Ingrid Michaelson: Lights Out
We Love Music/Universal
VÖ: 13.06.2014
Wertung: 7,5/12
Ingrid Michaelson galt einst als Wunderkind des Indiepop. Eine größere Bekanntheit erlangte sie als ihre Lieder in der beliebten Serie „Grey’s Anatomy“ gespielt wurden. Bis dahin musste sie ihre Musik selbst vertreiben und die Labels hielten sich eher reserviert zurück. Ein bisschen Glück gehört eben auch dazu. Aber zu sagen, dass die komplette Karriere von ihr darauf aufbaut wäre natürlich falsch. Ingrid Michaelson wurde sehr viel Talent in die Wiege gelegt. Die Songschreiberin begleitet sich zudem selbst auf der Gitarre oder dem Klavier. Mittlerweile ist sie auch eine gefragte Zulieferin für andere Künstler. Für Cheryl Cole schrieb sie an „Parachute“ mit, jenem Song, der in UK ein Top-10-Hit wurde und zudem zwei Nominierungen für die Brit Awards erhielt. Aus dem Küken der Indiegemeinde von einst ist längst ein schöner Popschwan geworden und mit „Lights Out“ soll nun die nächste Stufe der Karriereleiter erklommen werden.
In den USA ist die ambitionierte Dame auf dem besten Wege an den ganz großen Töpfen zu schnuppern. Ihr letztes Album – „Human Again“ – konnte immerhin die Top 5 entern und auch „Lights Out“ hat sich mittlerweile in diesen Sphären etabliert. Im Rest der Welt sieht das noch etwas verhaltener aus und mittlerweile ist Ingrid Michaelson, auch gerade in Europa, wieder etwas aus dem Fokus verschwunden. Dies soll sich nun mit „Lights Out“ ändern. Leider geht mit dieser Platte auch etwas die Eigenständigkeit flöten. Für die Aufnahmen in New York, Los Angeles und Nashville wurden gleich sechs Produzenten und zehn Co-Writer hinzugezogen. Man kennt das ja mit den vielen Köchen. Erfolg, der am Reißbrett geplant wird, ging in der Vergangenheit eben immer zu Lasten der künstlerischen Entfaltung. Glücklicherweise hat sich Ingrid Michaelson auch auf „Lights Out“ etwas von dem bewahrt, was sie in der Vergangenheit eben von den ganzen Pop-Mäuschen abgrenzte.
Mit „Home“ geht es ganz gefällig und geschmeidig los. „Girls Chase Boys“ ist danach aber die große Pop-Oper. Der Hit der Platte. Eine Hymne für den Sommer. Man muss allerdings aufpassen, denn die Nummer hat auch das Potenzial sehr schnell zu nerven. „Wonderful Unknown“ geht danach leider etwas unter, da das gute Stück ein bisschen dahinplätschert, dabei hat dieser leise Song durchaus das Potenzial sich längerfristig festzusetzen. „You Got Me“ ist wieder der Popwachmacher, der als Duett angelegt wurde. Passt zur sommerlichen Stimmung. „Warpath“ dürfte seine volle Schönheit gerade bei den Konzerten entfalten. Zwischen Soul, Gospel und natürlich Pop ist die Nummer eigentlich ein Brett, ist für die Platte aber etwas zu glatt poliert worden. Live wird das aber sicher noch etwas mit den Ecken und Kanten werden. „Handsome Hands“ könnte man durchaus als Filmmusik verwenden, es sage keiner, dass das Album nicht abwechslungsreich wäre.
„Time Machine“ wurde für die Radiostationen dieser Welt geschrieben. Anastacia hat auf solchen Popsongs ihre gesamte Karriere aufgebaut. „One Night Town“ besticht mit einer unwiderstehlichen Hookline und genau darum kann man sich auch diesen Track schnell überhören. „Open Hands“ steht Ingrid Michaelson wesentlich besser zu Gesicht. Schwelgerisch und verträumt knüpft sie mit diesem Song an die eigen Singer/Songwriter-Vergangenheit an. Überhaupt ist dies die stärkste Phase von „Lights Out“, denn auch „Ready To Lose“ brüllt einen nicht an, sondern schleicht sich auf ganz leisen Sohlen an. Wunderschön. Ganz dezent wird mit dem schwermütigen „Stick“ das Tempo wieder etwas verschärft. Der Refrain, der auf die ruhigen Strophen folgt, ist mit reichlich Opulenz und einem Schuss Pathos ausgestattet. „Afterlife“ widmet sich dann wieder voll und ganz der Popschiene. Es ist schade, dass ein so toller Song wie „Over You“ im hinteren Teil des Albums versteckt wird. Da ist sie wieder, die Geschichtenerzählerin, die mit einer wundervollen Instrumentierung ihre Songs mit viel künstlerischem Anspruch gestaltet. Selbiges gilt auch für das verträumte „Everyone Is Gonna Love Me Now“!
Fazit: Ingrid Michaelson geht mit ihrem fünften Album konsequent den Weg in Richtung Mainstream. Leider bleibt dabei manchmal die verhuschte Indiementalität auf der Strecke und dann ist „Lights Out“ nur ein weiteres Popalbum unter vielen anderen. Sie hat sich mit Sicherheit auch keinen Gefallen getan derart viele Produzenten und Co-Songwriter an diesem Album zu beteiligen. Vielleicht wird sich der Erfolg so einstellen, künstlerisch bleibt aber einiges von ihrer Außergewöhnlichkeit auf der Strecke. Da „Lights Out“ aber fast bis zum Anschlag gefüllt ist, gibt es sie noch, diese kleinen Perlen, für die man Ingrid Michaelson in der Vergangenheit so geliebt hat. So ganz kann sie eben doch nicht aus ihrer Haut und das ist verdammt gut zu wissen!
http://www.ingridmichaelson.com/
Text: Torsten Schlimbach