Dear Reader: Idealistic Animals

Dear Reader: Idealistic Animals

City Slang/Universal

VÖ: 02.09.2011

 

Wertung: 11/12

Tipp!

 

Was ist denn nur aus der Band Dear Reader geworden? Was mehr oder weniger als musikalisches Duo anfing, kriegte im Zuge der Veröffentlichung von „Replace Why With Funny“ noch Zuwachs und es schien gar so, als würden fortan nur noch Großtaten aus Johannesburg, Südafrika, der Heimat von Dear Reader, präsentiert. Tja, das ist vorbei. Alles. Fast. Dear Reader ist nur noch Cherilyn MacNeil, ihr kongenialer Partner Darryl Torr ist nicht mehr dabei. Südafrika ist auch nicht mehr länger das zu Hause, denn Cherilyn zog es nach Berlin – sicher mit ein Trennungsgrund.

 

Cherilyn MacNeil ist Dear Reader und Dear Reader ist Cherilyn MacNeil – die Grenzen scheinen fließend zu sein. So und jetzt die eigentliche Überraschung: das ist alles so was von egal, denn die neue Platte „Idealistic Animals“ ist derart schön, bezaubernd und gut, dass man sprachlos ist. Cherilyn MacNeil ist ein kleines Indiepopgenie. Jetzt, wo sie das Heft des Handelns komplett alleine in der Hand hält, trifft einen diese Melancholie und die sehnsuchtsvolle Suche nach dem großen Ganzen mit voller Wucht mitten in der Magengegend. Dieses Album ist traurig und wunderschön zugleich. Dabei sind die Songs höchst ambitioniert. Verhuschte Kleinode, die auch noch musikalisch wertvoll sind. Das sind keine belanglosen Popsongs, sondern fein arrangierte und komponierte Lieder. Kleine Schöngeister eben.

 

Man könnte ja auf die Idee kommen, dass dies jetzt zu verkopft und verkrampft klingt, dem ist aber ganz und garnicht so! Die Hooks springen einen zwar an jeder Ecke an, aber sobald man die ersten Durchgänge hinter sich hat, dann wird man tiefer in die Songs eintauchen und feststellen, dass das Songwriting viel komplexer ist. Darf man da sogar von kompliziert sprechen? Man muss es vielleicht sogar! Vergleiche? Müssen die denn überhaupt her? Arcade Fire? Passt irgendwie nicht so richtig, auch, wenn die natürlich auch höchst ambitionierten Indiepop kreieren. Get Well Soon haut da vielleicht schon eher hin.

 

Man höre und gucke sich nur mal das ganze Instrumentarium an, welches hier aufgefahren wird. Oboen, Waldhörner, ein Fagott, Trompeten und Geigen gehören sicher nicht zum alltäglichen Gebrauch eines – im weitesten Sinne – Pop- und Rockmusikers. „Kite (Soon We´ll Light Up)“ ist gar der sakrale Abgesang. Überhaupt scheint die gute Cherilyn voller Selbstzweifel zu sein. Muss sie doch garnicht haben. Wer eine solche Platte aufnimmt, hat doch alles, aber wirklich alles, richtig gemacht. Trotzdem scheint sie sich eher auf der düsteren Seite der Gefühlswelten zu befinden – zumindest lassen diese Melodien und Texte keine anderen Schlüsse zu. Wer gleich im ersten Track „Fox (Take Your Chances)“ verkündet, dass es keine Hoffnung gibt, gehört sicher nicht zu den ausgemachten Spaßbomben. Das entführt den Hörer oftmals in ein großes Melodram, kann dabei aber auch, wie „Monkey (You Can Go Home)“ wie ein ganz normales Indiepopstück wirken. „Mole (Mole)“ klingt gar so, als würde hier das Leben gefeiert. Das kommt aber auch nicht von ungefähr, denn diese glasklare Stimme führt einen doch immer wieder auf die falsche Fährte. „Earthworm (All Hail Our Ailing Mother)“ kann man gar körperlich erleben und erfahren. Sämtliche Körperhaare werden hier ins Achtung gestellt. Und dann werden immer so kleine liebliche Melodien eingestreut, bitte bei „Giraffe (What´s Wrong With Us)“ nach hören.

 

Elf Songs, knapp vierzig Minuten und nichts davon ist verschenkt. Alles sitzt an seinem richtigen Platz. Manches wirft einen Blick rüber auf die Insel. An „Camel (Not Black Or White But Camel“ hätte auch Neil Hannon von The Divine Comedy seine helle Freude – an den Songtiteln sowieso. Es bleibt zudem ein ungeklärtest Rätsel, wie man derart viel Schönheit in nicht mal drei Minuten in „Elephant (Hearter)“ packen kann.

 

Fazit: Dear Reader ist in Form von Cherilyn MacNeil zurück. Schon das erste Album war ein kleines Indiepopmeisterwerk. Mit „Idealistic Animals“ macht die Dame jetzt aber ihr absolutes Meisterstück. Trauriger und zugleich schöner kann Musik einfach nicht klingen. Zwischen totaler Depression und Hoffnung rangieren diese Kleinode, die musikalisch höchst komplex und beeindruckend sind. Dies geht erfreulicherweise nicht zu Lasten der Melodien. Prädikat: besonders wertvoll!

 

http://dearreadermusic.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Empfehlen Sie diese Seite auf:

Druckversion | Sitemap
Dream Out Loud Magazin: © Torsten Schlimbach / Header: © Kai Knobloch