Tori Amos: Ocean To Ocean
Decca/Universal
VÖ: 29.10.2021
Wertung: 10/12
Tipp!
Tori Amos veröffentlicht mit „Ocean To Ocean“ ein Album, welches wie so viele andere die momentan erscheinen, während der Pandemie entstand. Tori Amos litt sehr unter dem dritten UK-Lockdown in Cornwall und stürzte in eine persönliche Krise. Ihre ganzen Gewohnheiten, nämlich auf ihren Konzertreisen zu schreiben und Eindrücke für ihre Geschichten zu sammeln, fielen weg. Auch ihren weiteren Wohnort in Florida konnte sie nicht aufsuchen. Ihre Familie, ihr Mann, ihre Tochter und deren Freund, waren im Grunde ihre einzigen Kontakte. Die Kernfamilie eben – mit einigen wenigen Ausnahmen. Tori Amos befasste sich aber auch mit der Natur und wie Menschen im Einklang mit selbiger leben. Dies alles mündete in die elf Songs, die nun das Album „Ocean To Ocean“ darstellen.
Wenn ein Album wie „Ocean To Ocean“ dabei herauskommt, dann wünscht man sich glatt noch mehr Lockdowns. Es ist ihr bestes Album seit langer Zeit. Sie hat für „Ocean To Ocean“ endlich wieder wundervolle Melodien gefunden. Die Arrangements lassen auch mal andere Instrumente in den Vordergrund treten und nicht nur ihr Klavier. Selbiges ist natürlich immer noch da, wird aber eher mannschaftsdienlich gespielt. Die vielen kleinen kunstvollen Schnörkel kehren immer wieder zum Kern zurück. Die letzten Alben wurden da ja eher anstrengend und fransten links und rechts ziemlich aus, kamen ab vom Weg und verschwanden dann auch in der Belanglosigkeit.
„Addition of Light Divided“ ist ein unfassbar guter, melodischer Song. Der perfekte Auftakt. „Speaking With Trees“ steht der Albumeröffnung in nichts nach. Hier steht sogar die Gitarre sehr prominent im Mix ganz vorne. Tori singt endlich wieder so wundervoll, dass eine Gänsepelle vorprogrammiert ist. Die beiden Nummern sind weitestgehend recht forsch und auch Bass und Schlagzeug lassen eher an den guten Indiepop/rock denn an Kammermusik denken. „Devil´s Bane“ ist etwas langsamer, aber wundervoll instrumentiert. Die Gitarren und Tasteninstrumente ergeben ein tolles Gemisch, welches dem Song eine geheimnisvolle Atmosphäre verleiht.
Mit „Swim to New York State“ hat Tori Amos ihren schönsten Song seit einer Dekade veröffentlicht. Die Interpretation und Umsetzung ist sehr gefühlvoll. Die Nummer ist natürlich auch von dieser Traurigkeit durchzogen, die die Thematik nun mal mitbringt. Die Streicher sind nie beliebig oder zu kitschig, sondern verleihen dem Song eine besondere Aura. Der Gesang dazu ist perfekt. Mit „Spies“ schließt sich ein treibender Song an, der vom Bass dominiert wird. Sehr lässiger, sehr cooler Song.
„Ocean To Ocean“ ist ein weiterer Track, der an ihre alten Großtaten anknüpft. Ein bisschen „Boys For Pele“ weh da durch die Szenerie. „Flowers Burn To Gold“ wird dann erstmals vom Klavier dominiert. „Metal Water Wood“ setzt anschließend aber wieder auf die ganze Kapelle. Mit „29 Years“ kehrt sie rhythmisch sogar zu ihren Großtaten der 90er zurück. Der Refrain ist ein Hammer. „How Glass Is Made“ setzt auf die ruhigen Zwischentöne. „Birthday Baby“ beendet im Tangogewand dieses schöne Album!
Fazit: Tori Amos hat mit „Ocean To Ocean“ ein ganz tolles Album aufgenommen. Hier sind tolle Songs versammelt. Einige ihrer besten seit Jahren! Sie hat tolle Melodien gefunden, die durchaus zu berühren wissen. Sie meldet sich auf diesem Album auf beeindruckende Art und Weise als Songwriterin zurück! Chapeau!
Text: Torsten Schlimbach
Tori Amos: Under The Pink (Deluxe Edition)
Rhino/Warner
VÖ: 10.04.2015
Wertung: 12/12
Tipp!
Das zweite Album von Tori Amos - „Under The Pink“ - steht dem Erstlingswerk in nichts nach. Die Intensität der Songs ist schon gewaltig. Das unschuldige Weiß des grandiosen Artworks wird durch die Musik konterkariert. Auch diese Platte ist ein Meisterwerk. Mit „Cornflake Girl“ warf das Album sogar einen amtlichen Hit ab. Lange Zeit wurde „Under The Pink“ fälschlicherweise eben nur darauf reduziert. Es ist, wie bei Radiohits und Singles nicht ungewöhnlich, natürlich nicht mal der beste Song auf dem Album. Gleichwohl ist dieses recht zugängliche Stück immer noch ein kleines Meisterwerk und wäre das Ding nicht so totgenudelt worden, könnte man sich noch immer daran erfreuen. Dies und noch vieles mehr gibt es nun ebenfalls auf der Deluxe Edition dieser grandiosen Platte zu entdecken.
„Under The Pink“ ist eines der erfolgreichsten Alben von Tori Amos. Produziert wurde es in New Mexico. „Under The Pink“ stellt aus einem anderen Blickwinkel sogar eine Art Zäsur dar, denn erstmals kam hier der Börsendorfer-Flügel zum Einsatz, der ihr Markenzeichen wurde und sie seitdem sowohl bei den folgenden Albumproduktionen, wie auch bei ihren Liveauftritten begleitet. Und gekämpft hat sie und sich mit ihrem Label angelegt. Die Auseinandersetzungen um die Endfassung des Albums konnte sie zwar nicht komplett für sich entscheiden, aber in vielen wichtigen Punkten konnte sie sich dann doch durchsetzen. Vermutlich war ihre Drohung, die Masterbänder zu vernichten, deutlich genug. Ihren Lieblingssong konnte sie allerdings nicht auf „Under The Pink“ unterbringen. „Honey“ erschien dann immerhin als B-Seite. Nach dieser Erfahrung ließ sich Tori Amos bei ihren Produktionen nicht mehr reinreden.
Das Debüt war für sich gesehen schon perfekt und doch hat diese großartige Künstlerin mit dem Zweitlingswerk noch mal eine Art Quantensprung vollzogen. Diesmal gibt es keine Keyboard-Streicher sondern echte. Tori Amos erklomm mit „Under The Pink“ den weiblichen Indiethron und dies völlig zurecht. Dieses Album gehört ebenso in jede Sammlung wie „Little Earthquakes“. Durch dieses Werk lässt sich dann auch noch mal wunderbar nachvollziehen, warum Tori Amos zu einer Ikone wurde.
Die Aufmachung gleicht selbstverständlich der des Debüts. Auch diese Deluxe Edition kommt im Digipack und hat ein umfangreiches Booklet zu bieten. Liner Notes, aber auch Erinnerungen zu jedem Song von Tori Amos werfen mitunter ein neues Licht auf die einzelnen Tracks und sind sehr schöne und erhellende Begleiter zur Musik. Auch hier sollte man zur physischen Ausgabe greifen und sich nicht mit Downloads aufhalten.
„Pretty God Year“ packt einen zu Beginn der Platte wie eine wärmende Decke ein. Der verträumte und melancholische Start ist aber trügerisch. Es macht sich direkt eine Gänsehaut breit, aber wenn zwischendurch der verstörende und dissonante Ausbruch kommt, dann kriegt man eine ungefähre Ahnung was einen da noch erwarten kann. Die schrägen Gitarrentklänge bei „God“ lassen jeden Indienerd jubelnd im Zimmer auf und ab hüpfen. Der geneigte Pophörer dürfte da einigermaßen verschreckt gucken. Das traurige, fast stille Kleinod „Bells For Her“ liefert dazu noch eine depressive Grenzerfahrung. „Past The Mission“ ist erneut ein Track mit Widerhaken. Bei Tori Amos weiß man eben nie in welche Richtung es geht. Der fröhliche Grundton der Strophen wird durch den melancholischen Refrain komplett auf den Kopf gestellt. Trent Reznor war übrigens an diesem Song beteiligt.
Mit „Baker Baker“ schließt sich eines ihrer schönsten Lieder an. Was für ein tolles Kleinod das doch ist. Aber auch hier gibt es ein schrägen Moment, der die komplette Harmonie und Melodie auf den Kopf stellt. Tori Amos war zu diesem Zeitpunkt einfach eine Klasse für sich. „The Wrong Band“ lässt das Klavier stolpern und nach Western und Varieté klingen. „The Waitress“ nimmt sogar schon das vorweg, was viele Jahre später einmal kommen sollte. Das stille „Icicle“ fließt wie ein klarer Bergbach und auch „Cloud On My Tongue“ lässt keine Schwächen erkennen. Große Melancholie, große Gefühle – aber nie platt. „Space Dog“ vereint sogar die vielen Facetten von ihr in einem Song, der derart viele Wendungen nimmt, dass einem bei genauer Betrachtung die Spuke wegbleibt. „Yes, Anastasia“ ist zum Schluss noch mal eine epische Nummer, die einen mit ihrer Schönheit mit voller Wucht trifft. „Under The Pink“ ist ein zeitloses Meisterwerk!
Auch dieser Ausgabe liegt natürlich eine zweite CD mit jeder Menge Bonusmaterial bei. 15 Songs hat man letztlich darauf gepackt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. „Honey“ ist wirklich ein ganz toller Song und es ist völlig unverständlich, warum selbiger letztlich nicht auf das Album durfte. Verstehe einer die Labels! Als B-Seite und als Teil der „Piano Collection“ ist das Stück zumindest den Fans hinlänglich bekannt. Das verhuschte „Daisy Dead Petals“ ist ebenso großartig wie auch „Over It“, eine Nummer, die deutlich in die Klassik-Richtung geht. Als reine Akustiknummer sowieso. „Black Swan“ knüpft nahtlos daran an. „All The God Girls Hate Her“ geht auch in die „Over It“ Klassik-Ecke. „God“ kriegt im C J Bolland Remix einen gänzlich anderen Anstrich. Immer wieder seltsam die gute Tori so zu hören. Auch auf dieser Bonus-CD gibt es noch sieben(!) Songs im Livegewand zu hören. „Past The Mission“ und „Winter“ ragen da heraus.
Fazit: Auch der Re-Release von „Under The Pink“ ist eine lohnende Geschichte. Der Sound ist – wie schon bei der Deluxe Edition von Little Earthquakes“ - brillant und man kann die Alben noch mal ganz neu entdecken und Kleinigkeiten, die einem bisher verborgen blieben, offenbaren sich nun. Tori Amos entwickelte mit diesem Album ihren Sound weiter und so manche schrägen Klänge brechen die wunderschönen Melodien und Harmonien auf. Ein Indiemeisterwerk. Das Bonusmaterial ist interessant, reicht aber nicht ganz an die Qualität des Vorgängers heran. Unter dem Strich ist aber auch das ein Pflichtkauf für jede halbwegs vernünftige Sammlung!
Text: Torsten Schlimbach
Tori Amos: Little Earthquakes (Deluxe Edition)
Rhino/Warner
VÖ: 10.04.2015
Wertung: 12/12
Tipp!
Tori Amos zählt unzweifelhaft zu den Größten die das Singer/Songwriter-Genre je hervorgebracht hat. Die letzten Alben waren zwar sehr speziell und wer dem klassischen Ansatz, die Konzeptalben und die Hinwendung zur Hochkultur nicht mehr mitgehen konnte oder wollte, der findet in ihren ersten beiden Alben treue Begleiter für das Leben. Zu Beginn der 90er hatte sie maßgeblichen Anteil daran, dass Musiker- und Künstlerinnen nicht zu Objekten degradiert wurden und man sich mit ihnen ernsthaft auseinandersetzte. Neben Björk und PJ Harvey zählte Tori Amos zu der Speerspitze und alle drei entwickelten sich zu großen Diven der alternativen Musik – so unterschiedlich sie in ihrer Kunst auch sein mochten. Das Debüt von Toris Amos - „Little Earthquakes“ - glich einem Paukenschlag. Dieses Album kommt nun als Deluxe Edition erneut in den Handel. Dieser Meilenstein hat die Musikgeschichte nachhaltig beeinflusst und sollte zumindest von jedem Musikfan mal gehört werden. Mit anderen Worten: Pflichtveranstaltung.
Das Album kommt als Digipack und hat eine zweite CD mit jeder Menge Bonustracks an Bord. Darunter befindet sich zwar rares Material und B-Seiten, für Fans ist das aber eher uninteressant. „A Piano – The Collection“ hat sich auf der ersten von fünf CDs schon ausführlich den B-Seiten gewidmet und die Singles hat auch jeder Fan im Schrank stehen. Auf dem einen oder anderen Weg dürften die Songs jedenfalls schon Einzug in die Sammlung gehalten haben. Wer sich aber nicht zum Kreise der Hardcorefans zählt und bisher nur das Studioalbum im Schrank stehen hat, kann hier bedenkenlos erneut zuschlagen.
Die Aufmachung der Deluxe Edition ist schon nett und in hinlänglich bewährter Gestaltung gehalten. Das Booklet wurde ergänzt und liefert so noch einigen Mehrwert. Die neuerliche Veröffentlichung schlägt mit knapp 17 Euro zu Buche und ist somit preislich ganz vernünftig taxiert. Man sollte aber bitte nicht zu den legalen Download-Möglichkeiten greifen, denn durch die Optik und Aufmachung wird die ganze Geschichte wirklich noch mal aufgewertet. Ein digitales Booklet kann dies einfach nicht leisten und da auch nicht mithalten!
„Little Earthquakes“ dreht sich thematisch um Sehnsucht, Hoffnung, Liebe und Sex. Schmerz ist ein ganz großes Thema, welches sich besonders in dem berührenden A-Capella Stück „Me And A Gun“ äußert. Dieses zutiefst bedrückende Stück - sie wurde mit 21 Jahren vergewaltigt - rührt einen immer wieder zu Tränen. Die ruhigen Soundlandschaften der Platte sorgen immer noch für eine Gänsehaut. „China“, „Winter“ oder „Silent All The Years“ sind von einer Dringlichkeit durchzogen, wie es nur ganz wenige MusikerInnen bewerkstelligen können. Tori Amos öffnete da ein neues Singer/Songwriter-Kapitel.
Tori Amos machte das Klavier in der Indiemusik salonfähig. Der Opener „Crucify“ hat genug Ecken und Kanten um auch die Alternativanhänger zu begeistern. Nebenbei bemerkt ist der Song auch besser als vieles von Kate Bush. Dieser Vergleich, dem sich Tori Amos immer wieder ausgesetzt sah, hinkt nämlich gewaltig. „Precious Things“ zeigt, dass ein Klavier eben auch rocken kann. Die Band setzt aber gekonnt verstörende Akzente. Das ist disharmonisch zur Melodie. Die Gitarre durchschneidet die Szenerie, das Schlagzeug scheppert wie aus dem Nichts in den Song und dann bricht sich das alles wie eine Welle an einer Felswand. Ganz groß! Und berührend! Immer noch! „Tear In Your Hand“ ist nicht weniger großartig und aufwühlend, nur auf seine Art eben musikalisch auch harmonischer und nicht ganz so verstörend. „Little Earthquakes“ hat viele Gesichter und es ist das perfekte Debütalbum. Eines der besten aller Zeiten! „Y Kant Tori Read“ zählt nicht, da dies ja ein gemeinsames Projekt mit Matt Sorum war.
Die zweite CD ist dann gespickt mit B-Seiten und Raritäten. Mit „Smells Like Teen Spirit“ findet man hier eine ganz beachtliche Coverversion vor. Der Nirvana-Song war zum damaligen Zeitpunkt ja eigentlich noch taufrisch, umso mutiger diesen Track schon zu covern. Sie macht aus dem Grunge-Überhit ein Klagelied und entdeckt somit das Potenzial hinter dem Song. Moll – wie sollte es auch anders sein – sind die Töne, mit denen Tori Amos die ganze Pein und den ganzen Schmerz hervorholt. Sie bringt die Generation X mit der ganzen Verletzlichkeit auf den Punkt. An diesem Punkt zeigt sich aber auch die Unvollständigkeit dieser Sammlung, denn sowohl „Angie“ von den Rolling Stones wie auch „Thank You“ von Led Zeppelin fehlen nämlich. Coverversionen von Tori Amos sind immer toll, da sie die Songs nicht nur nachspielt sondern zu ihren eigenen macht.
Mit „Flying Dutchman“ gibt es auf dieser CD eine weitere Großtat, die eigentlich auf das Album gehört hätte. Aber das gilt ja für viele der 18 Tracks. „Upside Down“ weiß mit einer dunklen Atmosphäre zu begeistern, während beispielsweise „Ode To Banana King“ sehr verschroben ist. „Song For Eric“ ist wieder bis auf die Stimme mit völliger Nacktheit ausgestattet. Tori Amos schwingt sich in Höhen auf, die nicht jeder meistern wird, die aber, wenn man sich darauf einlassen kann, zutiefst berührend sind. „Sweet Dreams“ zeigt, dass man zu Musik von Tori Amos auch tanzen kann. Es ist nicht immer alles unter Meilenstein zu verbuchen, aber das groovige „Mary“ macht ebenso Spaß wie „Humpty Dumpty“. Dazu werden noch fünf Live-Tracks gereicht, die nachhaltig unterstreichen, dass die Dame auch auf der Bühne sehr sehens- und hörenswert ist!
Fazit: „Little Earthquakes“ gehört in jede vernünftige Musiksammlung! Wer die Lücke bisher noch nicht geschlossen hat, der bekommt nun mit der Deluxe Edition dieses grandiosen Debüts die Möglichkeit dazu. Berührender, leiser und entfesselter kann Musik nicht sein. Toris Amos öffnete zusammen mit Björk und PJ Harvey die Türen für eine neue Generation weiblicher Musiker- und Künstlerinnen. Die zweite CD bietet Rares und mit „Smells Like Teen Spirit“ eine der besten Coverversionen aller Zeiten. Essenziell!
Text: Torsten Schlimbach
Tori Amos: Gold Dust
Deutsche Grammophon/Universal
VÖ: 28.09.2012
Wertung: 10/12
Tipp!
Das letzte Album von Tori Amos „Night Of Hunters“ wurde vor knapp einem Jahr veröffentlicht und nun kommt eine der interessantesten Songschreiberinnen der letzten zwei Dekaden schon mit einem neuen Werk um die Ecke gebogen. Bei „Gold Dust“ handelt es sich aber keineswegs um neues Material. Diese Zusammenstellung hat allerdings auch keinen „Best Of“ Charakter. Der Grundstein für dieses fantastische Projekt wurde bereits 2010 gelegt, als sie in Amsterdam mit dem Metropole Orchestra ein Konzert spielte.
Aufgenommen wurde „Gold Dust“ in Hilversum mit eben dem Metropole Orchestra. Das Orchester wurde dabei von Jules Buckley dirigiert. Die Arrangements stammen von John Philip Shenale und wurden in Cornwall erarbeitet. Bei der Auswahl der Songs beschränkte sich Tori Amos nicht auf die üblichen Verdächtigen. Sie hat hier vielmehr ihre ganz persönlichen Lieblingslieder ihrer 20 Jahre währenden Karriere ausgewählt. Auf dem Album sind somit auch kleine Raritäten zu finden. Mit manchen Songs konnte man sicher rechnen, mit anderen eben nicht!
„Gold Dust“ ist eine sehr emotionale Reise durch den Backkatalog von Tori Amos. Man hat das Gefühl, dass sie nun endlich angekommen ist. Hier wird zusammengeführt, was eigentlich schon immer zusammengehörte. Vorbei sind die Zeiten, als sie mit Björk und PJ Harvey an die Spitze der weiblichen Indiebewegung der 90er gesetzt wurde. Jetzt ist sie endgültig im Klassikhafen eingelaufen. Die Songs selber wurden aber nicht großartig verfremdet, darum ging es bei diesem Projekt aber auch nicht. Es wurde dezent an den Arrangements gearbeitet und diese eben für ein Orchester aufbereitet. Das passt zu den Songs auch letztlich hervorragend. Die Musikgeschichte hat eigentlich immer wieder gezeigt, dass Rock- und Popkünstler immer an einem solchen Projekt scheitern und die Klassikelemente den Songs nicht guttun und die Instrumente der Klassik seltsamerweise immer gegen den eigentlichen Song anspielen. Auf „Gold Dust“ ist dies nicht der Fall und die neuen Elemente werden wunderbar in die Stücke eingebettet und eingefügt. Es klingt als es wäre es nie anders gewesen.
Dies liegt aber auch daran, dass die Stimme von Tori Amos und ihr Börsendorfer Klavier immer noch absolut im Vordergrund stehen. Das Orchester wurde dezent eingefügt und unterstreicht die Klasse dieser Songs auf wundervolle Art und Weise. Bis auf wenige Ausnahmen wurden allerdings auch solche Songs gewählt, die man geschickt mit einem Orchester interpretieren kann. „Silent All These Years“ oder „Winter“ hören sich dann auch gleich recht vertraut an. Besonders „Winter“ wird emotional noch mal ein ganzes Stück aufgewertet. Dies gilt auch für den Albumbeginn mit „Flavor“. Auf dem Album „Abnormally Attracted To Sin“ war dieser Song noch elektronisch angehaucht. Die Dramaturgie wurde durch die Streicher immens erweitert und die bombastischen Orchesterarrangements sorgen im Zusammenspiel mit der einzigartigen Stimme für eine dicke Gänsehaut! Ganz, ganz großes Kino!
„Yes, Anastasia“ schafft den wunderbaren Spagat das gesamte Orchester an den richtigen Stellen wie ein Torso durch den Song fegen zu lassen und sich dann wieder komplett zurückzunehmen. Der Spannungsbogen und der Aufbau sind schon beachtlich. „Gold Dust“ schafft gar das Kunststück, dass hier vorliegende Versionen besser wie die ursprünglichen sind. „Jackie´s Strength“ besitzt erst jetzt - mit dieser Intensität - die emotionale Durchschlagskraft, die schon immer ihn dieser Nummer steckte, sich auf „From The Choirgirl Hotel“ aber nie so recht entfalten konnte. Mit „Cloud On My Tongue“ geht die Reise bis zu „Under The Pink“ zurück. Dieser großartige Song wurde lediglich um einige Streicher angereichert – genau richtig also! Auch „Precious Things“ ist einer jener Tracks, der auf „Gold Dust“ noch mal ungemein an Emotionalität gewinnt und erst jetzt so richtig fertig scheint. Die dramatische Note, die durch das Orchester entsteht, bewirkt wahre Wunder. Herausragend! Die orientalische Grundton bei „Star Of Wonder“ will immer noch nicht so richtig sitzen und letztlich bleibt dies einer der schwächeren Nummern. Dafür gleicht das epische „Flying Dutchman“ immer noch einem kompositorischen Wunder. Das melancholische „Snow Ferries From France“ hätte eine tränenreiche Angelegenheit werden können, die dezenten Streicherarrangements verbreiten im Zusammenspiel mit dem Börsendorfer aber eine seltsame Fröhlichkeit. Tolle Umsetzung!
Fazit: „Gold Dust“ ist für Tori Amos Fans aufgrund des Songmaterials eine vertraute Angelegenheit und doch gewinnen fast alle Songs durch die Unterstützung des Metropole Orchestra. Die Arrangements sind hervorragend und das Orchester bereichert die Songs, spielt sich aber nie in den Vordergrund und nimmt sich erfreulicherweise immer an den richtigen Stellen zurück. Tori Amos scheint erstmals in ihrer langen Karriere im richtigen musikalischen Hafen angekommen zu sein. Abgesehen davon veranschaulicht diese Zusammenstellung eindrucksvoll welch großartige Songschreiberin und Komponistin Tori Amos doch ist!
Text: Torsten Schlimbach
Tori Amos: Night Of Hunters
Deutsche Grammophon/Universal
16.09.2011
Wertung: 12/12
Tipp!
So manch einer hat sich verwundert die Augen gerieben, als bekannt wurde, dass Tori Amos ein Album bei Deutsche Grammophon veröffentlicht. Sie selber sagt, dass man ein Angebot der Mutter aller Labels gar nicht ablehnen könnte. Bei genauer Betrachtung ist dieser Schritt sowieso konsequent und die Zusammenarbeit des Klassik-Labels mit der zierlichen Songwriterin eine logische Verbindung. Von Tori Amos kann man eben immer das Unerwartete erwarten. Vom verschrobenen Indiepop über elektronische Spielereien, rockigen Elementen und Klassik reicht die bunte Vielfalt. Gerade die Kritiker, die ihr immer wieder andichten wollen, dass sie sich mit ihrem Börsendorfer-Klavier selber limitieren würde, werden so immer wieder eines Besseren belehrt.
Es scheint ein langer Weg von der Indiepopgöttin Amos, die zusammen mit Björk und PJ Harvey in den 90ern als die Sperrspitze einer neuen Frauenbewegung im Indiebereich auserkoren wurde, bis hin zum ambitionierten Klassikwerk von „Night Of Hunters“ zu sein. Ist es das wirklich? Denn auch diese vierzehn Kleinode und Sinfonien leben von der Genialität und Musikalität, die Tori Amos nun mal in die Wiege gelegt wurde. Tori Amos hat nun ein Monument ganz im Sinne einer uralten Tradition erschaffen. Schubert oder Chopin sind da nicht mehr weit entfernt!
Man kann bei „Night Of Hunters“ gar von einem klassischen Liederzyklus sprechen. Es geht um eine Frau, die vom Anbruch der Dämmerung bis zum Sonnenaufgang alle Phasen der Liebe durchläuft – inklusive sämtlicher Höhen und Tiefen! Liest sich auf dem Papier anstrengend? Ist es aber nicht und in der Umsetzung wunderbar gelungen. Natürlich kann man dies nicht mit herkömmlicher Musik vergleichen. Die Songs stehen nicht für sich alleine, sondern sind als Gesamtes zu betrachten. Tori Amos wurde selber etwas mulmig, als sie dieses Projekt angeboten bekam und dann vor der schier unlösbaren Aufgabe stand, daraus diesen Liederzyklus zu erschaffen. „Night Of Hunters“ ist nun aber auf ganzer Linie ein gelungenes und monumentales Werk, welches die Ausnahmestellung dieser Musikerin erneut unter Beweis stellt.
Zur musikalischen Umsetzung wurden zwar ganze Sätze für Streicher geschrieben und auch Oboen oder Flöten untermalen die Geschichte, in erster Linie ist das aber ein akustisch reduziertes Werk und Tori Amos steht ganz im Mittelpunkt. Die stimmlichen Qualitäten kommen dabei ebenfalls voll zum Tragen! Und wo wir gerade beim Gesang sind, auf diesem Album gibt es gar ein neues Talent zu entdecken. Bei „Snowblind“ oder „Job´s Coffin“ ist ein Duett von Tori Amos mit einer Natashya Hawley zu hören. Hierbei handelt sich um keine Geringere wie die elfjährige Tochter von Tori. Der Apfel fällt tatsächlich nicht weit vom Stamm und gerade die letztgenannte Nummer ist ein emotionaler Höhepunkt, bei dem die Gänsehaut garantiert ist!
Dieses Konzeptalbum führt Tori Amos zurück zu den Anfängen und die liegen nicht in der Pop- und Rockmusik. Vom aggressiven Spiel bei „Shattering Sea“ über das tieftraurige „Fearlessness“, das mystische „Nautical Twilight“, dem wunderschönen „Your Ghost“ bis zum verstörenden Ende von „Carry“ ist dies nicht nur das ambitionierteste Album von Tori Amos, sondern vielleicht sogar ihre beste Platte! Dieses Konzept war nicht leicht umzusetzen. Es hätte scheitern oder an seiner eigenen Größe zerbrechen können – ist es aber nicht!
Fazit: „Night Of Hunters“ wird all jene verschrecken, die Tori Amos nur aufgrund ihrer Indiepopvergangenheit lieben. Das vorliegende Konzeptalbum ist vielmehr an klassische Musik der Romantik- und Barockzeit angelehnt. Die Musik strahlt eine Reinheit, Traurigkeit und gleichzeitig Hoffnung aus und ist höchst emotional. Dies mag das ambitionierteste Werk von Tori Amos sein und wie sie es geschultert hat, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Also, Augen schließen und eintauchen – ein Meisterwerk! "Night Of Hunters" ist perfekt so wie es ist, nur was soll jetzt noch von Tori kommen? Man kann sicher sein, dass sie auch in Zukunft überraschen und überzeugen kann und wird!
Text: Torsten Schlimbach
Tori Amos: Midwinter Graces
Universal
Wertung: 10/12
Tipp!
Fleißig ist sie, die Tori. Vor knapp sechs Monaten erst hielten wir ihr zehntes Studioalbum „Abnormally Attracted Sin“ in den Händen und nun gibt es schon einen Nachschlag. „Midwinter Graces“ sollte aber nicht als direkter Nachfolger angesehen werden, da es sich doch hierbei um eine Zusammenstellung von Winter- und Weihnachtsliedern handelt. Die Flut dieser Alben nimmt auf der Zielgeraden des Jahres zwar erfahrungsgemäß inflationär zu, aber es besteht gerade bei diesem Album kein Anlass um mit den Augen zu rollen. Tori Amos hat nicht einfach die üblichen Verdächtigen aufgenommen und in Zuckerwatte gepackt, sondern ein völlig eigenständiges Werk aufgenommen.
Man kennt die Geschichte ja, dass Tori Amos als Tochter eines Pfarrers aufgewachsen ist und schon als Kind in der Kirche stand und in der Adventszeit in der Kirche ihres Vaters gesungen hat. Auf der anderen Seite ist natürlich auch ihr zwiespältiges Verhältnis zu dieser ganzen Thematik bekannt. Diese Geschichten werden jetzt natürlich wieder dankbar ausgepackt werden.
„Midwinter Graces“ ist aber so viel mehr als eine Ansammlung von Coverversionen bekannter Weihnachtslieder. Den Unterschied machen hier nicht nur die Eigenkompositionen „Pink And Glitter“ und „Our New Year“ aus. Was Tori Amos hier aus den zwölf Songs macht ist schon eine Ohrenweide. Gefühlvoll und sehr nachdenklich und melancholisch verströmt ein Großteil der Songs zwar eine winterliche Atmosphäre, aber auch eine Tori Amos, die wieder wesentlich näher an dem ist, was sie zu Beginn ihrer Karriere mal gemacht hat. Der geliebte Bösendorfer-Flügel rückt wieder wesentlich mehr in den Fokus. Loops und Elektro-Beats würde aber auch an der Thematik vorbeigehen. Trotzdem kommt hier keine Langeweile auf oder wirkt das Album eintönig. Ungemein abwechslungsreich gibt es sogar die eine oder andere Überraschung. Allerlei altertümliche Instrumentierung ist sogar eine wohltuende Ausnahme im bald wieder schmalzigen Weihnachtsliederbrei.
„What Child, Nowell“ wirkt da zunächst sogar fast klischeehaft, rückt auf der anderen Seite aber wieder die Stimme in den Vordergrund, was dem Song doch sehr gut tut. „Star Of Wonder“ ist anschließend etwas bombastischer ausgefallen, aber gerade der Refrain hat wieder diesen speziellen Tori Amos Moment zu bieten, den die letzten Alben nur noch bruchstückhaft zu erzeugen wussten. „A Silent Night With You“ hört sich vom Titel natürlich kitschig an und ja, der Song könnte es auch im Grunde seines Herzens auch sein. Die Stimme von Tori verströmt aber eine derartige Wärme, dass man selbige bis ins Mark spürt und von daher verbittet sich jeglicher negative Gedanke. Mittelalterlich wird es gar bei „Candle: Coventry-Carol“ und „Holly, Ivy, And Rose“ muss man einfach gehört haben. Tori Amos baut „Es ist ein Ros´ entsprungen“ ein, lässt aber in die Stille einen Bruch einfließen und so entwickelt sich die Nummer nach und nach fast in eine poppige Richtung, die sämtliche Zutaten eines Weihnachtsliedes einfließen lässt, bevor man sich fast auf einem arabischen Basar wähnt. Mehr Abwechslung geht nicht – und dann wirkt das auch noch in sich so geschlossen. Tori Amos begeht gar nicht erst den Fehler und lässt das alles zu besinnlich werden und so gibt es bei „Harps Of Gold“ sogar einen fast klassisch rockig und poppig angehauchtes Stück im fröhlichen Gewand zu hören.
Die zweite Seite wird mit dem unter die Haut gehenden „Snow Angel“ eröffnet. Aber schon bei dem sehr schön arrangierten „Jeanette Isabella“ geht die (Winter-)Sonne wieder auf. „Midwinter Graces“ verströmt einfach eine wunderbare Stimmung. „Pink And Glitter“ im Jazzgewand ist da nur die nächste Bestätigung. Das eigentlich recht schöne „Emmanuel“ geht da fast etwas unter, da es nach Standard klingt – aber was heißt das schon? „Winter´s Carol (from The Light Princess) klingt gar wie ein Schneesturm und stürzt den Hörer an den Rande der Depression bevor der Refrain wieder hell erstrahlt und Tori Amos uns anschließend zum Tanz ans Feuer ins Mittelalter holt. „Our New Year“ beendet ein wunderbares Album dann mit nachdenklichen Tönen.
Fazit: Man kann die beiden Alben 2009 von Tori Amos zwar nicht wirklich miteinander vergleichen, da diese aufgrund der Thematik schon völlig verschieden sind, aber für mich ist „Midwinter Graces“ die eindeutig bessere Wahl. Tori Amos hat schon lange keine mehr so warme Atmosphäre verströmt. Die Songs klingen nicht mehr überladen und verströmen zum Teil wieder dieses wunderbare melancholische Gefühl, wie es Tori Amos in der Frühphase ihrer Karriere noch öfters gemacht hat. Dies ist eine sehr gefühlvolle und herzliche Scheibe, die eine wirkliche Alternative zu dem ganzen Weihnachtsliedkitsch darstellt.
Text: Torsten Schlimbach