NEW MODEL ARMY: CARNIVAL (REDUX)
earMUSIC/Edel
VÖ: 20.11.2020
Wertung: 8,5/12
„Carnival“ von New Model Army ist ein noch vergleichsweises junges Album. Ursprünglich wurde das Werk 2005 veröffentlicht. Wenn man ehrlich ist, dann ist „Carnival“ auch schon wieder ein bisschen in Vergessenheit geraten. Das Spätwerk ist auch vergleichsweise weniger bekannt. Die Fans haben das natürlich alles auf dem Schirm, aber im großen Musikzirkus ist das dann doch untergegangen. Die 90er waren vorbei und New Model Army waren auf der Suche. Nach dem Ausstieg von Robert Heaton veränderte sich die Band und sein Tod im Jahre 2004 stürzte die ehemalige Mitstreiter auch noch mal in ein Loch. Die Band versank im Chaos und über die Jahre haderte Bandkopf Justin Sullivan immer wieder mit dem Ergebnis. Er sagt im Nachhinein dazu, dass Chris Tsangarides eventuell der falsche Produzent war, weil er das Choas nicht ordnen konnte. „Wir hatten immer das Gefühl, dass „Carnival“ das Album war, bei dem die Aufnahmesessions, das Mixing und das Mastering den Songs nie gerecht geworden sind.“, so Sullivan.
Wie kommt es nun dazu, dass „Carnival“ 15 Jahre später noch mal veröffentlicht wird. Die treibende Kraft dahinter scheint ausgerechnet das Label zu sein. earMUSIC bot der Band an, das Album neu zu lizensieren und somit auch eine Neuauflage zu planen. Sullivan dürfte sehr begeistert gewesen sein, denn so sah er die Chance „Carnival“ so zu veröffentlichen, wie er das ursprünglich im Sinn hatte. Die Originalaufnahmen wurden an Lee Smith, dem Co-Produzenten und Mixer ihrer neusten Werke, gegeben. „Carnival“ sollte komplett neu erfunden werden. Die Band hat sich immer geschworen, Songs nicht neu aufzunehmen. Daran haben sie sich gehalten. Die grundlegenden Qualitäten des Albums wurden verstärkt und jetzt passt auch der klangliche Rahmen.
„Carnival“ in der 2020-Version trägt nun passenderweise den Anhang Redux. Das Album wurde um vier zusätzliche Tracks erweitert, wodurch sich die Dynamik und der Albumfluss deutlich verändert haben. Eingebettet ist das alles immer noch von der Geburt im Auftaktsong „Water“ und dem Tod, im letzten Track „Fireworks Night“ - gewidmet dem verstorbenen Robert Heaton. „Rumour and Rapture 1650“ wurde von Sullivan für die Theatertour von „Freeborn John“ geschrieben und war ursprünglich ein reines Instrumentalstück. Jetzt aber wurde das von Sullivan mit einem Text versehen. „One Bullet“ und „Stoned, Fired And Full Of Grace“ kennen Fans natürlich von den Konzerten. Dort wurden die Songs live immer eher in der Lagerfeuerromantik gespielt – auf „Carnival“ kommt nun die gesamte Band zum Einsatz.
„Carnival“ ist selbstverständlich politisch gefärbt. Afrika, Flüchtlingskrise – ja, mit dem Thema setze sich Sullivan schon damals auseinander – und natürlich das Große und Ganze und das Kapitalismussystem, werden hier bissig besungen. „Red Earth“ ist dabei druck- und kraftvoll und auf eine gewisse Art schon heavy. „Island“ besticht durch die Rhythmusfraktion, die die Nummer unaufhörlich nach vorne treibt. „Carlisle Road“ ist so ein kleines Indieungetüm, dass einem als Hörer das Herz aufgeht. Der langsame Bass, das monotone Schlagzeugspiel und der lakonische Gesang werden hin und wieder von den Gitarren durchschnitten. Große Kunst! „One Bullet“ ist wie gemalt für Live-Konzerte, wann auch immer selbige wieder möglich sein werden. Die Mundharmonika von „Bluebeat“ ist schon großes Kino. Die Nummer hört sich zudem an, als hätte ein großes Orchester mitgespielt. Ungewöhnlich, aber brillant.
Die Songs bauen sich zudem immer ganz toll auf. So wie bei „Too Close To The Sun“. Zunächst ist dies ein leises, reduziertes Lied, wächst sich aber zu einer regelrechten Raserei aus. Auf sämtlichen Song ist übrigens der Bass sehr schön zu hören, auch wenn die Gitarren lärmen, geht das wohlige Grummeln nicht unter - wie beispielsweise bei „Prayer Flags“.
Fazit: Im Nachhinein war Justin Sullivan mit der Veröffentlichung von „Carnival“ ziemlich unzufrieden. Der Klang missfiel ihm und entsprach wohl nicht den Vorstellungen, wie das Album hätte klingen können. Dem Label haben es New Model Army nun zu verdanken, dass dies alles nun nochmal überarbeitet werden durfte und die ursprüngliche Veröffentlichung aus 2005 nun im Jahre 2020 als Redux-Version ein Update erfährt. Die zusätzlichen Songs tun dem Werk als Gesamtes hörbar gut. „Carnival“ kann so noch mal gänzlich neu erlebt werden! Gute Entscheidung und überall nur Gewinner!
Text: Torsten Schlimbach
New Model Army: Winter
earMUSIC/Edel
VÖ: 26.08.2016
Wertung: 9/12
„Between Dog And Wolf“ war ein überaus bemerkenswertes Album von New Model Army. Wer die Band schon auf das Altenteil abgelegt hatte, kriegte dieses Manifest um die Ohren gehauen und musste dann wohl kleinlaut zugeben, dass Justin Sullivan und seine Mitstreiter immer noch etwas zu sagen hatten. Seitdem sind nun auch wieder drei Jahre ins Land gezogen. Drei Jahre, die von New Model Army genutzt wurden, denn mit „Winter“ folgt nun ein weiteres, hervorragendes Werk. Die Unabhängigkeit, die New Model Army genießt weil alles in den eigenen Bandhänden liegt, dürfte dabei mal wieder geholfen haben. Schön, wenn man in künstlerischer und kommerzieller Sicht völlig freie Hand hat.
Es sind im Grunde alle musikalischen Zutaten da, die man von einem New Model Army Album erwartet, und doch ist „Winter“ kein Abklatsch des bisherigen Schaffens. Es geht auch nicht darum den Status zu verwalten, damit man die Fans bei der Stange hält. Die Songs sind nämlich eigenständig und stehen für sich – und zwar jeder. New Model Army unterstreichen somit, dass die Band auch im Jahre 2016 noch relevant ist. Natürlich bezieht sich das nicht auf den Mainstream, aber in ihrer Nische sind New Model Army eben immer noch völlig zurecht eine Ausnahmeband.
Mit dem düsteren „Beginning“ schleichen sie sich ganz böse in die Ohren. Über den dominierenden Bass, der Lemmy gefallen würde, singt Sullivan wie der Fürst der Dunkelheit. „Burn The Castle“ rockt nach dem verhaltenen Auftakt amtlich durch die Prärie. Der rohe und ungefilterte Gesang steht einer weiteren Hymne aus dem Hause New Model Army nicht hinderlich im Wege. Mit „Winter“ - wie könnte es bei dem Titel auch anders sein?! - gibt es eine typische Akustikballade wie man sie von der Band schon oft gehört hat. Eine jede hat aber ihre Berechtigung. Und da sind sie auch wieder, die soldiers. „Part The Waters“ und „Eyes Get Used To Darkness“ rocken als hätte man es hier mit einer jungen, wilden Kapelle zu tun. „Drifts“ dengelt lässig - natürlich nicht ohne diesen düsteren Schleier darüber zu legen. Die Gitarre füllt die Lücken zwischen Bass und Drums. Das Stück klingt nach einem Seefahrerlied. Ein Shanty. Sullivan singt sich (mal wieder) die Seele aus dem Leib.
Die Melancholie von „Born Feral“ nimmt einen ebenso mit, wie das Akustikstück „Die Trying“. „Devil“ gleicht, abgesehen vom Refrain, schon einer Spoken Words Performance. „Strogoula“ wird anschließend theatralisch inszeniert. Die flirrende Gitarre sticht dabei besonders hervor. „Echo November“ entpuppt sich als weitere Hymne, während bei „Weak And Strong“ mit Tempowechseln gearbeitet wird. Schade, dass die Nummer ausgeblendet wird und somit ein richtiges Ende fehlt. „Winter“ endet mit „After Something“ in üblichen New Model Army-Gewässern, ist aber trotzdem verdammt gut.
Fazit: Mit „Winter“ ist der New Model Army erneut ein hervorragendes Album gelungen. Die Band ist sich und ihren Wurzeln treu geblieben. Oftmals sind alle Trademarks sofort hörbar und doch hat diese Platte durchaus ihre Berechtigung und stellt eine Bereicherung für das Musikjahr 2016 dar. Man darf hier durchaus von zeitlosen Songs sprechen. Schön, dass die Band immer noch Alben auf derartigem Niveau veröffentlicht.
Text: Torsten Schlimbach