R.E.M.: By MTV (Blu-ray)
Rhino/Warner
VÖ: 26.06.2015
Wertung: 10/12
Tipp!
Die Box mit 6(!) DVDs von R.E.M., die letztes Jahr zum Weihnachtsgeschäft veröffentlicht wurde, muss man als Referenzbox und Schatztruhe bezeichnen, die Maßstäbe gesetzt hat. Und dies gilt nicht für den R.E.M.-Kosmos, sondern für alle ähnlich gelagerten Veröffentlichungen anderer Bands. Jetzt hat man sich dazu entschieden die wundervolle Dokumentation „By MTV“, die Filmemacher Alexander Young auf die Beine gestellt hat, auch als Einzel DVD anzubieten. Warum man nun diesen Schritt gewählt hat, erschließt sich nicht so ganz, da die Fans sowieso zu der Box gegriffen haben und für alle anderen dürfte das Material recht uninteressant sein - obwohl dies eine herausragende Dokumentation ist. Allerdings wird das Teil auch als Blu-ray angeboten und somit wird der geneigte Anhänger fast dazu genötigt sich diese Dokumentation erneut zu kaufen!
Wer neues Material erwartet, der wird mitunter enttäuscht in die Röhre gucken, denn „By MTV“ als Einzel-DVD oder Blu-ray hat in dieser Hinsicht nichts zu bieten. Es gibt einen Trailer zur Box, die schon hinlänglich bekannten „Deleted Scenes“ und als Bonus werden einem da dann noch ein paar Liveauftritte, die aber auch auf der Box enthalten sind, kredenzt (“Find The River”– Live in Köln, 12. Mai 2001, “Imitation OfLife” – Rock Am Ring, 3. Juni 2005, “Bad Day” – LiveAt Rolling Stone, Mailand, 18. März 2008, “Man-Sized Wreath” – Live auf dem Oxygen Festival, 12.Juli 2008. “(Don’t Go Back To) Rockville” – R. E.M. Live in Athen,Griechenland, 5. October 2008). Wer also mit der Bildqualität der Box gut leben kann, muss jetzt nicht gleich den nächsten Laden seines Vertrauens aufsuchen, um „By MTV“ für den Schrein zu kaufen.
Von der Blu-ray darf man jetzt natürlich keine Wunderdinge erwarten. Es dürfte auf der Hand liegen, dass das – zum Teil sehr alte – Material mit den Standards, die man mittlerweile zur Verfügung hat, nicht mithalten kann. Trotzdem hat man hier doch eine ganze Menge herausholen können und ja, die Blu-ray stellt im Hinblick auf die Bildqualität tatsächlich eine Verbesserung zur DVD der Box dar. Die Detailschärfe ist hin und wieder sehr beeindruckend und bisweilen wirkt das überraschend klar. Natürlich muss man auch ab und an ein leichtes Graining hinnehmen. Dies verleiht der Dokumentation aber eher noch mehr Charakter, da man so nicht nur durch die Optik der Bandmitglieder daran erinnert wird, dass das Material teilweise Jahrzehnte alt ist. Insgesamt macht das einen guten Eindruck und besonders „Find The River“ vom 12. Mai 2001 in Köln gewinnt unglaublich an bildlicher Ausdrucksstärke.
Alexander Young hat sich für „By MTV“ der Mammutaufgabe angenommen endlose Stunden an Material zu sichten. Diese Dokumentation wurde ja nicht umsonst „By MTV“ benannt, denn der Sender – und alle beteiligten Ableger – begleiteten R.E.M. von den Anfängen bis zum Ende. Da ist eine ganze Menge zusammengekommen. Young hat daraus einen Film in Kinolänge gebastelt, der auch bei erneuter Sichtung nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. Dichter am Geschehen kann man als Fan nicht dran sein. Wie im Zeitraffer kann man das alles noch mal nacherleben und zwar ohne, dass das irgendwie gehetzt wirkt. Der Flow dieser Dokumentation ist immer noch beeindruckend. Dabei hat Young darauf verzichtet die verwendeten Interviews chronologisch zu zeigen. Immer dann wenn es passt, kann auch ein früher Kommentar eines Bandmitglieds die gerade aktuellen Geschehnisse untermalen. Auch daraus ergibt sich ein ganz besonderer Reiz.
Hier wird im Grunde die gesamte R.E.M.-Geschichte erzählt. Viele Interviewsequenzen untermauern dies nachhaltig. Da erzählt Bill Berry, dass er Mike Mills, den er von der High School kannte, zu Beginn überhaupt nicht leiden konnte und die erste Probe eigentlich sofort wieder verlassen hätte, wenn sein Schlagzeug nicht so schwer gewesen wäre. Auch die schwierige Zeit, als er während eines Konzerts in der Schweiz eine Hirnblutung durch ein geplatztes Aneurysma erlitt, wird thematisiert. Sein Ausstieg aus der Band wird noch mal sehr würdevoll beleuchtet. Überhaupt ist dies eine schöne Zeitreise durch die Bandgeschichte. Auch die schwierigen Phasen kommen dabei immer wieder zur Sprache, egal ob es der fette Plattendeal mit Warner war, die schwierigen Aufnahmen in London, der Aufstieg zur Megaband und als letztlich alles wieder eine Nummer kleiner wurde. Viele Weggefährten sieht man hier: Kurt Cobain, Eddie Vedder, Courtney Love oder Larry und Adam von U2. Kritisch, lustig, sympathisch und gut – so kann man diese Dokumentation zusammenfassen! Sehr feines Teil!
Fazit: „By MTV“ ist eine herausragende Dokumentation von Alexander Young über R.E.M.. Er hat die vielen, vielen Stunden Material, die von MTV oder den angehörigen Sendern über die Jahrzehnte aufgezeichnet wurden, zu einer aufregenden Biografie zusammengefasst und die Karriere der vier Musiker – mit allen Höhen und Tiefen – wunderbar auf eine kompakte Spielfilmlänge gebracht. Das Bild der Blu-ray stellt da schon eine Verbesserung gegenüber der Version, die auf der 6er Box enthalten ist, dar. Trotzdem stellt sich die Frage, wer denn mit dieser Veröffentlichung angesprochen werden soll! Fans haben das ja sowieso schon alles mit der Box geliefert bekommen und alle anderen werden sich wohl kaum als erstes mit einer Doku über R.E.M. befassen. Inhaltlich ist „By MTV“ natürlich über jeden Zweifel erhaben.
Text: Torsten Schlimbach
R.E.M.: REMTV (6 DVDs)
Rhino/Warner
VÖ: 28.11.2014
Wertung: 12/12
Tipp!
Normalerweise endet eine Rezension mit einem Fazit oder bestenfalls einer Empfehlung, aber im Falle dieser 6-DVD-Box ist alles etwas anders. Mit „REMTV“ werden Maßstäbe gesetzt. Dies ist das Referenzwerk, an dem sich zukünftige Veröffentlichungen anderer Künstler messen lassen müssen. R.E.M. und MTV legen hier nicht weniger als das ultimative visuelle Set vor. In dieser Form würde man sich das von jeder Band wünschen. Die Hardcorefans werden das eine oder andere Material natürlich schon im Schrein stehen haben, aber selbst für die Komplettisten und Sammler werden noch jede Menge neue Anreize geschaffen. Besser geht es nicht!
Im Grunde sollte sich die Generation Ü40 den eigenen Nachwuchs schnappen um sich dann gemeinsam durch dieses Set zu wühlen. Natürlich wird hier in erster Linie die Geschichte von R.E.M. erzählt, aber eben auch die des Musikfernsehens. Dies findet in dieser Form heutzutage ja nicht mehr statt. MTV war für die damalige Generation von enormer Bedeutung und hat – wenn man so will – auch einen Bildungsauftrag erfüllt. Drei Musikvideos, Werbung, Drei Musikvideos. Wer sich zu der oben erwähnten Generation zählt, wird das mit Sicherheit kennen. Nach der Schule flog der Rucksack in die Ecke und dann wurde zunächst mal geguckt was MTV zu bieten hat. Mit offenem Mund konnte man – gerade in den 90ern – jede Menge neue Musik entdecken. Musikvideos wurden zu einer eigenen Kunstform ausgerufen. Dazu gab es unzählige Band- und Künstler-„Weekends“, die eben ganz im Zeichen der ausgewählten Musiker standen. Award-Shows waren noch wichtig und aufregend. Hinzu kamen spezielle Formate, die sich auch den einzelnen Nischen widmeten. Dazu noch Ray Cokes und Steve Blame – kurzum es war eine aufregende Zeit für das Musikgeschäft und das Musikfernsehen hat letztmalig Maßstäbe gesetzt. Warum das heute nicht mehr funktioniert? Schwer zu sagen, aber durch das Internet ist die Aufmerksamkeitsspanne eben auch extrem klein geworden und in fünf Minuten wird sich heute durch 10 Videos geklickt.
Was das alles mit R.E.M. zu tun hat? Die Band aus Athens hat ihren Beitrag zum Musikfernsehen geliefert und die Geschichte von R.E.M. ist auch fest mit der von MTV verbunden. Jetzt, da dieses kongeniale Set vorliegt, fragt man sich, warum es das nicht von und über jede Band gibt! R.E.M. und MTV sind aber auch beide zusammen groß geworden und miteinander gewachsen. Heute gibt es – mehr oder weniger – beide nicht mehr. Wie kam es jetzt zu dieser wundervollen Zusammenstellung? Den entscheidenden Anstoß gab es wohl aus dem Bandumfeld und vom langjährigen R.E.M.-Manager Bertis Downs („Uns wurde bewusst, dass eine Unmenge von Material mit den absoluten Karrierehöhepunkten von R.E.M. ungenutzt in irgendwelchen MTV-Archiven in London und New York verstaubt“). Man begab sich also auf die Suche und durchwühlte die Archive. Und weil man schon das MTV-Material sichtete, wurde da auch noch auf VH1, Comedy Central und Nickelodeon ausgeweitet. Das Ergebnis macht einen sprachlos und Fans dürften da ein paar Tränchen der Freude die Wangen runterrinnen.
Hat man sich alle DVDs angeguckt, dann steht der Zähler auf 14(!) Stunden und 51 Minuten. Keine Sekunde ist da verschenkt oder zu viel. Es ist wie bei diesen genialen Serien: hat man einmal angefangen, dann kann man nicht mehr aufhören! Die Technik-Nerds dieser Tage werden sich an der einen oder anderen Stelle über die Qualität beschweren. NTSC und PCM Stereo können sicher nicht mit dem heutigen Blu-ray-Standard mithalten. Zumindest stellt sich die Frage, warum man gegenüber PAL auf das schlechtere NTSC-Format gesetzt hat, klar. Gerade der „Unplugged“ Auftritt von 1991 und die dazugehörigen Outtakes sind vom Bild her teilweise katastrophal. Da gibt es einige Schlieren und Graining wohin das Auge blickt. Hochskalieren ist an dieser Stelle unbedingt zu empfehlen und Leute mit größeren Bildschirmen werden da ihre liebe Mühe und Not haben. Wesentlich besser ist da das Material, welches knappe 10 Jahre später noch mal unter „Unplugged“ vorgestellt wurde. Auch hier gibt es satte sieben Outtakes. Nie gesehenes Material wird da wie ein kleiner Schatz gehoben.
Die erste DVD befasst sich also mit den Live-Auftritten, bei denen der Stecker gezogen wurde. Unterschiedlicher könnten die Auftritte nicht sein. 1991 ist da noch eine Band, die sich visuell sehr introvertiert und zurückgenommen gibt. R.E.M. sind musikalisch längst ganz oben angekommen, Optik und Darstellung passen aber noch nicht dazu. Dafür haben Songs wie „Radio Song“, „Low“, „Belong“ und natürlich „Losing My Religion“ unglaublich viel Seele. Die Coverversion von „Love Is All Around“ geht einem zu Herzen und hat nichts mit dem Pophit von Wet Wet Wet zu tun. Ganz anders war es im Jahr 2001. In jeglicher Hinsicht war das eine bunte Angelegenheit und R.E.M. saßen auch nicht mehr wie scheue Rehlein auf ihren Stühlen. Hier sieht man Stars, die sich ihrer Rolle durchaus bewusst sind und die sich auch so geben und kleiden. Die gespielten Songs haben deshalb aber nicht weniger Seele und „All The Way To Reno (You´re Gonna Be A Star)“, „Daysleeper“, „Imitation Of Life“, „Finde The River“ oder „Sad Professor“ sind immer wieder für eine Gänsehaut gut. Das „MTV Unplugged“- Format war einfach wie gemalt für R.E.M. und die Songs der Band gewinnen noch mal an Dringlichkeit!
Die zweite DVD ist durch die ganz frühen Aufnahmen ein ganz großer Höhepunkt dieser an Höhepunkten nicht armen Veröffentlichung! „The Cutting Edge“ datiert von 1984, „Livewire“ ist sogar aus dem Jahre 83! Erstgenanntes ist gar eine kleine Doku dieser frühen Tage. Man sieht die blutjunge Band im Proberaum. Dazu gibt es einige O-Töne von Mike Mills und Peter Buck, die ihre Begeisterung für diese Band und die Musik mit viel Enthusiasmus zum Ausdruck bringen. Michael Stipe versteckt sich bei diesen frühen Aufnahmen noch hinter vielen und langen Haaren und seiner Sonnenbrille. Dem Zuschauer wird hier ein Einblick in den Arbeits- und Entwicklungsprozess der Band gewährt, der absolut erhellend ist. Das Bild ist in Anbetracht des Alters übrigens überraschend stark! Der Auftritt bei „Livewire“ mit den Songs „So. Central Rain (I´m Sorry)“ und „Carnival Of Sorts (Box Cars)“ darf durchaus als skurril bezeichnet werden. Vor der kleinen Bühne tanzt das Publikum im typischen 80ies Style, inklusive Schweißbänder um Kopf und Arme. Michael Stipe wähnt sich vermutlich auch im falschen Film und er schaut aus, als hätte man ihm das Pausenbrot geklaut. Das Bild kann auch hier überzeugen!
Als weiterer Höhepunkt dieser DVD erweist sich der Auftritt bei den Video Music Awards 1993 oder besser gesagt der Übergang von „Everybody Hurts“ zu „Drive“. Hier kann man auch wunderbar nachvollziehen, dass R.E.M. eine fantastische Liveband waren. Während sie in dem einem Moment noch ganz ruhig agieren, zuckt Stipe schon im nächsten Augenblick über die Bühne als hätte er in eine Steckdose gegriffen. Musikalisch wurde die Umsetzung auf den Punkt arrangiert – sensationell! Vergleicht man diesen Performance noch mit den R.E.M. zwei Jahre früher, dann scheinen auch da Welten dazwischen zu liegen. Die größte Wandlung dürfte da Mike Mills durchgemacht haben. Eddie Vedder fand dazu übrigens sehr schöne Worte als R.E.M. in die Rock And Roll Hall Of Fame eingeführt wurden. Das ruppige „The Wake Up Bomb“ von den Video Music Awards von 95 ist nicht minder grandios wie er Auftritt zwei Jahre zuvor und zeigt die Band von ihrer rockigen Seite.
Klasse waren auch immer die VH1 Storytellers-Geschichten. Das Bild ist mal S/W und meist grobkörnig, so wie es bei diesem Format oftmals der Fall war und was ein gern eingesetztes Stilmittel war. R.E.M. liefern hier eine ganz tolle, zurückgenommene Performance ab. Mike Mills kann hier auch mal deutlich herausstellen, dass er an den Tasten immer einen ganz wichtigen Beitrag für R.E.M. abgeliefert hat. Michael Stipe erzählt viel zu den Songs und dies auf äußerst sympathische Art und Weise. Da wird viel gelacht und das Ganze wird dann auch mal mit Geschichten über Zahnarztbesuche und der Bedeutung von Elvis aufgelockert. Eine ganz wunderbare Sendung war dies und wenn man sieht, wie Michael Stipe bei „Man On The Moon“ die Zuschauer anstrahlte, dann weiß man, dass da alles zusammenpasste. Und wer immer behauptet, dass Stipe zu Beginn der 90er schüchtern und introvertiert war, guckt sich bitte „Losing My Religion“ vom MTV 10th Anniversary Special an. Das Bild ist zwar nicht sonderlich gut, aber die gelöste Stimmung kommt trotzdem sehr gut rüber.
Geradezu magisch ist „E-Bow The Letter“ von „Uplink At Bowery Ballroom“. Patti Smith entert die kleine Bühne und singt die Nummer zusammen mit Michael Stipe. Der Sänger stellt da auch noch mal die Bedeutung dieser Ikone heraus. Der intime Rahmen gibt dieser Veranstaltung dann noch mal zusätzlich eine ganz intime Note. Überhaupt führt einem diese Veröffentlichung hier noch mal vor Augen, dass die Band sehr oft (für MTV) auf kleinen Bühnen und vor sehr wenig Zuschauern gespielt hat. Auf der vierten DVD gibt es einen ganz wundervollen Auftritt in London. Und wer immer meint, dass die Band unnahbar war, der guckt sich das bitte hier mal an. Locker, gelöst und sympathisch. Da geht Michael Stipe zwischen „Losing My Religion“ und „Daysleeper“ sogar auf Zwischenrufe aus dem Publikum ein. Bei „What´s The Frequency, Kenneth?“ und „It´s The End Of The World As We Know It“ gibt es dann kein Halten mehr. Bisweilen wurde das ganz toll gefilmt und zusammengeschnitten.
Aber nun noch mal zurück zur dritten DVD. Der Auftritt vom 12.05.2001 aus Köln gehört wahrscheinlich mit zum Besten was die Band jemals abgeliefert hat. An dem Tag stimmte aber auch alles. Angefangen beim Wetter und den sommerlichen Temperaturen, über das Ambiente und die magische und feierliche Atmosphäre. Wer damals dabei war wird dieses Konzert auf ewig in Erinnerung behalten. Wer kann einer Band schon beim öffentlichen Soundcheck beiwohnen (nicht auf der DVD enthalten)? Eines der besten Konzerte, die man in seinem Leben gesehen hat. Und keiner tanzt so schön mit seiner Gitarre wie Peter Buck – höchstens noch Neil Young. Als Outtakes gibt es dann auch noch die Songs, die damals nicht gezeigt wurden. Schon alleine aufgrund dieser DVD lohnt sich die Anschaffung dieser Box! Ehrlich!
Auf dem vierten Silberling gibt es mit „MTV Sonic Milan“ aus dem Jahre 2001 noch einen weiteren Auftritt in kleinem Rahmen. Das Bild ist zwar teilweise verschwommen und milchig und doch spült auch dieses Konzert wahre Magie in das Wohnzimmer. „Losing My Religion“ fungiert auch da als Opener, mit „Man On The Moon“ dürfte das der meistgespielte Track auf dieser Box sein. R.E.M. konnten aber auch immer große Menschenmassen begeistern. Dies kann man nun anhand des Konzerts bei Rock am Ring überprüfen. Große Bühne, großer Sound, große Gesten. Stipe ist dazu mit einer Kriegsbemalung im Gesicht ausgestattet, deren Sinn sich nicht erschließen muss. Zwischen „What´s The Frequency, Kennth?“ - einem weiteren oft vertretenen Song auf dieser Box – und „Imitation Of Life“, „Bad Day“, „Drive“ und „Man On The Moon“ liegen ein Anzug, ein Streifenhemd und ein nackter Oberkörper – zumindest bei Stipe. Sämtliche Rock and Roll-Klischees beherrschte die Band eben auch. RAR liegt komplett vor. Nur Glück mit dem Wetter hatten sie nicht.
Huch, was ist denn bei „Live At Rolling Stone, Milan“ los? Handys machen Fotos? Ein untrügliches Zeichen, dass es sich hierbei um relativ aktuelle Aufnahmen handelt. So ist es dann auch! Die fünfte DVD vereinigt ausschließlich Material aus dem Jahre 2008. Milan ist teilweise in S/W gehalten. Da es da auch Songmaterial aus der Spätphase zu hören gibt, ist das zu Beginn eine vergleichsweise raue und rockige Angelegenheit. Das Bild ist entsprechend gut, wenn auch der Schnitt etwas zu hektisch ist. Da wurden aber auch verdammt viele Kameras eingesetzt. „Live At Oxegen Festival“ spielt sich dann erneut vor einer riesigen Menschenmenge ab. Kurz, knackig und rockig. Ähnlich wie beim Freikonzert in Köln vor dem Dom, fand auch das Konzert in Athen vor malerischer Kulisse statt. Michael Stipe ist in Hochform und liefert das ganze Rampensau-Repertoire ab. Sehr gutes Bild und Ton hinterlassen einen bleibenden Eindruck dieser Bandspätphase - „Greatest Hits“-Setlist inklusive! Und die ganzen Kameras, die Stipe bei „The One I Love“ verfolgen als er die erste Zuschauerreihe entert, vermitteln sogar ein Gefühl der Aktualität. Unschöne Entwicklung.
Der heimliche Höhepunkt des gesamten Sets ist allerdings die sechste DVD mit der bisher unveröffentlichten Dokumentation „R.E.M. By MTV“. Hier wurde ganz viel Material gesichtet und zu einer sehr guten Abhandlung über die Band R.E.M. zusammengeschnitten. Da wird im Grunde die gesamte Geschichte erzählt. Viele Interviewsequenzen untermauern dies nachhaltig. Da erzählt Bill Berry, dass er Mike Mills, den er von der High School kannte, zu Beginn überhaupt nicht leiden konnte und die erste Probe eigentlich sofort wieder verlassen hätte, wenn sein Schlagzeug nicht so schwer gewesen wäre. Auch die schwierige Zeit, als er während eines Konzerts in der Schweiz eine Hirnblutung durch ein geplatztes Aneurysma erlitt, wird thematisiert. Sein Ausstieg aus der Band wird noch mal sehr würdevoll beleuchtet. Überhaupt ist dies eine schöne Zeitreise durch die Bandgeschichte. Auch die schwierigen Phasen kommen dabei immer wieder zur Sprache, egal ob es der fette Plattendeal mit Warner war, die schwierigen Aufnahmen in London, der Aufstieg zur Megaband und als letztlich alles wieder eine Nummer kleiner wurde. Viele Weggefährten sieht man hier: Kurt Cobain, Eddie Vedder, Courtney Love oder Larry und Adam von U2. Kritisch, lustig, sympathisch und gut – so kann man diese Dokumentation zusammenfassen! Sehr feines Teil!
Fazit: Die 14 Stunden und 51 Minuten wären also geschafft. Es bleibt die Erkenntnis, dass man es hier mit der besten DVD-Box einer Band seit Jahren zu tun hat. Es gibt nicht viele vergleichbare Produkte auf dem Markt. Die Geschichte von R.E.M. wird mit „REMTV“ ganz wundervoll nacherzählt. Viele Konzerte – große wie kleine -, Awardauftritte, Interviews und dokumentarische Aufnahmen erwecken R.E.M. für diese fast 15 Stunden wieder zum Leben. Es ist auch gleichzeitig die Geschichte des Musikfernsehens und einer ganzen Generation, die R.E.M. eben über das Medium Musikfernsehen begleitet und glücklich gemacht hat. Diese Box gehört nicht nur in jeden R.E.M.-Fanschrein, sondern in jede vernünftige Musiksammlung – trotz teilweiser suboptimaler Bildqualität. „REMTV“ hat Herz und Seele. An alle anderen Bands: bitte nachlegen!
Text: Torsten Schlimbach