John Mellencamp: Orpheus Descending

John Mellencamp: Orpheus Descending

Universal

VÖ: 30.06.2023

 

Wertung: 11/12

Tipp!

 

John Mellencamp ist so produktiv wie schon lange nicht mehr. Erst letztes Jahr hat er mit „Strictly A One-Eyed Jack“ ein Studioalbum veröffentlicht. Nun folgt mit „Orpheus Descending“ schon der Nachfolger. Je nach Zählung ist dies bereits sein 25. Werk! Natürlich war er dieses Jahr auch schon auf Tour und er malt auch immer noch wie ein Besessener. Mittlerweile biegt der Mann mit seinen 71 Jahren ja auch auf die Zielgerade ein, umso erstaunlicher ist seine Produktivität, sowie seine Umtriebigkeit.

 

Mellencamp wird ja oftmals mit Springsteen verglichen. Thematisch besingen die beiden sehr ähnliche Themen. Auf „Orpheus Descending“ sind sie auch alle wieder versammelt, die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Obdachlose, rast und ruhelose Reisende, aber auch ein Zwiegespräch mit Jesus könnte man sich auch bei Springsteen vorstellen. Der rockige und kraftvolle Albumauftakt „Hey God“ geht dann auch in eine sehr ähnliche Richtung wie beim Boss. „The Eyes Of Portland“ klingt musikalisch dabei fast schon feierlich – der Text hingegen, inspiriert von einer 20-jährigen ohne festen Wohnsitz, hält der Gesellschaft den Spiegel vor Augen.

 

„The So-Called Free“ ist mit seinem vielseitigen Gitarrenspiel, Fiedel oder Keyboard ein schönes Americana-Stück. Schon hier bellt und röchelt Mellencamp mehr als er singt. Spätestens mit dem leise und zurückhaltenden „The Kindness Of Lovers“ kommt einem aber ein ganz anderer, großer Singer/Songwriter in den Sinn: Tom Waits! Das rumpelnde Klavier bei „Amen“ geht ebenso in diese Richtung und das rhythmische „Orpheus Descending“ ist ebenfalls eher bei Waits zu finden. „Understated Reverence“ ist die vermutlich herzzerreißende Klavier-Cello Ballade der letzten zehn Jahre – mindestens.

 

Fingerpicking gibt es bei „One More Trick“ wieder zu bestaunen, während Mellencamp bellt, greint und hustet wie ein läufiger Hund. Es ist also ein ganz und gar großartiges Musikstück, fest in der amerikanischen Tradition verankert. „Lightning And Luck“ hingegen stellt sich in eine Reihe mit der großartigen Kunst eines Kris Kristofferson. Zupackend, klar, aber eben auch anders als beispielsweise bei Springsteen. Mellencamp agiert auch um einige Passagen ruhiger. „Perfect World“ hat das schönste Mundharmonikaspiel einer John Mellencamp-Platte aufgefahren. Ganz und gar toll ist das! „Backbone“ ist das schöne und erhabene Ende eines grandiosen Albums!

 

Fazit: Wer ein Album der amerikanischen Musiktradition zu schätzen weiß, dabei aber keinen Wert auf Mainstream legt, wird mit dem Roots-Rock, Alternativ-Folk und Heartland-Country - mit ganz viel Tom Waits-Schieflage - von „Orpheus Descending“ sehr, sehr glücklich werden. Man sollte mit Superlativen immer vorsichtig sein, aber John Mellencamp hat mit diesem Album eines der besten seiner langen Karriere aufgenommen. Hut ab!

 

https://www.mellencamp.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

John Mellencamp: Scarecrow (2CDs)

John Mellencamp: Scarecrow (2CDs)

Universal

VÖ: 04.11.2022

 

Wertung: 9/12

 

John Mellencamp ist nun schon seit gut und gerne 45 Jahren als Musiker unterwegs. Er hat viele Alben aufgenommen, die mittlerweile zum amerikanischen Musikkulturgut zu zählen sind. Er wird gerne in einem Atemzug mit Springsteen genannt. Die beiden verstehen sich natürlich auch blendend. Ein Album überstrahlte lange Zeit immer etwas alle anderen. Die Rede ist von „Scarecrow“. Das Werk war in seiner Heimat sehr erfolgreich und kletterte 1985 bis auf Platz 2 der Charts. Er wurde seitdem auch als ernsthafter Musiker und Songwriter wahrgenommen, denn er thematisierte mit diesem Album die Probleme der amerikanischen Land- und Kleinstadtbevölkerung. Zusammen mit Willie Nelson organisierte er ab dann das jährlich stattfindende „Farm Aid“, jene Benefizveranstaltung für die amerikanischen Farmer.

 

In unseren Breitengraden ist das Album leider etwas aus dem Fokus verschwunden. Dies könnte sich nun aber noch mal ändern, denn „Scarecrow“ wird erneut als 2CD-Version veröffentlicht. Wer sich auch nur im Ansatz für Rockmusik interessiert, sollte dieses Werk auf dem Schirm haben. Selbstverständlich liegt die Sause als Remaster vor.

 

„Small Town“ war damals sein größter Hit, der auch nach oben in den Single-Charts kletterte. Auf der neuerlichen Veröffentlichung gibt es gleich zwei unveröffentlichte Versionen dieser Nummer zu hören. Hier wäre die tolle Akustikversion hervorzuheben. Die Stimme von Mellencamp ist dabei unglaublich eindringlich und sehr nahbar. Es klingt fast so, als würde der Mann bei einem im Wohnzimmer sitzen. Die Fiddle verstärkt den Folkeindruck. Tolle Umsetzung!

 

„Rain On The Scarecrow“ hat zu Beginn ein tolles Solo am Start. Dann folgt mit „Grandma´s Theme“ genau das, was viele Kinder so von ihrer Großmutter gehört haben. „Minutes To Memories“ hat nicht nur eine tolle Erzählstruktur, die klassisch im Americana zu verankern ist, sondern auch ein tolles Gitarrenspiel auf verschiedenen Ebenen zu bieten. „Lonely Ol´ Night“ war ebenfalls eine tolle, klassische Single. „The Face Of The Nation“, aber auch „R.O.C.K. In The USA (A Salute To 60´s Rock)“ legten die Finger in die richtigen Wunden.

 

Der Rough Mix von „Lonely Ol´ Night“ ist wirklich rough. Die Demoversion von „Between A Laugh And A Tear“ aber auch von „Rumbleseat“ geben Einblicke in den Entstehungsprozess. Auch Nummern wie „Cold Seat“ Oder „Smart Guys“ fügen sich wundervoll in den Gesamtkontext ein. Es macht durchaus Sinn, dass dies nun als 2CD-Version veröffentlicht wird.

 

Fazit: John Mellencamp hat 1985 mit „Scarecrow“ ein Album herausgebracht, welches ihn in ein ernsthaftes Regal beförderte. Americana, Folk und Rock sind hier zu finden und die Texte nehmen sich die wichtigen Themen der Land- und Kleinstadtbevölkerung an. Die erneute Veröffentlichung hat eine tolle zweite CD mit hörenswerten Versionen, Demos und Mixen zu bieten. Remastert macht aber auch das eigentliche Album, welches erstaunlich zeitlos ist, immer noch Spaß!

 

https://www.mellencamp.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

John Mellencamp: Strictly A One-Eyed Jack

John Mellencamp: Strictly A One-Eyed Jack

Universal

VÖ: 21.01.2022

 

Wertung: 9/12

 

John Mellencamp hat ein neues Album aufgenommen. Es ist sein 25. Werk. Geschrieben wurden die Songs freilich von Mellencamp selber. Er hat sich den Job des Produzenten hier aber mal nicht angetan und dies Grammy-Preisträger David Leonard überlassen. Aufgenommen wurde dies erneut in den eigenen Belmont Mall Studios von Mellencamp in Indiana. Bruce Springsteen war auch gleich bei drei Songs dabei. Mellencamp bezeichnet den Boss als Freund. Als weitere Musiker baute Mellencamp im Grunde auf seine bewährte Mannschaft.

 

„I Always Lie To Strangers“ beginnt musikalisch ziemlich traurig. Die Geige setzt zum Trauermarsch an. Mellencamp singt hier recht knorrig die Worte über Schuld und Sühne. Würde das Ganze mehr holpern, dann könnte man glatt einen neuen Song von Tom Waits vermuten. Dies gilt im Grunde für das komplette Album. „Driving In The Rain“ könnte man sich auch vom Meister des stolpernden Schönklangs vorstellen. Mellencamp macht das einfach großartig. „I Am A Man That Worries“ perfektioniert dies. Die Band spielt dazu im Saloon auf. Der Whiskey fließt in Strömen, der Rauch schneidet die Luft und irgendwie liegt eine Schießerei über dieser Szenerie. Mellencamp singt dazu direkt aus der Hölle zu den Protagonisten.

 

„Streets Of Galilee“ ist ganz und gar wundervoll instrumentiert worden. Der Bass grummelt, das Klavier spielt eine sehnsuchtsvolle Melodie, das Schlagzeug setzt dezent Akzente und Mellencamp singt um Leib und Seele. „Sweet Honey Brown“ setzt dann erstmals eine elektrische Gitarre in den Fokus und rumpelt sogar ein bisschen. Sowieso wird es jetzt an dieser Albumstelle etwas rockiger. Vielleicht liegt es auch an Springsteen, der bei „Did You Say Such A Thing“ dabei ist. Die beiden sind einfach Brüder im Geiste. „Gone So Soon“ beendet die Hochstimmung aber erstmal wieder. Zwischen Barjazz und Trauermarsch stürzt uns Mellencamp vollends in die große Depression.

 

„Wasted Days“ ist unzweifelhaft der Hit der Platte. Springsteen und Mellencamp ergänzen sich hier perfekt, wobei das auch schon eher eine Boss-Nummer ist. Der Titeltrack ist ein sensationelles Western-Stück. Stark, wie so vieles auf diesem Album. „Chasing Rainbows“ lässt dann noch mal ein bisschen Fröhlichkeit einziehen. Wundervoll, wie hier der Folk gefeiert wird. „Lie To Me“ ist ein fast schon roher Stampfer. Hört sich an, als wäre ein Großteil live aufgenommen worden. Zum Schluss gibt es noch mal eine gemeinsame Nummer mit Springsteen. Es wird ganz traurig, gar depressiv. Ein Song mit dem Titel „A Life Full Of Rain“ gibt aber auch nichts Anderes her. Ein erhabener, großartiger Albumabschluss.

 

Fazit: „Strictly A One-Eyed Jack“ ist musikalisch und auch klanglich ein herausragendes Album. Die Instrumentierung und der knorrige Gesang – teilweise auch mit Freund Springsteen – sind ebenfalls ganz und gar großartig. Zwischen Folk, Western, Singer/Songwriter aber auch Rock pendeln sich die oftmals sehr traurigen Songs ein. Die Stimmung, die von diesen Songs ausgeht, ist sehr speziell und macht etwas mit den Zuhörern. Ein gutes Werk!

 

https://www.mellencamp.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

John Mellencamp: Plain Spoken: From The Chicago Theatre (DVD + CD)

John Mellencamp: Plain Spoken: From The Chicago Theatre (DVD + CD)

Universal

VÖ: 11.05.2018

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

John Mellencamp ist ein unglaublich facettenreicher Künstler, der sich über viele Jahrzehnte nicht nur als Songschreiber und Musiker einen Namen gemacht. Er hat als Aktivist stets eine klare Meinung formuliert und Haltung gezeigt. Seit einiger Zeit ist er auch als Maler eine anerkannte Persönlichkeit und auch hier hat sich seine Akribie längst ausgezahlt und es wird ihm Anerkennung aus berufenem Munde zuteil. Ausstellungen seiner Werke erfreuen sich großer Beliebtheit und da kommen auch viele Menschen, die nicht aufgrund seiner Musik Fan sind. Jetzt veröffentlicht er mit „Plain Spoken: From The Chicago Theatre“ ein ganz besonderes Projekt.

 

Dies ist ein ganz spezieller Film. Das ist keiner dieser herkömmlichen Konzertmitschnitte, aber auch keine Dokumentation. John Mellencamp plaudert hier aus dem Nähkästchen und die einzelnen Songs werden aus dem Off von ihm kommentiert, mit Anekdoten versehen und immer mal wieder mit abschweifenden Erzählungen flankiert. Das ist kurzweilig und unterhaltsam. Glücklicherweise hat man dem geneigten Käufer aber auch noch eine zweite Option mit an die Hand gegeben und so kann man auch das Konzert einzeln ansteuern. Das macht durchaus Sinn, denn das ist derart gut, dass man sich das mehrmals ohne Gequatsche angucken wird.

 

Mellencamp erzählt hier zwar aus seinem Leben und der herzigste Moment ist sicherlich, als er über seine Oma spricht, die ihn nie John sondern Buddy genannt hat. Es bedarf aber eigentlich nicht vieler Worte, denn die Musik steht für sich alleine und erzählt schon genug Geschichten. Die ganze Sause ist ziemlich ungewöhnlich gefilmt. Zunächst sieht man das Geschehen auf der Bühne aus der Perspektive der Zuschauer vor Ort. Die Einstellung ist direkt aus dem vorderen Teil des Innenraums gewählt worden. Es sind dann auch schon mal Hände im Bild. Das trübt aber keineswegs das Erlebnis, sondern vermittelt vielmehr, dass man Teil des Geschehens ist. Dann wiederum gibt es auch einige Aufnahmen von der Seite oder dem hinteren Teil der Bühne. Dies wiederum offenbart dem Zuschauer aus der Konserve den Blick, den die Musiker von der Bühne aus genießen dürfen. Da dies eine tolle Location ist, kann man hier wirklich von einem Genuss sprechen. Ein weiterer Effekt ist so natürlich, dass man auch etwas von der Stimmung vor Ort mitbekommt und die Fans durchaus auch ein Teil dieser Aufnahme sind. Die ganze Kiste besticht sowieso durch eine unglaubliche Nähe. Nähe, die die Kamera zum Künstler, aber auch zu den Zuschauern vor der Bühne aufbaut – und die Nähe zwischen Mellencamp und seinen Fans. Es wurde zudem auch noch mit einem anderen Stilmittel gearbeitet und mittendrin gibt es auch mal nur eine Schwarzweiß-Ästhetik. Insgesamt eine ganz tolle Umsetzung.

 

Gestartet wird das Set mit dem eindringlichen „Lawless Times“. Die Band steht schon auf der Bühne und als Zuschauer kriegt man dann hier die Perspektive von Mellencamp geboten. Man (die Kamera) guckt dem rauchenden Meister da durch den Vorhang über die Schulter. Sehr netter Blickwinkel. Der gute John hat da ganz tolle Musiker um sich versammelt. Er selber sieht mit seiner Tolle zwar aus wie Elvis, ist aber hier eher die schmutzige Ausgabe von Springsteen. „Troubled Man“ hat schon Boss-Style. Mellencamp präsentiert seine Songs aber dreckiger. Sein Gesang ist zudem stets etwas heiser, wie bei „Minutes To Memories“, wodurch das sogar Straßencharme erhält. Wo will man das einsortieren? Rock? Im Grunde seines Herzens kann man das durchaus in das Americana-Fach stellen – sofern man den schon erwähnten Springsteen oder auch Tom Petty dazu zählen würde.

 

„Small Town“ rockt dazu amtlich, hat dabei aber auch eine Hookline mit Hitqualitäten. „Stones In My Passway“ ist die Sorte Blues, wie es auch die Rolling Stones praktizieren. Und die Lässigkeit, mit der „Pop Singer“ vorgetragen wird (die Mundharmonika!), ist schon ziemlich beeindruckend! Natürlich greift Mellencamp auch mal zur Akustischen, wie bei „Longest Days“. „The Full Catastrophe“ wird von Pianoklängen untermalt, während der gute John singt und spricht wie Tom Waits! „Paper In Fire“ stellt sich im weiteren Konzertverlauf als erstklassiger Rocker dar. Wird aber im direkten Anschluss von „Authority Song“ noch getoppt. Der Stampfer kommt zwischen Glam und Punk, zwischen Rock und Americana wunderbar auf den Punkt. „Pink Houses“ lässt dann allen Musikern noch mal genug Raum zur Entfaltung, bevor „Cherry Bomb“ das würdige Finale darstellt.

 

Fazit: „Plain Spoken: From The Chicago Theatre“ ist eine tolle Konzertaufnahme von John Mellencamp. Die Kameraperspektiven sind so nicht unbedingt üblich. Die Nähe der Musiker zu den Fans vor Ort wird somit auch in die heimischen Wohnzimmer transportiert. Mellencamp und seine Band spielen zudem wie entfesselt und liefern ein wirklich tolles Konzert ab. Auch der Sound ist toll und da dieser Veröffentlichung auch noch eine CD beiliegt, kann man das auch anderweitig genießen!

 

http://www.mellencamp.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

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