Tindersticks: The Something Rain

Tindersticks: The Something Rain
City Slang/Universal
VÖ: 17.02.2012

 

Wertung: 10,5/12

Tipp!

 

Müsste man eine typisch britische Band mit Stil benennen, dann kämen wohl nur die Tindersticks in Frage. Die Nordiren von The Divine Comedy fallen aus diesem Rastar ja schließlich raus. Man stellt sich immer vor, dass die Mitglieder von den Tindersticks in einem ranzigen Hotel mit dicken Teppichen, Ohrsesseln und Blümchentapete residieren. Mit Toilette auf dem Gang versteht sich. Moderne Kommunikationsmittel gibt selbstverständlich nicht und die ganzen anderen Dichter, Schriftsteller und Musiker dort tippen noch wie die Verrückten auf die Schreibmaschine ein. Alkoholiker sind sie allesamt – aber mit Anstand. Gut gekleidet, klar, auch wenn der Anzug immer leicht schief sitzt. Ja, das scheint die Welt der Tindersticks zu sein. Das ist auf dem neunten Album „The Something Rain“ mehr denn je der Fall.

Angeblich gab es mehr als zwanzig Ideen, Skizzen und Gerüste für diese wundervolle Platte. Letztlich hat man aus diesem immensen Fundus neun Songs zusammengestellt, die nun wieder in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele einladen. Hoffnung gibt es für die Menschheit in der Welt der Tindersticks jedenfalls nicht. „The Something Rain“ entfaltet nicht die Wirkung eines Stimmungsaufhellers, sondern ist vielmehr die nächste Stufe zum Endstadium einer Depression. Und genau das ist es ja, was Musik im besten Falle zu transportieren vermag: Emotionen.

Man kann sich trefflich darüber streiten welche Platte denn nun die beste im Band-Oeuvre ist. Für manche ist es das erste Album, andere wiederum nennen gerne „Curtains“ und für wieder andere ist es gar „Simple Pleasure“ oder „Can Our Love...“. Fakt ist jedenfalls, dass die Band nicht einen wirklichen Ausfall zu verzeichnen hat und die Musik durch die Bank mindestens gut bis sehr gut war – meistens darüber hinaus. „The Something Rain“ reiht sich da nahtlos ein, allerdings trifft hier das darüber hinaus zu. Eine ganz hervorragende Platte ist dieses Kleinod!

Wer einen Opener wie „Chocolate“ mit über neun Minuten mit gesprochenen Wortfetzen und Wortkaskaden an den Anfang einer Platte setzt, ist sowieso nicht von dieser Welt. „Show Me Everything“ ist der Wahnsinnsritt auf der Rasierklinge. Majestätisch thront die Boheme über der Gosse. Staples nuschelt wieder, als würde die Sonne nie mehr aufgehen. Kompositorisch ist das eine Meisterleistung – wie übrigens das gesamte Album. Düster schält sich auch „This Fire Of Autumn“ aus seinem Kokon und wird zu einem wunderschönen, aber auch absonderlichen Schmetterling.

Keine Note ist zu viel. Kein Geräusch ist überflüssig. Alles ist im Fluss. Selbst ein vermeintlich einfaches und minimalistisches Stück wie „A Night So Still“ überzeugt durch eine dichte Atmosphäre und eine unglaubliche Instrumentierung, die sich einem aber erst nach und nach eröffnet. Während „Slippin´ Shoes“ zumindest ein bisschen forscher und positiver ausgefallen ist, zieht einen „Medicine“ wieder komplett runter. Man lässt sich aber gerne ziehen. Sollte eines Tages das Ende der Welt anstehen, dann ist dies die Musik für danach. Mit „Frozen“ haben sie noch so ein kleines Meisterwerk für die Apokalypse an Bord. Saxofon, Xylofon - und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass der Teufel persönlich alle Instrumente spielt. Die süßliche Ballade „Come Inside“ lässt aber wieder einen Funken Hoffnung zu und die ersten Knospen sprießen auch schon wieder.

Fazit: „The Something Rain“ der Tindersticks ist nicht nur ein kleines Meisterwerk, sondern ein großes. Derart groß, dass es einem manchmal den Hals zuschnürt. Große Kunst aus dem Hotel der verlorenen Seelen. Schlechte Alben kann die Band einfach nicht. Vorsicht ist trotzdem geboten, denn wer seelisch nicht gerade in einem Gleichgewicht ist, wird mit „The Something Rain“ in ein tiefes Tal der Tränen gerissen werden.

http://www.tindersticks.co.uk/splash.php

Text: Torsten Schlimbach

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