Bosse – Interview am 08.02.2011

Das neue Album “Wartesaal” von Axel Bosse steht in den Startlöchern. Der Veröffentlichungstermin 25.02. rückt näher, Zeit für ein Gespräch mit dem sympathischen Singer/Songwriter!

Hallo Axel, vielen Dank für Deine Zeit! Stimmt es, dass Du gestern ein Video in Berlin gedreht hast?

Wir haben gestern ein paar Sachen in Berlin gedreht, aber kein Video. Wir waren gestern bei TV Noir. Dann waren da noch Reuters, aber ein Video im eigentlichen Sinne haben wir nicht gedreht.

Das Video zu „Weit Weg“ spielt ja in Tokyo.

Genau. Das ist jetzt auch wieder ein Monat her. Da waren wir dann fünf Tage und haben gleich drei Videos gedreht, weil ich grundsätzlich nicht so gerne viel Geld für Videos ausgebe. Geldverschwendung muss ja nicht sein.

Darauf zielte dann auch meine nächste Frage ab. Du legst anscheinend viel Wert auf diese Kunstform. Lohnt sich der Aufwand in der heutigen Zeit überhaupt noch? Das Format ist ja weitestgehend aus der TV-Landschaft verschwunden.

Schön daran ist ja, dass es keine Regeln mehr gibt. Es ist ja noch nicht lange her, da war das ja anders. Da gab es MTV, VIVA und die drei bis vier Kanäle wo sonst noch Videos liefen. Da war es dann gut, wenn man da nicht raucht, da musste man performen, da gab es schnelle Schnitte und so Sachen. Ich habe mich daran aber nie gehalten. Ich mag lieber die Videos, wo gar nicht viel passiert. Diese dokumentarischen Videos, wo das Bild die Musik unterstützt finde ich viel toller wie so Performance-Videos. Ich habe mich über diese Entwicklung total gefreut, weil eben so Dinge wie youtube, Neo, myvideo und wie sie alle heißen, jetzt total wichtig geworden sind. Da kann man dann im Grunde hoch laden was man will und die Leute können dann direkt selber entscheiden, was sie sich angucken wollen oder eben auch nicht. Für mich ist das völlig in Ordnung so und meine Videos werden im Netz auch noch so häufig geguckt wie vorher auch. Ich glaube, Bild und Musik haben auch total viel miteinander zu tun und das ist für die Leute auch noch mal eine ganz andere Welt. Trotzdem möchte ich, spätestens seit dem „Taxi-Album“, was wir selbst finanziert haben, so wenig Geld auszugeben wie es geht. Man kann ja trotzdem mit viel Liebe zum Detail tolle Videos machen, muss dabei aber nicht so verschwenderisch sein.

Dein neues Album „Wartesaal“ steht ja in den Startlöchern. Bist Du vor einer Veröffentlichung aufgeregt? Merkst Du, wie der Puls steigt?

Ich bin ziemlich entspannt. Ich halte mich aber auch immer von so Dingen wie Amazon-Verkaufscharts oder iTunes-Verkaufscharts zurück. Das Album ist ja jetzt fertig und alles andere liegt nicht mehr in meiner Hand. Das muss auch so sein, sonst macht man sich, glaube ich, komplett verrückt. Ich bin jetzt froh, dass die ganze Arbeit, um das Album erstmal ins Rollen zu bringen – Interviews, Videos drehen und so – bald abgeschlossen ist. Ich bin dann eher aufgeregt, wenn es auf die Tour geht. Wie sieht das Bühnebild aus? Was werden wir spielen? Solche Sachen eben.

Liest Du dann die ganzen Reaktionen zum Album? Berühren Dich selbige?

Ich lese schon viel. Ich lese dann auch die ganzen Internet-Musikmagazine, Zeitschriften und eine Menge Sachen, die mich interessieren. Das mache ich aber auch, wenn es nicht um mich geht. Da gibt es eine ganze Menge Sachen, die mich berühren und eben auch interessieren. Ich finde das auch total schön, dass man in der heutigen Facebookzeit direkt mitkriegt, wie die Leute das in den einzelnen Städten finden. Das war ja ganz lange eben nicht so.

Eine nette Kollegin aus dem Musikgeschäft hat mich Dir mit den Worten „ambitionierter Singer/Songwriter“ näher gebracht. Ich finde, dies passt ganz gut auf Dein neues Album. Würdest Du dem zustimmen?

Ja, dem würde ich zustimmen. Ich bin wirklich ein ambitionierter Singer/Songwriter. Ich schreibe eben auch so. Die Lieder entstehen dann auch in einem typischen Singer/Songwriter Kontext. Mit Gitarre eben und Aufnahmegerät, mit Zetteln. Was dann später dazukommt hat dann nicht mehr viel mit Singer/Songwriter zu tun, das ist dann eine ganz andere Arbeit. Das geht dann hin zum Pop oder Rock, aber ursprünglich ist das tatsächlich Singer/Songwriter.

Bei „Taxi“ hast Du ja kein großes Label im Rücken gehabt. Nun bei „Wartesaal“ kannst Du auf die Unterstützung von Universal bauen. Hilft Dir das, Deine Energie und Deinen Fokus wieder voll und ganz auf Deine Musik zu lenken?

Genau! Ich habe natürlich schon noch meine Weggefährten, die mich seit zehn Jahren begleiten. Mein Management und mein Verlag und mit denen haben wir damals so eine kleine Firma aufgemacht. Für mich war die Hauptentscheidung jetzt zu einem großen Label zu gehen, dass anstatt vier Leuten nun 35 an so einer Sache arbeiten. Wir haben das damals ja tatsächlich alles selber gestemmt, außer drei bis vier Leute, die wir von außen dazu geholt haben und die wir kannten. Jetzt habe ich am Tag so 60 Mails, was ich schon extrem viel und nervig finde, aber damals waren es so 300 bis 600 Mails am Tag – kurz bevor das Album veröffentlicht wurde. Und da gibt es so viele Sachen, um die man sich kümmern muss. Alleine so Sachen wie die Platte nachzudrucken, kostet nicht nur Geld, sondern muss auch erstmal gestemmt werden. Jetzt habe ich natürlich wieder mehr Zeit für mich und meine Musik und dann habe ich auch wieder mehr Lust darüber zu sprechen.

Wenn man das alles aber mal selber gemacht hat, fällt es da nicht schwer die ganze Geschichte wieder in fremde Hände zu legen? Gerade wo Du ja auch weißt, was alles dahinter steht?

Genau! Das ist mir schon alles extrem wichtig und da hat sich die Universal auch extrem angestrengt. Bei unserem letzten Konzert im Herbst – das war ausverkauft – stand die Universal plötzlich mit 25 Leuten vor der Bühne. Die wollten mich dann auch wirklich. Wir hatten vorher schon gesprochen, die hatten auch ein Grundvertrauen in mich. Bevor die überhaupt ein Lied gehört hatten, habe ich da schon unterschrieben. Ich war schon viel Kaffeetrinken mit dem Team dort und habe schon darauf geachtet, dass das alles in gute Hände übergeben wird. Das ist sicher schwer für beide Seiten, da ich mich sicher mehr einmische als andere Künstler, aber das finden die alle irgendwie auch gut. Das Team unterstützt das total gut.

Sind Deine Geschichten auf „Wartesaal“ eigentlich fiktiv? Gerade der Titelsong und „Weit Weg“ oder „Nach Haus“ oder auch „Wende der Zeit“ klingen eben nicht so, sondern schon speziell und persönlich.

Ja, das ist so. Ich weiß, dass da eine Menge persönlicher Kram drauf ist, aber auch eine Menge biografisches Zeug aus meinem Umfeld. Komisch ist, dass ich nicht so ein Songschreiber bin, der irgendwie Fernsehen guckt und dann eine Idee hat. Ich schreibe eben Songs die aus meinem persönlichen Umfeld entstanden sind. Natürlich hat man dann später die Möglichkeit das auszuschmücken. Es gibt auch noch die Möglichkeit des reinen Geschichtenschreibens, aber das kommt bei mir sehr selten vor. Im Grunde ist das immer sehr ehrlich.

Was ist denn zuerst da? Die Musik oder der Text?

Also um ehrlich zu sein ist das immer der Text. Ich schreibe immer sehr, sehr viel. Im besten Falle ist das so, dass ich mit der Gitarre da sitze und das irgendwie gleichzeitig passiert.

Die Scheibe klingt für mich wie ein „Nachtalbum“.
Zu welcher Tagezeit hast Du für „Wartesaal“ geschrieben?

Es ist eher das genaue Gegenteil. Ich habe meistens am Tag geschrieben. Seit ich ein Kind habe – und eine Frau natürlich – bin ich schon eher so ein Morgen- und Tagarbeiter geworden. Ich stehe immer sehr früh auf, so gegen sechs oder halb sieben und dann mache ich immer Obstsalat für alle und dann bringe ich das Kind in den Kindergarten und dann habe ich bis 16 Uhr Zeit zu arbeiten, weil dann kommt sie immer wieder. Eigentlich ist meine Zeit von 9 bis 15 Uhr wo ich wirklich konzentriert arbeite.

Bis Du eigentlich ein nachdenklicher und melancholischer Mensch? Die Songs auf „Wartesaal“ sind von einer gewissen Melancholie durchzogen.

Teilzeit auf jeden Fall. Ich glaube, dass ich schon eine ganz gute Energie habe, durch den Sport und so und ich bin auch nicht der klassische Künstler, der bis zwölf Uhr pennt und es dann gerade noch so zum Klavier schafft, sondern habe eigentlich schon viel Energie, die sich aber mit so einer Grundmelancholie gar nicht widerspricht. Eigentlich kann ich auch nur in den Momenten abschalten, wo ich Sport mache oder mit meiner Familie zusammen bin. Je ruhiger ich werde, umso so sehnsüchtiger und melancholischer werde ich dann auch.

Welche Musik hat Dich denn zu „Wartesaal“ inspiriert?

Wenn ich ehrlich bin, dann gar nix. Wenn ich schreibe oder anders: mein ganzer Tag besteht ja immer aus Musik und meistens leider aus meiner Musik, dann versuche ich da anderes auszublenden und mich auch nicht ablenken zu lassen. Es gibt natürlich immer ein paar Sachen, die ich sehr gerne höre, die haben aber immer sehr wenig mit dem zu tun, was ich so mache. Bei mir ist das schon so, wenn ich eine Sache viel höre, dass die nächsten Songs, die ich schreibe, dann auch genau in diese Richtung gehen. Davon will ich mich natürlich befreien. Wenn wir so ein Album schreiben, haben wir natürlich auch schon mal in so eine The National Platte hineingehört und uns gefragt, warum das Cello eigentlich so schön ist, obwohl es ganz verzerrt ist. Oder man fragt sich, warum Arcade Fire besser als dies und das klingt und solche Sachen eben.

Noch mal zurück zu den Texten: nie überlegt ein englischsprachiges Album aufzunehmen – immerhin lässt Du in Deiner Muttersprache auch ein großes Stück die Hosen runter und die Angriffsfläche ist größer.

Ich bin der englischen Sprache nicht so mächtig, wie ich das manchmal so glaube. Ich kann ganz gut Englisch sprechen und ich habe auch viele Freunde in Manchester und so, aber wenn ich singe, dann bin ich auf dem Stand einer Lena Meyer-Landrut. Das hapert bei mir dann auch an der Aussprache. Ich finde es ganz schrecklich, wenn Leute Englisch singen und man hört dann, dass die aus Cottbus kommen. Bei mir ist das so ähnlich und ich fühle mich dann einfach unwohl.

Du hast eben Deine Tochter erwähnt. Spielst Du der Kleinen denn auch Deine Songs vor?

Ja schon, aber die steht mehr auf die Ting Tings. Die findet meistens Sachen besser, die irgendwie nach vorne gehen, wo sie sich dann bewegen kann. Zu Scooter würde die, glaube ich, abgehen wie ein Tanzbär.

Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Anna Loos?

Ähm, ich habe Anna vor drei Jahren auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt. Wir haben uns prächtig verstanden und an dem Abend schon verabredet, dass wir irgendwann Musik zusammen machen. Eigentlich wollten wir einen Song zusammen schreiben. In Köln haben wir dann „Frankfurt Oder“ neu gemixt und aufgenommen. Ich habe dann – weil es ein Cover von mir selber ist, quasi – nach einem Grund gesucht, das für die Leute interessanter zu machen. Ein paar Minuten später war ich dann schon bei Anna. Anna kommt aus Brandenburg, Anna kennt Frankfurt Oder wie ihre Westentasche, wir wollten schon immer was zusammen machen, also warum nicht jetzt? Fünf Tage später war das Ding auch schon eingesungen.

Ist das Internet in Bezug auf Deine Musik für Dich eher Segen oder Fluch?

Ich glaube, das ist eher ein Segen. Ich kenne mich jetzt nicht mit illegalen Downloadzahlen aus, da habe ich auch noch nie nachgelesen. Ich weiß nur, dass diese Zahlen zurückgehen werden, weil die Plattenfirmen jetzt Firmen angestellt haben, ähm, die einfach Leute herausfinden. Ich kenne da auch eine Geschichte aus meinem Bekanntenkreis, der sich was runtergeladen hat, bei Rapidshare und was es alles so gibt, der musste jetzt 900 € zahlen. In den nächsten 1 ½ Jahren wird das vermehrt auftreten. Bei Filmen ist das ähnlich. Wer sich z.B. „Keinohrhasen“ vom Til zieht, der kriegt auf jeden Fall zu 98 % einen Brief in einem halben Jahr. Ich finde es auch blöd, irgendwie Sachen zu klauen. Auf die eine oder andere Art kann ich es natürlich verstehen, aber aus meiner Sicht ist das natürlich blöd, das macht Musik und Musiker auch kaputt. Aber ansonsten hat das Internet nur positive Seiten und das kann auch schnell ein kleiner Selbstläufer werden und das kann der Musik ja nicht schaden.

Wann gehst Du denn mit dem Album auf Tour und was können die Leute erwarten?

Also wir fangen am 24. März an und spielen dann in 16 deutschen Städten. Ähm, wir sind mit fünf Leuten unterwegs und werden das komplette Album „Wartesaal“ spielen und ¾ vom „Taxi“-Album und noch drei bis vier Songs von den ersten Alben.

Was würdest Du eigentlich machen, wenn es mit der Musik nicht geklappt hätte?

Das kann ich gar nicht richtig sagen. Ich hatte nie einen Plan B. Eigentlich wollte ich mal Anwalt werden oder Lehrer. Am liebsten wollte ich aber Musikmananger werden oder Verleger. Jetzt bin ich eben Musiker. Vermutlich werde ich immer der Musik treu bleiben.

Axel, dann vielen Dank für das Gespräch!

Ich bedanke mich bei Dir.

 

(Torsten Schlimbach bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei Isabel Sihler, Universal und natürlich bei Axel Bosse!)

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