat alle Instrumente und den Gesang extrahiert. Der dumpfe Klang ist weg. Man höre sich nur das kurze „Fat Man“ an – eine klangliche Offenbarung! Auf dem gesamten Album fallen einem Dinge auf, die man so bisher nicht gehört hat. Man erlebt „Stand Up“ förmlich neu. Die filigrane Gitarrenarbeit bei „We Used To Know“ hebt einen in andere Sphären. So war das sicherlich einst gedacht. Ein Remix ist ja immer so eine Sache, Wilson hat aber den Spagat geschafft, den ursprünglichen Vibe der Platte nicht zu verfälschen und dies aber trotzdem auch auf eine neue Ebene zu heben. „Reason For Waiting“ mit seinem klassischen Unterbau, dem wunderschönen Flötenspiel und dem famosen Gesang von Anderson entführt einen in Klangwelten, die man in dieser Form bisher nicht wahrgenommen hat.

 

Das Album ist ja angeblich das liebste von Jethro Tull für Anderson. Mit „A New Day Yesterday“ gibt es eine Art Brückenschlag vom Debüt zum Zweitlingswerk. Da ist nämlich der Blues noch nicht verschwunden. „Living In The Past“ ist Folk, Rock und von einer wunderbaren Melodieführung getrieben. „Driving Song“ ist deutlich beim Progrock einzusortieren, was natürlich dem Jazz Tür und Tor öffnet. Die unveröffentlichte Version von „Bourée“ ist für Fans sicherlich von besonderem Interesse, hat aber nur marginal was Neues zu bieten. Die BBC Sessions von „A New Day Yesterday“, „Fat Man“, „Nothing Is Easy“ und „Bourée“ sind zwar bekannt, aber immer wieder schön zu hören – erst recht in diesem Klanggewand!

 

Auf der zweiten CD ist ein Mitschnitt aus Stockholm vom 9. Januar 1969 zu hören. Auch hier ist der Klang schlichtweg brillant. „My Sunday Morning“ besticht durch ein feines und deutlich im Vordergrund stehendes Bassspiel. „Martin´s Tune“ ist aufgrund der Flöte und der gleichzeitigen Atemübung schon eine Schau für sich. Auch auf dieser Nummer sind alle Nuancen sehr fein austariert. Der Blues von „To Be Sad Is A Mad Way To Be“ kommt anschließend ziemlich fett daher, während „Back To The Family“ den Bogen von Country zu Folk zu Rock spannt. Die Raserei von „Dharma For One“ ist im Grunde ein Drumsolo und „Nothing To Easy“ ein Progstück mit Folk- und Jazzanleihen. Schön, dass Anderson zwischen den jeweiligen Songs noch ein paar einleitende und erläuternde Worte findet. „A Song For Jeffrey“ hat auch heute noch Hitqualitäten. Von der ersten Show gibt es übrigens eine Version von „To Be Sad Is A Mad Way To Be“ mit einem anderen Text zu hören. Die Mono Single Mixes von „Living In The Past“ und „Driving Song“, sowie zwei Radio Spots(!) für „Sand Up“ runden das Gesamtpaket sehr schön ab.

 

Fazit: Das zweite Album von Jethro Tull „Stand Up“ ist für sich gesehen ja schon ein gutes Ding. Es gibt durchaus auch schon eine gute Remaster-Version, die die Wolldecke von den Boxen genommen hatte. Soundguru Steven Wilson hat das Ding nun aber mit einem Remix versehen, der das Album auf eine ganz neue Stufe hebt. Im Grunde kann man das Werk ganz neu erleben – wohlgemerkt ohne das da irgendwas verfälscht wäre. Der Vibe von „Stand Up“ wurde selbstverständlich so belassen. Nun scheint es aber möglich zu sein, von diesem filigranen Werk und der vielfältigen Instrumentierung jede Nuance mitzubekommen. Für Klangästheten ist das eine Offenbarung!

 

STAND UP: THE ELEVATED EDITION
Track Listing:

CD1: Stereo Mixes by Steven Wilson
01. “A New Day Yesterday”
02. “Jeffery Goes To Leicester Square”
03. “Bourée”
04. “Back To The Family”
05. “Look Into The Sun”
06. “Nothing Is Easy”
07. “Fat Man”
08. “We Used To Know”
09. “Reasons For Waiting”
10. “For A Thousand Mothers”
11. “Living In The Past”
12. “Driving Song”
13. “Bourée” – Morgan Version*
14. “Living In The Past” – Original 1969 Stereo Single Mix
15. “Driving Song” – Original 1969 Stereo Single Mix
16. “A New Day Yesterday” – BBC Sessions
17. “Fat Man” – BBC Sessions
18. “Nothing Is Easy” – BBC Sessions
19. “Bourée” – BBC Sessions

* Bisher unveröffentlicht

 

CD2: Live at The Stockholm Konserthuset (January 9, 1969)
01. Introduction
02. “My Sunday Feeling”
03. “Martin’s Tune”
04. “To Be Sad Is A Mad Way To Be”
05. “Back To The Family”
06. “Dharma For One”
07. “Nothing Is Easy”
08. “A Song For Jeffery”
09. “To Be Sad Is A Mad Way To Be” – first show version
10. “Living In The Past” – Original 1969 Mono Single Mix
11. “Driving Song” – Original 1969 Mono Single Mix
12. Stand Up Radio Spot #1
13. Stand Up Radio Spot #2

DVD1: Audio and Video
Steven Wilson remixes in 96/24 PCM stereo and DD/DTS 5.1 surround
96/24 flat transfer of Stand Up original stereo master tapes from June 5, 1969
96/24 flat transfer of original mono and stereo mixes of “Living In The Past” and “Driving Song”
Video footage from Stockholm 1969: “To Be Sad Is A Mad Way To Be” and “Back To The Family”

 

Die Highlights des Sets:
– Original-Album mit Bonustracks (darunter eine bisher unveröffentlichte Version des Songs „Bourée“),
in 5.1 Surround-Sound und Stereo von Steven Wilson remixt
– 96/24 Direktübertragung der Original Stereo-Mastertapes
– 96/24 Direktübertragung der originalen Mono- und Stereomixe von „Living In The Past“ und „Driving Song“
– Live-Video von einem Auftritt im Januar 1969
– Verpackung im inzwischen bekannten Buchformat mit einem 112-seitigen Booklet mit ausführlicher Historie des
Albums, Track-By-Track-Anmerkungen von Ian Anderson sowie selten und nie gezeigte Fotos
– Das von James Grashow designte Pop-Up-Artwork des Originalalbums.

 

http://jethrotull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Jethro Tull: Aqualung (40th Anniversary Adapted Edition)

Jethro Tull: Aqualung (40th Anniversary Adapted Edition)

Warner

VÖ: 22.04.2016

 

Wertung: 12/12

Tipp!

 

Jetzt wird also doch noch von „Aqualung“ die dicke Box mit den umfangreichen Steven Wilson-Arbeiten veröffentlicht. Das wurde aber auch Zeit! Allerdings ist der Anlass jetzt schon ein bisschen seltsam, denn das 40. Jubiläum wurde ja schon vor fünf Jahren gefeiert. Ursprünglich kam dieses Meisterwerk ja 1971 in den Handel. 2011 hat man das dann auch mit einer entsprechenden 40th Anniversary Edition bedacht. Aber nun gut, man muss die Feste eben feiern wie sie fallen. Letztlich spielt es ja hierbei auch keine Rolle, welchen Zusatz das nun trägt. Man hätte daraus eine 45th Anniversary Edition zaubern können, jetzt ist es eben die 40th Anniversay Adapted Edition. Schade ist nun natürlich, dass alle Gelegenheitshörer, die „Aqualung“ im Schrank stehen haben wollten und eine der vielen Veröffentlichungen vorher verpassten, 2011 zugegriffen und nun sicher nicht noch mal über erneute Anschaffung nachdenken. Die vielen Fans betrifft das natürlich nicht, denn wie werden so oder so diese Box in den Schrein stellen.

 

Wer die bisherigen Arbeiten von Steven Wilson – auch im Auftrag von Jethro Tullk - kennt weiß, was ihn hier erwartet. „Aqualung“ kann nun noch mal ganz neu entdeckt und erlebt werden. Der Mann ist für solche Remixarbeiten einfach ein ganz großer Segen. Er definiert den Progrock mittlerweile aus der klanglichen Perspektive ganz alleine. Klar, 2011 gab es schon die CD-Variante, aber man weiß ja, wie Wilson darüber denkt. Für ihn ist das letztlich nur Abfall, der eben beim Remix angefallen ist und den man mal schnell auf die Silberlinge in – seiner Meinung nach – minderer Tonqualität pressen kann. Nun gibt es neben den beiden CDs auch noch 2 DVDs dazu, die, bei der entsprechenden Ausstattung in den eigenen vier Wänden, „Aqualung“ nun klanglich noch mal aufwerten. Abgesehen davon ist die zweite CD nun – im Gegensatz zum Release von 2011 – noch mal um einige Tracks üppiger ausgefallen.

 

Schon alleine die Haptik ist überragend. Das dicke Buch lässt da nicht nur das Fanherz ein Stückchen schneller schlagen. Man kann sich da schon ziemlich lange mit den einzelnen Geschichten über die verschiedenen Takes, den Songtexten, den Erinnerungen an diese Zeit und den vielen Fotos beschäftigen. Fans lieben solche Geschichten, weil man so ein Stückchen tiefer in ein vermeintliches Meisterwerk eintauchen kann und sich so manches Puzzleteil ganz neu sortiert. Die Geschichten mögen teilweise bekannt sein und über „Aqualung“ wurde ja schon so manche umfangreiche Abhandlung geschrieben, aber vielleicht gibt es hier dann selbst für den Hardcorefan noch das eine oder andere neue Detail. Übrigens ist die ganze Geschichte mit einem Anschaffungspreis von 22 Euro doch recht fanfreundlich ausgefallen. Man bekommt immerhin ein dickes Buch, 2 CDs und 2 DVDs – da gibt es nun wirklich nichts zu meckern.

 

Die große Kunst von Steven Wilson besteht mitunter auch darin, dass er es schafft die Klangästhetik eines Albums noch mal auf ein neues Level zu heben, dabei aber keineswegs die Atmosphäre verändert oder zu verwässert! Da haben die Hüter des heiligen Grals bei solchen Remastern ja immer Angst, die zum Teil aber auch nicht unbegründet ist. Der neue 5.1 DTS & DD Mix lässt einen aber auch ungläubig vor der Anlage stehen. Das ist derart transparent, dass man sich erstmal vergewissern muss, dass die Band nicht doch irgendwo im Wohnzimmer die Instrumente aufgebaut hat. Bei sechs Verstärkerkanälen kann man erst so richtig die Kuh fliegen lassen. Herausragend! Die Direktübertragung des Stereo-Mixes setzt da Maßstäbe. Auch die EP „Life Is A Long Song“ gibt es nun in 96/24 LPCM Stereo. Der Promo-Film „Life Is A Long Song“ kommt mit einem neu gemixtem Stereo-Soundtrack.

 

Und wie immer gilt, dass es dabei nicht um die Lautstärke geht, denn „Aqualung“ hat ja auch sehr viele ruhige und folkige Momente. „Just Trying To Be", „Wind Up" (Early Version), „Wond’ring Aloud" und „Again" (Full Morgan Version) sind nun als 5.1-Mixe erhältlich. Auch in dieser Hinsicht bietet das Set einen richtigen Mehrwert!

 

Ob „Aqualung“ von Jethro Tull nun das beste Album der Band ist mögen andere beurteilen und darüber können dann die Gelehrten streiten. Es dürfte aber ziemlich sicher sein, dass dies das bekannteste Werk ist. Der Stellenwert für den Backkatalog von Jethro Tull kann man nicht hoch genug einschätzen. Dieses Meisterwerk hatte selbstverständlich eine gebührende Geburtstagsfeier verdient. Davon ist Ian Anderson selbst am meisten überrascht, der es gar nicht fassen kann, dass dieses Album immer noch relevant ist und eben eine „40th Anniversary Edition“ veröffentlicht wird.

 

Man ist sich über die Bedeutung der Aufnahmen von Steven Wilson mittlerweile aber durchaus im Klaren und somit gibt es hier keine aufgewärmte Soße in neuer Verpackung, sondern ein ganz besonderes Schmankerl. Natürlich gab es dafür den Segen von Anderson.

 

Was das bedeutet erklärt Anderson am besten gleich mit seinen Worten selber: „Zur Erklärung für diejenigen, die solche Dinge leicht verwechseln, ein `Remix´ ist nicht das Gleiche wie ein `Remaster´. Beim Remixen geht man auf die ursprünglichen Studio Multi-Track-Master zurück und balanciert und perfektioniert den Sound aller einzelnen Instrumental- und Vocal-Tracks, um daraus ein neues Stereo- oder 5.1-Surround-Master zu schaffen. Das Remastering besteht nur aus dem bereinigen und der Erstellung einer neuen Kopie des ursprünglichen Stereo-Masters. In der Regel ergibt sich ein klareres Hörerlebnis als beim Original.“

 

Das Album selber ist natürlich längst ein Klassiker der Musikgeschichte, welches nun mehrfach der Zeit angepasst wurde (wir erinnern uns an die NEW EDITION der 90er). Noch nie hat die Platte aber derart klar und druckvoll geklungen! Jedes Instrument, ja jede Nuance ist glasklar hörbar. Erstaunlich, was mit heutiger Technick alles möglich ist. Und keine Sorge, der ursprüngliche Geist der Scheibe wurde natürlich nicht verändert. Es tut den Songs aber merklich gut, dass man sie nun in dieses Klanggewand eingebettet hat. Die Rhythmen treten noch viel deutlicher zu Tage und gerade der Harmoniegesang und die vertrackten Instrumentalpassagen kommen noch besser zur Geltung. Der Titeltrack oder die Klassiker „Cross-Eyed Mary“ und „Locomotive Breath“ zählten zum Besten der damaligen Avantgarde und sind auch heute noch immer relevant. In der vorliegenden Form zählen die Stücke immer noch zur Prog-Sperspitze. Der progressive Ansatz ist nämlich schon deutlich hörbar.

 

Man höre sich nur die ausufernde Version von „My God“ an. Fast zehn Minuten glänzt dieser Brocken mit musikalischen Wendungen, die einem den Atem rauben. Klanglich hat das absolute Höchstnoten verdient und jede noch so kleine Nuance ist auszumachen. Sensationell! Ins komplette Gegenteil geht der Folk „Wond´ring Aloud Again“. Das zeigt auch das immens vielfältige Spektrum von Jethro Tull. Eine weitere unveröffentlichte Version von über sieben Minuten gibt es im weiteren CD-Verlauf von dieser Nummer ebenfalls zu hören.

 

Fazit: Die 40th Anniversary Adapted Edition von „Aqualung“ macht gleich in mehrerlei Hinsicht Sinn. Die Haptik ist natürlich großartig, da geht einem das Herz auf! Die Remixe der beiden CDs sind ja bekannt, aber im Gegensatz zu der Veröffentlichung von 2011 hat man noch ein paar Bonustracks mit drauf gepackt, die selbstverständlich auch von Steven Wilson bearbeitet wurden. Und dann wären da ja noch die beiden DVDs, die dieses Meisterwerk noch mal auf eine neue klangliche Ebene heben! Höchstwertung!

 

www.jethrotull.com

 

Text: Torsten Schlimbach

 

Tracklisting

CD 1:
Die 11 Originaltracks gemischt und 2011 gemastert von Steven Wilson:
01-Aqualung
02-Cross-Eyed Mary
03-Cheap Day Return
04-Mother Goose
05-Wond’ring Aloud
06-Up To Me
07-My God
08-Hymn 43
09-Slipstream
10-Locomotive Breath
11-Wind-Up

CD 2:
Die zusätzlichen Aufnahmen aus den Jahren 1970 und 1971, gemixt und gemastert von Steven Wilson.
Direktübertragung der EP Life Is A Long Song mit den Tracks Life Is A Long Song und Up The Pool – in dieser Form zum ersten Mal auf CD

01-Lick Your Fingers Clean
02-Just Trying To Be
03-My God (early version)
04-Wond’ring Aloud (13th December 1970)
05-Wind-Up (early version)
06-Slipstream (Take 2)
07-Up The ‘Pool (early version)
08-Wond’ring Aloud, Again (full Morgan version)
09-Life Is A Long Song
10-Up The ‘Pool

Original ‘Life Is A Long Song’ EP
11-Life Is A Long Song
12-Up The ‘Pool
13-Dr Bogenbroom
14-From Later
15-Nursie
16-Reprise Radio Advert

DVD 1 (Audio)
Aqualung im 5.1 Surround-Sound-Remix in DTS 96/24-Qualität und AC3 Dolby Digital und 96/24 LPCM Stereo, mit allen zusätzlichen Aufnahmen der Jahre 1970 und 1971.

Sieben Songs im 5.1 Surround-Sound-Remix in DTS 96/24-Qualität und AC3 Dolby Digital, alle zehn Songs in 96/24 LPCM Stereo.

DVD 2 (Audio & Video)
- Direktübertragung des Original-Stereomasters in 96/24 LPCM Stereo.
- Der Original-Quadrophonie-Mix 4.1. als DTS 96/24 und AC3 Dolby Digital Surround.
- Direktübertragung des Original Stereomasters der EP Life Is A Long Song in 96/24 LPCM Stereo.
- Der Promo-Film Life Is A Long Song von 1971 mit neu gemixtem Stereo-Soundtrack.

im weiteren CD-Verlauf von dieser Nummer ebenfalls zu hören.

Jethro Tull: Minstrel In The Gallery - The 40th Anniversary La Grandé Edition

Jethro Tull: Minstrel In The Gallery - The 40th Anniversary La Grandé Edition

Warner

VÖ: 01.05.2015

 

Wertung: 11/12

Tipp!

 

Der Mann ist schon ein Klangbesessener. Man könnte ja jetzt auf die Idee kommen, dass Ian Anderson gemeint ist, aber dem ist nicht so. Ausnahmsweise muss man die Rezension mit einem anderen Musiker und Ästheten beginnen: Steven Wilson. Der neue Held des Progrock hat erst kürzlich verlauten lassen, dass für ihn Stereo Mixe eigentlich Abfallprodukte sind, die eben für seine 5.1 Surround-Arbeiten anfallen würden. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Abfallprodukte! Nach einem solchen Abfallprodukt würden sich zig andere Bands die Finger lecken. Natürlich hat auch die Geburtstagsausgabe von „Minstrel In The Gallery“ von Jethro Tull einen Stereo Mix im umfangreichen Paket mit an Bord. Und das ist natürlich mal wieder eine klangliche Offenbarung.

 

„Minstrel In The Gallery“ wurde 1975 als achtes Album von Jethro Tull veröffentlicht. Das Album war zwar recht erfolgreich, konnte aber nicht ganz mit den großen Bandmeilensteine der Vergangenheit mithalten. Trotzdem hat auch dieses Werk jetzt eine Ehrung zum 40. Geburtstag mehr als verdient. Besagter Steven Wilson ist ja dafür verantwortlich, dass eine ganz neue Generation Proghörer herangewachsen ist. Genau jene sollten sich dann auch mal anhören, wo der Mann seine musikalischen Wurzeln hat, denn die sind nämlich auch durchaus mit Jethro Tull verbunden. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass er den Backkatalog der Band immer wieder bearbeiten darf, aber eben auch will!

 

Zunächst sticht die überragende Aufmachung heraus. In Buchform schlägt das so manchen dicken Wälzer. Das 80-seitige Booklet ist schon aller Ehren wert. Viele Fotos dieser Jethro Tull-Ära kann man da bewundern, aber dieses Werk lädt eben auch dazu ein, sich Stunden darin zu vergraben. Songtexte und Track-by-Track Anmerkungen von Ian Anderson beleuchten „Minstrel In The Gallery“ schon sehr ausführlich. Dann wären da aber noch die vielen Anekdoten von den Leuten, die für Jethro Tull arbeiteten. Sehr aufschlussreich und erhellend. Kritiker solcher Formate vertreten ja die Meinung, dass die berühmten „Anniversary Editions“ unnötig wären und eine Erfindung der Industrie, um den mittlerweile als solvent geltenden Fans einer älteren Band das Geld aus der Tasche zu ziehen. Da ist sicher etwas dran, aber wenn das, wie im vorliegenden Fall, derart schön aufgemacht ist und dann auch noch mit vier Discs ganz fett punkten kann, dann darf man auch mal fragen: warum eigentlich nicht? Zumal es die ganze Geschichte für unglaubliche 30 Euro zu kaufen gibt! Der Mehrwert dieser Jubiläumsausgabe ist durchaus immens!

 

„Minstrel In The Gallery“ ist die gewohnt schwere Kost von Jethro Tull. In der Vergangenheit hatte die Band zwar durchaus bewiesen, dass sie auch zu konventionellem Songmaterial fähig ist, aber davon ist das vorliegende Werk weit entfernt. Beginnend beim Titelstück, wird einem schnell bewusst, dass die Band Hörgewohnheiten mal wieder auf den Kopf stellt. „Minstrel In The Gallery“ wird rein akustisch begonnen – eben ganz im Stile des Minnesängers – wird aber im Mittelteil komplett durch den rockigen Part auf den Kopf gestellt. Martin Barre stellt hier unter Beweis, dass er einer der ganz Großen seiner Zunft ist. Auch Drummer Barriemore Barlow besinnt sich da seiner Rockwurzeln. Danach folgt ein Teil, der für sich alleine gesehen glatt das Zeug zu einem veritablen Rockhit hätte. Und dies wird von Jethro Tull alles in einen Song verpackt. „Cold Wind To Valhalla“ geht zurück auf die Nibelungensaga und ist – zumindest für diese Band – ein ziemliches Rockbrett. Die Songstrukturen sind aber wieder derart diffus, dass dies wiederum in kein Schema passt. „Black Satin Dancer“ ist das genaue Gegenteil und sehr balladesk. Die Streicher und der Instrumentalpart verleihen der Nummer eine Lieblichkeit, die durchaus wunderschön ist, aber eben auch jenseits aller Peinlichkeitsgrenzen anzusiedeln ist. „Requiem“ und „One White Duck/ 010 = Nothing At All“ sind wunderbare Folk-Kleinode, wie sie eben nur Anderson vortragen kann. Danach folgt ein Epos, an dem viele scheitern dürften, sofern nicht die Bereitschaft besteht sich darauf einzulassen. „Baker St. Muse“ teilt sich in fünf Parts, wobei die Übergänge fließend sind. Dieses Manifest weist durchaus autobiografische Züge auf. Die vielen Stilbrüche und Richtungswechsel machen es einem als Zuhörer sicher nicht leicht, aber wenn man sich einmal zurecht gefunden hat, dann wird man in einen aufregenden Klangkosmos befördert.

 

Und dies alles gibt es nun erneut in verbessertem Klang. Das Album wurde in der Vergangenheit schon mehrfach remastert, aber erst Steven Wilson hat da wohl das Optimum herausgeholt – ohne Sound oder Atmosphäre des Albums zu verwässern. Der Stereo Mix ist schon extrem beeindruckend und – Abfallprodukt hin oder her – für Klangästheten eine Offenbarung. Dies gilt ausnahmslos für alle Tracks, auch in der Bonussektion. Die B-Seite „Summerday Sands“, aber auch das restliche Material der Studio-Outtakes und der BBC-Version von „Aqualung“ sind herausragende Standortbestimmungen. Klar, die Bonustracks sind bekannt, aber klanglich ist das ein Traum. Der 5.1 Surround Mix lässt einen abermals Bauklötze staunen. Ja, meine Damen und Herren, da klappt einem schon mal die Kinnlade runter. Das ist derart transparent, dass man meint, dass die Band bei einem im Wohnzimmer spielt. Wer sechs Verstärkerkanäle sein eigen nennen kann, wird sich im siebten Himmel wähnen. Man höre sich nur das göttliche Zusammenspiel und die Übergänge von Gitarre und Flöte bei „Black Satin Dancer“ an. Herausragend – und das ist glatt noch untertrieben.

 

Dazu gesellt sich eine nicht minder interessante Liveaufnahme. Selbige enstand am 5. Juli 1975 in der Olympia-Halle in Paris. Das Album war zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht veröffentlicht. King Crimson-Gitarrist Jakko Jakszyk hat diesen Mitschnitt in 5.1 & Stereo gemixt. Man kann sich also auch hier wieder entscheiden, welchem Format man den Vorzug gibt. Auch Jakszyk hat das Optimum aus dem Material herausgeholt. Der Sound ist sehr transparent, klar und warm. Das Konzert speist sich selbstverständlich auch aus den Klassikern der Band, aber auch eine früher Version von „The Minstrel In The Gallery“ ist hier schon zu hören und sehen! Es gibt nämlich noch ein Filmchen, welches knapp acht Minuten dauert und wo Anderson diesen Song vorträgt. Das ist jetzt keine Sensation, rundet das Gesamtpaket aber eben sehr schön ab.

 

Die Musik auf den DVDs wird übrigens durch und mit vielen Bildern der Band begleitet, wodurch man auch noch mal ein paar tiefergehende Einblicke in den Jethro Tull-Kosmos erhält.

 

Fazit: „Minstrel In The Gallery“ zählt nicht zu den bekanntesten Alben von Jethro Tull, ist aber trotzdem ein Meisterwerk. Hier gibt es letztmalig das klassische Line-up zu hören. Die einzelnen Songs enthalten mitunter auch ein paar härtere Rockpassagen und zeigen Jethro Tull von einer neuen Seite. Der Remix – nicht zu verwechseln mit Remaster – von Steven Wilson ist göttlich und hebt das Album auf eine neue Klangebene. Auch der Part von Jakko Jakszyk kann sich hören lassen. Die Aufmachung ist abermals herausragend! Dies ist eine „Anniversary Edition“ die mehr als Sinn macht und dazu braucht es garnicht unbedingt bisher unveröffentlichtes Material!

 

http://jethrotull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

 

Disc One: New Steven Wilson Stereo Remix
01. “Minstrel In The Gallery”
02. “Cold Wind To Valhalla”
03. “Black Satin Dancer”
04. “Requiem”
05. “One White Duck / 010 = Nothing At All”
06. “Baker St. Muse”
07. “Baker St. Muse”-“Pig-Me And The Whore”
08. “Baker St. Muse”-“Nice Little Tune”
09. “Baker St. Muse”-“Crash-Barrier Waltzer”
10. “Baker St. Muse”-“Mother England Reverie”
11. “Grace”
12. “Summerday Sands”
13. “Requiem” (Version 1) *
14. “One White Duck” (Take 5) *
15. “Grace” (Take 2) *
16. “Minstrel In The Gallery” (BBC version)*
17. “Cold Wind To Valhalla” (BBC version)*
18. “Aqualung” (BBC version)*

 

Disc Two – Live at The Palais Des Sports, Paris, July 5, 1975 (A Jakko Jakszyk Stereo Mix)

01. “Introduction (The Beach Part 11)”
02. “Wind Up”
03. “Critique Oblique”
04. “Wond’ring Aloud”
05. “My God”
05. a. Flute Solo Including: “God Rest Ye Merry Gentlemen/Bouree/Quartet”
05. b. “Living In The Past”
05. c. “My God” (Reprise)
06. “Cross-Eyed Mary”
07. “Minstrel In The Gallery”
08. “Skating Away On The Thin Ice Of The New Day”
09. “Bungle In The Jungle”
10. “Aqualung”
11. “Guitar Improvisation”
12. “Back-Door Angels”
13. “Locomotive Breath” with improvisation and including “Hard Headed English General” and “Back-Door Angels” (Reprise)

* Bisher unveröffentlicht

Die DVDs enthalten DTS & DD 5.1 Surround-Mixe sowie einen 96/24 PCM Stereomix und den 8-minütigen Film, den die Band am 6. July 1975 in Paris drehte.

Artist: 

JETHRO TULL

Release:

“Minstrel In The Gallery – The 40th Anniversary La Grandé Edition”

VÖ:

01.05.2015

Label:

Chrysalis / Warner Music Entertainment 

Formate:

2xCD/2xDVD-Box / 1xCD / 1xVinyl / download

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Wertung: 9/12

 

Ende Mai wurde von Emerson, Lake & Palmer „Brain Salad Sugery“ als CD+DVD Version erneut in die Läden gestellt und alles was dieser Neuveröffentlichung in klanglicher Hinsicht fehlt, hat nun „A Passion Play“ von Jethro Tull zu bieten. In erster Linie ist das natürlich mit einem Namen verbunden: Steven Wilson. Der Mann ist einfach ein wunderbarer Soundtüftler und gerade für den Progressiven Rock-Sound ein wahrer Glücksfall. Wie kein Zweiter schafft es Wilson den Alben, an denen er arbeiten darf, neues Leben einzuhauchen. Er destilliert von den Original-Masterbändern die Essenz der Musik heraus und schafft ein völlig neues Klangerlebnis. Die Schwierigkeit besteht ja darin, dass dies eben keine Steven Wilson-Alben werden sollen und der ursprüngliche Charakter unbedingt beibehalten werden muss. Jethro Tull waren ja nun auch nie Klangverächter und mit den jeweiligen technischen Möglichkeiten der Zeit wurden monumentale Werke geschaffen und doch hebt Wilson „A Passion Play“ noch mal auf ein ganz neues und anderes Level. „A Passion Play“ offenbart nun so noch mal völlig neue Feinheiten, die Fans ganz sicher eine dicke Gänsehaut bescheren wird.

 

Als Jethro Tull die Aufnahmen für den Nachfolger von „Thick As A Brick“ vorbereiteten, waren sie im Olymp angekommen. Die Band hatte selbst die USA geknackt. Jethro Tull waren zu Superstars geworden und Ian Anderson das unumstrittene Aushängeschild, Gesicht und Stimme. Trotzdem gestaltete sich das Unterfangen diesen Status zu halten als sehr schwierig. Die Aufnahmen zu „A Passion Play“ waren dann zunächst auch desaströs. Die Wahl des Studios fiel auf das Château d’Hérouville bei Paris. Elton John hatte da schon aufgenommen und auch Pink Floyd hatten sich dort schon eingemietet. Abgesehen von seinem guten Ruf hoffte man da auch auf einigen Komfort, da das Studio auch ein Wohnhaus zu bieten hatte. Es kam freilich alles ganz anders. Der Wohnbereich hatte lediglich ein Schlafzimmer und so hauste die Band auf engstem Raum und diesen mussten sich die Herren auch noch mit einer stattlichen Anzahl Bettwanzen teilen. Zu allem Überfluss zog sich dann auch noch die komplette Mannschaft eine Nahrungsmittelvergiftung zu. Technische Probleme brachten letztlich das Fass vollends zum Überlaufen und die Aufnahmen wurden abgebrochen. Bis dahin hatte die Band Material von einer Stunde zusammen – alles für die Tonne.

 

Jethro Tull fingen ganz von vorne an und Ian Anderson schrieb ein komplett neues Album. Die Pariser-Geschichte spielte dabei keine Rolle mehr und Anderson wollte nicht auf die gescheiterten Aufnahmen zurückgreifen. „A Passion Play“ ist mitunter ein abstraktes, kompliziertes und schwer verdauliches Werk, welches musikalisch derart viele Wendungen und Schattierungen hat, dass heutzutage eine Band Jahre daran arbeiten würde. Jethro Tull hatten genau neun Tage bis zum Tourstart! Ein absoluter Hammer! Natürlich ist auch „A Passion Play“ wieder ein Konzeptalbum, aber nach der ironischen Leichtigkeit des Vorgängers gab es nun ein recht schwieriges Thema: das Leben nach dem Tod. Gleich zu Beginn der Platte hört man einen Herzschlag, der ganz langsam aussetzt und danach offenbart sich – im Grunde ein einziger Track – mit all seiner Komplexität. Ein Album wie ein Theaterstück und die ganze Absurdität des Lebens und Tods wird hier aufgearbeitet. Antworten findet man aber keine, denn diese werden an den Zuhörer weitergegeben. Für manche Kritiker war das wohl zu viel und so kam „A Passion Play“ nicht sonderlich gut weg. Auch einige Fans waren sauer und dass sich die Band zunächst in Frankreich einmietete kam auch nicht überall gut an. Jethro Tull waren plötzlich die Steuerflüchtlinge Großbritanniens. Jetzt dürfte genug Zeit vergangen sein um sich dieser Platte und seinem schwierigen Thema erneut zu nähern. Es ist auf eine absurde Art und Weise schon wieder tragisch, dass dieses wunderbare Package wohl nur Hardcore-Fans begeistern dürfte, da sich die Hörgewohnheiten und das Leben derart gewandelt hat, dass in unserer schnelllebigen Zeit kaum ein Platz für dieses komplexe Werk bleibt.

 

Die Aufmachung von „A Passion Play (An Extended Performance)“ ist erstklassig. Die ganze Geschichte wird in Buchform geliefert. Der geneigte Fan kriegt also auch optisch einiges geboten und kann die ganze Entstehungsgeschichte mit all seinen Facetten noch mal wunderbar nachvollziehen. Der Text geht aber noch viel weiter und mehr in die Tiefe. Das Vorgehen von Steven Wilson wird beleuchtet, die Tour – inklusive der Tourdaten – wird unter die Lupe genommen, die gesamte Mannschaft, die an „A Passion Play“ beteiligt war, wird namentlich kenntlich gemacht und auch die Ballerina kommt zu ganz neuen Ehren. Viele Fotos runden das sehr gute Gesamtbild auf wundervolle Weise ab. Dieses tolle Paket kann man sich ganz vorne in den Schrein stellen und dann gibt es das alles auch noch für sehr fanfreundliche 24 Euro käuflich zu erwerben!

 

In all den Jahren hat „A Passion Play“ nichts von seiner schwer zugänglichen Art und Weise verloren. Wer sich nicht voll und ganz darauf einlassen kann – und dazu gehört eben auch die Geschichte – wird dazu sicher keinen Zugang finden. Das Album wirkt sogar einigermaßen zerrissen. Lässt man sich auf die Geschichte ein, dann kann man in ein progressives Werk eintauchen, welches nicht immer vollends funktioniert, aber über weite Strecken doch brillant ist. „A Passion Play“ ist eben weit mehr als ein Rockalbum. Jethro Tull vereinen hier Folk, Klassik, Jazz, die Dramaturgie einer Oper und die Verspieltheit eines Hörspiels unter einem Hut. Ian Anderson spielt übrigens nicht nur Flöte und Akustikgitarre, sondern auch Saxofon. Wer das ursprüngliche Album kennt, wird sich vielleicht immer etwas über den schwachbrüstigen Saxofon-Sound geärgert haben. Genau da kommt jetzt Steven Wilson ins Spiel. Schon sein neuer Stereo Mix ist einfach ein Hochgenuss und ja, auch das Saxofon ist wesentlich direkter und deutlicher zu vernehmen. Die DVD bereitet einem dann endgültig einen Ohrorgasmus. Das ursprüngliche Album gibt es dazu noch als Flac-Version. „A Passion Play“ ist – anders als „Thick As A Brick“ - symphonischer und wesentlich opulenter und das spielt der Arbeit von Steven Wilson in die Karten. Entgegen dem Loudness-Trend hat Wilson eben die vielen kleinen Nuancen herausgearbeitet und nicht nur die Regler nach oben geschoben. Das Ergebnis ist sensationell. Kann man hier von Perfektion sprechen?!

 

Das Album unterteilt sich in gewissem Sinne in Part 1 und Part 2. Die Soundcollagen geben sich die Klinke mit einem sehr progressiven Teil in die Hand, nur um im nächsten Moment in eine Art mittelalterliche Instrumentierung zu wechseln. Danach wird das Tempo etwas angezogen und auch mal ein bisschen durch den Gemüsegarten gerockt, bevor es in ruhige und nachdenkliche Teile zerfällt. „Story Of The Hare Who Lost His Spectacles“ ist der reine Hörspielteil des Albums und driftet mitunter in eine komödiantische Richtung ab. Zum Schluss kann sich das Album nicht so richtig zwischen Folk und Rock entscheiden, aber genau das war ja auch der Sinn und Zweck dieser Übung. Aufgrund der harschen Kritik muss sich Anderson ziemlich unverstanden gefühlt haben. Dieses Konzeptalbum war anscheinend zu viel für manchen Hörer.

 

Als besonderes Schmankerl liegen auch die „Château d’Hérouville Sessions“ als CD und DVD diesem Package bei. Beides wurde natürlich auch unter der Ägide von Steven Wilson auf den Weg gebracht. Die CD gibt es im Stereo Mix, während die DVD mit DTS 96/24 5.1 Surround Sound kaum Wünsche offen lässt. Dolby Digital AC3 5.1 Surround und 96/24 Stereo als Zusatz gibt es noch obendrauf. Chapeau! Wie auch bei der ersten DVD ist der visuelle Teil – hier Fotos, bei der ersten DVD die durchgeknallte Darstellung von „The Story Of The Hare Who Lost His Spectacles“ (Monty Python lässt grüßen) und Fotos, die während der Tour benutzt wurden – eher zu vernachlässigen. Die Sessions hingegen sind ein sehr wertvoller Bestandteil von „A Passion Play“! Das Material ist, gerade auch vor dem Hintergrund der widrigen Umstände unter denen es entstanden ist, hervorragend. Unnötig zu erwähnen, dass Steven Wilson hier wieder einen erstklassigen Job gemacht hat. So wie die Geschichte und die Songs nun angeordnet wurden, ist das zumindest musikalisch gar besser wie das später veröffentlichte „A Passion Play“. Das wirkt alles wesentlich homogener und ist mehr im Fluss. Insgesamt ist die Stimmung etwas folkiger.

 

Fazit: Letztlich ist und bleibt das alles natürlich Geschmackssache, aber unter dem Strich bekommt man hier zwei höchst interessante Alben von Jethro Tull, die soundtechnisch ein absoluter Hochgenuss sind, geboten. Zwischen Folk, Rock, Klassik, Theater, Hörspiel und mittelalterlichen Klängen reicht die Prog-Palette. Vielleicht hat „A Passion Play“ sogar der eine oder andere Krautrock-Veteran im Schrank stehen und gut hingehört, was Ian Anderson sich da ausgedacht hat. Diese Musik ist sicher nicht für den schnellen Konsum geeignet, wer sich aber die Zeit nimmt und das richtige Equipment hat, kann sich musikalisch in eine ganz neue Welt entführen lassen!

 

http://jethrotull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

 

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Jethro Tull: Benefit – A Collector´s Edition (2CDs/DVD)

Jethro Tull: Benefit – A Collector´s Edition (2CDs/DVD)

Warner

VÖ: 25.10.2013

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Andere Alben von Jethro Tull mögen bekannter und für die Band letztlich wichtiger sein, aber „Benefit“ schafft es wie kaum ein anderes Werk das Lebensgefühl der beginnenden 70er einzufangen. Sämtliche Kompositionen stammen natürlich von Ian Anderson, der auch die Texte dazu schrieb. Er produzierte seinerzeit die Platte zusammen mit Terry Ellis. Es sind ja schon ein paar Alben von Jethro Tull in neuem Gewand und mit jeder Menge Bonusmaterial erneut veröffentlicht worden - nun folgt auch „Benefit". Dafür hat sich Ian Anderson abermals Soundguru Steven Wilson ins Studio geholt. Seine brillante Arbeit für die Jubiläumsausgabe von „Thick As A Brick“ ist ja noch in bester Erinnerung und umso größer waren die Erwartungen für „Benefit – A Collector´s Edition“.

 

Und ja, die DVD gleicht einer Offenbarung. Der neue(!) 5.1 Surround Sound und Stereo Mix von Steven Wilson lässt einen schon mal die Kinnlade auf den Tisch klappen. Fairerweise muss an dieser Stelle gesagt werden, dass noch gar kein abschließendes Urteil der DVD abgegeben werden kann, da die DVD in Gänze erst ein einziges Mal zu Rezensionszwecken abgespielt werden konnte. Was man hier an räumlichem Klang geboten bekommt zieht einem aber schon mal die Schuhe aus. Steven Wilson ist in diesem Genre einfach das Nonplusultra! Der Kopf von Porcupine Tree ist auf diesem Gebiet einfach eine Klasse für sich. „Benefit“ ist ja sowieso etwas anders als die übrigen Jethro Tull Werke. Bisweilen ist die Instrumentierung ein ganzes Stück härter ausgefallen, auch in dieser Hinsicht konnte Wilson der ganzen Geschichte noch ein paar neue Nuancen abgewinnen und hat dies sehr schön herausgearbeitet. Da hilft nur eins: Augen schließen, mitten in den Raum setzen und sich von diesem brillanten Sound entführen lassen!

 

Das Album kann man zusätzlich auf der DVD auch noch in der jeweiligen UK- und US-Version genießen, deren Tracklistings sich seinerzeit unterschieden. Von „Benefit“ wurden ja sowieso verschiedene Versionen auf den Markt geschmissen. In Deutschland erschien dieses Werk erst 1973 in der UK-Version. Die Collector´s Editon schließt dies nun alles zu einem Gesamtpaket zusammen und dürfte schon alleine aufgrund dieser Tatsache genug Kaufargumente liefern! Dies ist aber noch lange nicht die einzige Komponente, denn dieses Package hat eine ganze Menge mehr zu bieten.

 

Gut, das Cover sieht auch in der 2013er Version immer noch irgendwie billig aus. Daran lässt sich auch kaum etwas ändern, denn sonst würde man die erstmalige Veröffentlichung auch komplett verfälschen. Dafür kann das Booklet ganz fett punkten. Martin Webb schrieb ein sehr umfangreiches Essay dafür und dann gibt es auch noch Transkriptionen von Interviews mit den Bandmitgliedern. Und klar, die übliche Bilderflut in Form von rarem oder unveröffentlichtem Material darf auch nicht fehlen. Aufgeklappt hält das Digipack im Inneren die drei Silberlinge sicher zur Entnahme bereit. Alles in allem ist die Aufmachung ganz vorzüglich geraten und dürfte kaum Wünsche offen lassen.

 

Das eigentliche Album liegt nun im Stereo Mix von Steven Wilson vor. Und natürlich hat der Mann auch hier ganze Arbeit geleistet. Vielleicht werden jetzt auch die Kritiker, die seinerzeit kaum ein gutes Haar an „Benefit“ ließen, besänftigt. Verdient hätte es das Album, aber auch die Arbeit daran auf jeden Fall. Dies war übrigens das erste Album mit John Evan an den Keyboards. Bassist Glenn Cornick war dafür letztmalig dabei. Martin Barre war für die Gitarre zuständig und an den Drums saß Clive Bunker. David Palmer war für „Benefit“ erneut für die Orchesterarrangements zuständig. In dieser Konstellation entstand ein Album, welches wesentlich besser wie sein Ruf ist.

 

„With You There To Help Me“ ist für Jethro Tull Verhältnisse schon erstaunlich hart ausgefallen. Die progressiven Elemente rücken dabei zwar etwas in den Hintergrund, sind aber natürlich nicht gänzlich verschwunden. Die Gitarren klingen dafür fast schon heavy. „Nothing To Say“ ist von der Stimmung eher an die beiden Alben davor angelehnt und hat mit einer großen Portion Eingängigkeit fast schon Hitqualitäten. „Alive And Well And Living In“ ist von seiner Grundstruktur auch eher rockig und hart. Bei „Son“ bedienen sich Jethro Tull sogar kurzfristig beim Blues – immer eingebettet in eine progressive Grundstimmung. Warum an diesem Album so viel herum gemeckert wird erschließt sich nicht so wirklich. Gerade wie hier die elektrischen und akustischen Teile miteinander verwoben werden ist schon toll. Dies wird auf anderen Jethro Tull Alben ja gerne strickt getrennt. „To Cry You A Song“ oder „Play In Time“ nehmen dabei sogar eindeutig die Abbiegung in Richtung Hardrock, wie er zu Beginn der 70er eben aufkeimte. Alles in allem ist das ein sehr transparentes Album. „Singing All Day“, „Sweet Dreams“, „17" und „Teacher“, letzteres je in der UK- und US-Single-Version, gibt es auf der ersten CD auch noch als Extra Tracks obendrauf! Freilich bekanntes Material, aber immer wieder gut. CD 2 fährt insgesamt 16 rare und unveröffentlichte Tracks auf, die im Umfeld der Aufnahmen und der nachfolgenden Promo-Aktivitäten zwischen 1969 und 1970 entstanden. Dabei gibt es die Mono- und Stereoversionen zu hören. Das eingängige und rockige „17“ ist so gleich mehrfach vertreten, wie auch „Teacher“ welches insgesamt – nimmt man CD 1 noch dazu – gleich sechs Mal enthalten ist. Zwischen Hardrock, Blues, Jazz und Progressivrock wird die ganze Palette aufgefahren. Wer also tiefer in die Materie von „Benefit“ eintauchen möchte, wird hier bestens bedient!

 

Fazit: „Benefit“ von Jethro Tull ist viel besser wie sein Ruf. Die Band schlug hier rockige und härtere Töne an und der Folk trat dabei etwas in den Hintergrund und doch ist das ganz sicher kein schlechtes Album! Im Gegenteil! Soundguru Steven Wilson hat das jetzt alles aufgesplittet und herausgearbeitet. In Zeiten, wo man dazu übergeht alles immer weiter nach unten zu komprimieren, gleicht das einer Offenbarung! Es ist verdammt schade, dass sich die Hörgewohnheiten derart verändert haben. Gebt „Benefit“ den jungen Leuten in die Hand, vielleicht ist ja noch nicht alles verloren und es wird wieder dazu übergegangen Musik wirklich zu hören!

 

http://jethrotull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

 

"Benefit" Collector’s Edition Tracklistings:

CD 1
01-With You There To Help Me (6.20)
02-Nothing To Say (5.13)
03-Alive And Well And Living In (2.48)
04-Son (2.53)
05-For Michael Collins, Jeffrey and Me (3.49)
06-To Cry You A Song (6.16)
07-A Time For Everything ? (2.45)
08-Inside (3.48)
09-Play In Time (3.49)
10-Sossity; You’re A Woman (4.37)

Bonus recordings
11-Singing All Day (3.07)
12-Sweet Dream (4.03)
13-17 (6.20)
14-Teacher (4.58) (UK single version) (stereo)
15- Teacher (4.03) (US album version) (stereo)

Tracks 1-10 Produced by Ian Anderson
Executive Producer Terry Ellis


CD 2: Associated recordings
01-Singing All Day (mono)*
02-Sweet Dream (mono)
03-17 (mono)
04-Sweet Dream (stereo)*
05- 7 (stereo)*
06-The Witch's Promise (mono)
07-Teacher (UK single version) (mono)
08-Teacher (US album version) (mono)
09-The Witch's Promise (stereo)
10-Teacher (UK single version (stereo)
11-Teacher (US album version) (stereo)
12-Inside (mono)
13-Alive And Well And Living In
14-A Time For Everything (mono)
15-Reprise AM Radio Spot 1 (mono)
16-Reprise FM Radio Spot 2 (stereo)

*bisher unveröffentlicht


DVD

DTS & Dolby Digital 5.1 & stereo versions:

01-With You There To Help Me (6.20)
02-Nothing To Say (5.13)
03-Alive And Well And Living In (2.48)
04-Son (2.53)
05-For Michael Collins, Jeffrey and Me (3.49)
06-To Cry You A Song (6.16)
07-A Time For Everything ? (2.45)
08-Inside (3.48)
09-Play In Time (3.49)
10-Sossity; You’re A Woman (4.37)

Bonus recordings

11-Singing All Day
12-Sweet Dream
13-17
14-Teacher (UK single version) (stereo)
15- Teacher (US album version) (stereo)

Neuer 5.1 Surround Sound und Stereo Mix von Steven Wilson

Übertragung der original UK LP master at 96/24:

UK Reihenfolge
01-With You There To Help Me (6.20)
02-Nothing To Say (5.13)
03-Alive And Well And Living In (2.48)
04-Son (2.53)
05-For Michael Collins, Jeffrey and Me (3.49)
06-To Cry You A Song (6.16)
07-A Time For Everything ? (2.45)
08-Inside (3.48)
09-Play In Time (3.49)
10-Sossity; You’re A Woman (4.37)

+US Reihenfolge:
01-With You There To Help Me (6.20)
02-Nothing To Say (5.13)
03-Inside (3.49)
04-Son (2.53)
05-For Michael Collins, Jeffrey and Me (3.50)
06-To Cry You A Song (6.15)
07-A Time For Everything (2.44)
08-Teacher (4.04)
09-Play In Time (3.53)
10-Sossity; You’re A Woman (4.39)

Additional flat transfer recordings at 96/24:
11-Sweet Dream (stereo) 4:08
12-17 (stereo) 5:32
13-The Witch’s Promise (stereo) 4:01

Jethro Tull: Thick As A Brick (40th Anniversary Set - CD/DVD)

Jethro Tull: Thick As A Brick (40th Anniversary Set - CD/DVD)

EMI

VÖ: 02.11.2012

 

Wertung: 9/12

 

Ein Klassiker hat Geburtstag und ist dem Teenageralter längst entwachsen. „Thick As A Brick“ von Jethro Tull hat jetzt schon vierzig Jährchen auf dem Buckel. Dieses Album wird immer irgendwo in den Musikgeschichtsbüchern zu finden sein und nie vergessen werden. Doch was macht man nun zu diesem runden Anlass? Warten, bis ein halbes Jahrhundert voll ist? Man sollte die Feste doch so feiern wie sie fallen. In zehn Jahren kann man dann ja immer noch über neue Festivitäten nachdenken. Jetzt heißt es der Einladung von Jethro Tull folgen! Das bietet sich ja sowieso an, da man dieses Jahr ja auch schon „TAAB2“ genießen durfte. Also tauchen wir noch mal ein in die Welt von Gerald Bostock ein und gehen zu den Anfängen zurück.

 

EMI hat jetzt ein wunderschönes Set aufgelegt, welches mehr als nur Musik beinhaltet und fast den Rahmen sprengt. Die Zeitungsoptik kommt nun so richtig zur Geltung und kann sich voll entfalten. Klappt man die Box auf, dann offenbart sich im Inneren ein dickes Buch. Man bekommt satte 104 Seiten geliefert. Das Auge isst ja bekanntlich mit, hier hat es aber auch noch sehr viel zu lesen. Da wäre zunächst die ursprüngliche 40-seitige Zeitung und ein Artikel des Classic-Rock Journalisten Dom Lawson. Selbiger ist ein wirklich feines und aufschlussreiches Statement welches die gesamte Story zum Album liefert. Viele rare Fotos von Didi Zill und Robert Ellis runden das perfekt ab. Robin Black hat dazu noch in seinen Erinnerungen gewühlt und eine Art „Making Of“ verfasst. Es folgt noch ein Interview mit Ian Anderson, die Tourpläne von 72, die komplette deutsche Übersetzung, Raritäten und jede Menge Kram und Memorabilia, die Fanherzen ein ganzes Stück schneller schlagen lassen. Das 7½‘‘ x 5½‘‘ Hardcover-Buch alleine rechtfertigt schon die Anschaffung des Sets und ist eine liebevolle und detailreiche Angelegenheit. Leider gibt es aber auch ein paar dicke Abzüge in der B-Note, da die Seiten nicht gut geheftet und geklebt sind und nicht unbedingt auf einen häufigen Gebrauch abzielen. Schade!

 

Die Frage ob man diese Ausgabe von „Thick As A Brick“ nun braucht stellt sich natürlich mal wieder. Die üblichen Liveaufnahmen, die bei derartigen Veröffentlichungen gerne mit verwertet werden, fehlen nämlich. Ebenso hat Anderson die Archive geschlossen gehalten und Demoaufnahmen, rare Tracks oder unveröffentlichtes Material gibt es ebenfalls nicht zu hören. Anderson betont in Interviews ja immer wieder, dass es diese Stücke zwar gibt, qualitativ aber derart abfallen, dass eine Veröffentlichung eben nicht lohnt und auch nicht angedacht ist. Der geneigte Fan kann also eigentlich getrost auf eine Neuanschaffung verzichten, zumal auch Zill schon eine Menge von seinen Fotos veröffentlicht hat und die Jethro Tull Jünger die Bücher schon im Regal stehen haben dürften. Trotzdem werden die Anhänger natürlich wieder „Thick As A Brick“ nach Hause schleppen.

 

Die CD beinhaltet das Original-Album von 1972, natürlich remixed. In dieser Hinsicht machte die 40th Anniversary Edition von „Aqualung“ ja noch durchaus Sinn, denn das ursprüngliche Werk war vom Sound eher enttäuschend. Auf „Thick As A Brick“ trifft dies allerdings nicht zu, zumal es auch schon ein Remaster von 97 gibt. Hauptaugenmerk sollte somit sowieso auf der DVD liegen. Hier hat Steven Wilson mal wieder ganze Arbeit geleistet. Sein puristischer Ansatz war genau richtig für diesen Klassiker. Er fördert die Musik in voller Schönheit, aber auch Zerbrechlichkeit zu Tage. Wilson legt den Kern frei und dies auf brillante Art und Weise. Wer das richtige Equipment zu Hause hat, der wird dieses Werk völlig neu erleben können. Schön, dass der Mann nicht zu jener Garde gehört, die mit Bombast alles zukleistern oder bei denen alles über die Lautstärke geregelt wird. Stellt sich nur die Frage, ob Steven Wilson irgendwann den gesamten Progkatalog remastert hat. In dieser Hinsicht ist seine Arbeit mal wieder als Referenz anzusehen.

 

An der Musik scheiden sich ja sowieso immer noch die Geister. Es gibt nicht wenige Stimmen, die der Meinung sind, dass Anderson mit diesem Album ein 3 Minutenthema auf über vierzig aufgeblasen hätte. Progressive Musik war und ist aber noch nie leichte Kost gewesen und im Gewand von Wilson kann man nun noch mal ganz tief in die Welt von „Thick As A Brick“ eintauchen!

 

Fazit: Die Aufmachung von „Thick As A Brick“ in der 40th Anniversary Edition ist schon nicht von schlechten Eltern und auch die Audio-DVD liefert ganz sicher einen großen Mehrwert ab. Gerade die Arbeit von Steven Wilson wertet die Geschichte ungemein auf. Klanglich ist das eine kleine Offenbarung. Trotzdem hätte man sich durchaus auch noch unveröffentlichtes Material gewünscht! Vielleicht in zehn Jahren?

 

http://www.j-tull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

 

Thick As A Brick (40th Anniversary Special Edition) Inhalt:
- Neue Stereo- und 5.1-Mixe von Steven Wilson
- Ursprüngliche Aufnahme aus dem Jahr 1972 (von Robin Black in den Morgan Studios aufgenommen)
- Das 104-seitige 7½‘‘ x 5½‘‘ Hardcover-Buch enthält:
   - die ursprüngliche Zeitung auf Glanz-Papier
   - einen Artikel des Classic Rocks Journalisten Dom Lawson
   - ein Ian Anderson  Interview von Reverend George Pitcher über beide Alben
   - viele seltene Foto aus den Jahre 1972/73 der Fotografen Didi Zill und Robert Ellis
   - 2012 Tour Fotos von Martin Webb
   - Sleeve Notes über die Recording Sessions von Engineer Robin Black
   - Sleeve Notes von Martin Barre, Ian Anderson und Jeffrey Hammond
   - ein Q&A mit Tour Manager Brooks inklusive Tour Memorabilien und dem gesamten Tour-Reiseplan aus dem Jahr 1972
   - Übersetzungen in deutscher Sprache beider Alben

Jethro Tull´s Ian Anderson: Thick As A Brick 2

Jethro Tull´s Ian Anderson: Thick As A Brick 2

EMI

VÖ: 30.03.2012

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Erinnert sich noch einer an Gerald Bostock? Es muss 1972 gewesen sein, als dieser Name im Musikzirkus eine mittelgroße Rolle gespielt hat. Sein Leben war plötzlich von größerem Interesse und wurde weltweit zum Thema. Fans des progressiven Rocks wissen natürlich längst um wen es geht und lechzen schon seit geraumer Zeit nach Neuigkeiten von Bostock! Spätestens seit Ian Anderson nicht nur eine Tour zum bahnbrechenden Jethro Tull Album „Thick A As Brick“ bekanntgegeben hat und dabei gleich einen Nachfolger in Aussicht stellte, ist in den einschlägigen Fankreisen die Begeisterung groß.

 

Bei wem der Groschen nun immer noch nicht gefallen ist, dem sei gesagt, dass Gerald Bostock der fiktive Charakter dieses Mammut-Werkes war und nun wieder zum Leben erweckt wird. Was wäre wenn? Diese Frage stellte sich auch Ian Anderson und hat nun abermals ein monumentales Album über das Leben von Gerald Bostock aufgenommen. 50 Jahre später nimmt die Geschichte also eine neue Wendung und auf „Thick As A Brick 2“ gibt es verschiedene Alter Egos des guten Gerald. Zufällige Begegnungen können einen Lebenslauf schließlich maßgeblich in eine andere Richtung drängen. Die Zeit ist ja auch nicht stehengeblieben und gerade die Kommunikationsmedien haben ganz neue Dimensionen angenommen und Soziale Netzwerke sind nur ein Auswuchs daraus.

 

Das Album kann man musikalisch gar nicht auseinanderreißen. Wie so vieles bei Jethro Tull - oder in diesem Falle Ian Anderson - funktioniert dies nur als Gesamtkonzept und Einheit. „Thick As A Brick 2“ ist keine lose Songsammlung, sondern von „From A Pebble Thrown“ bis hin zu „What-ifs, Maybe and Might-have-beens“ ein schlüssiges Album mit all seinen kleinen Zwischenteilen und Erzählstrukturen und Strängen. Immer wieder wechseln Stimmungen und Tempo. Der progressive Rock mag die Oberhand haben, aber ob dieser in letzter Konsequenz dieses Album repräsentiert sei mal dahingestellt. Wer hier Ausschweifungen erwartet wird staunen, denn mit einer Spielzeit von 53 Minuten ist das doch recht gestrafft.

 

Natürlich ist der Einstieg in die Platte an die alte Progschule angelehnt, aber schon schnell wechselt das auch zu einer Art Mittelalter-Folk. Auch das ist nichts Neues für Anderson. Dazu gibt es sauber abgehangenen Rock und klassische Strukturen des Singer/Songwriter Genres. Erstaunlich ist die stimmliche Klarheit. Anderson hat die letzten 50 Jahre jedenfalls gut überstanden – und sei es nur aufgrund der heutigen Studiotechnik. Überhaupt ist der Klang brillant und jede noch so feine Nuance sauber hörbar. Dies ist für das vorliegende Projekt auch schließlich von essenzieller Bedeutung. Den vielen Tempowechseln kann man so spielend folgen. Gerade noch ein Flötensolo gibt es an der nächsten Gabelung auch schon wieder einen famosen Basslauf oder ein klassisches Gitarrensolo. Dazu wurden allerlei Instrumente aus der Trickkiste gezaubert, die dieses Werk wie einen Exot neben dem, was heute die Musiklandschaft so bevölkert, wirken lassen.

 

Fazit: Jetzt wissen wir auch, wie es Gerald Bostock die letzten 50 Jahre ergangen ist und wie heute seine Vielzahl an Alter Egos agiert. Ian Anderson hat mit „Thick As A Brick 2“ einen würden Nachfolger geschaffen. Im aktuellen Musikgeschehen mag das von untergeordnetem Interesse sein und die Platte wird nicht mehr derart einschlagen wie sein Vorgänger, aber Fans dürfen sich freuen, denn das Songwriting ist hervorragend und der Klang nahezu brillant!

 

http://www.j-tull.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

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