Manic Street Preachers: Know Your Enemy (2CD)

Manic Street Preachers: Know Your Enemy (2CD)

Sony

VÖ: 09.09.2022

 

Wertung: 9/12

 

Mit „This Is My Truth Tell Me Yours“ schufen die Manic Street Preachers ihr Meisterwerk. Auf dem Album fiel das Fehlen von Gitarrist Richey James erstmals nicht mehr ins Gewicht und auch nicht mehr auf. Die Band machte endlich wieder durch ihre Musik von sich Reden. Das Album ging bekanntlich durch die Decke und war in aller Munde. Für den Nachfolger war dies natürlich eine immense Bürde. Das sechste Album und das dritte als Trio war dann auch gänzlich anders als der Vorgänger. Eigentlich waren sogar zwei Alben geplant. Der Band schwebte eine ruhige und eine lärmende Platte vor. Der Gedanke wurde wieder verworfen, „Know Your Enemy“ aber in zwei Hälften unterteilt.

 

Nicky Wire fand in den Archiven die Originalbänder von „Solidarity“ und „Door To The River“, die er während der Aufnahmen im Studio fertig gestellt hatte. Wire war gerade dabei das Material für die Jubiläumsedition von „Know Your Enemy“ zusammenzustellen. Wire und Bradfield sprachen dann darüber, die ursprüngliche Version des Longsplayers zu veröffentlichen. Bradfield stimmte letztlich zu, allerdings war seine Bedingung, dass Dave Eringa die Songs remixen sollte. Die neuen Mixe würden den beiden Alben bessere Struktur verleihen. Die „Solidarity“-Songs – die eine Seite des Albums - sollten von überflüssigen Studioeffekten und digitalem Rauschen befreit werden und aus den „Door To The River“-Tracks – der anderen Seite - sollte die unnötige Orchestrierung und andere musikalische Effekte entfernt werden. Das Ergebnis dazu liegt nun vor und kann anhand der Jubiläumsedition überprüft werden. In den Liner Notes ist nun vom „Director´s Cut“ die Rede.

 

„Director´s Cut“ ist ja immer so eine Sache. Man kann Dinge ja auch verschlimmbessern. Ist das hier der Fall? Definitiv nicht! „Found That Soul“ rumpelt jedenfalls jetzt so roh durch die Gegend, dass selbst Iggy und die Stooges anerkennend genickt hätten. Die Nebengeräusche sind weg. Abgesehen davon ist das musikalisch natürlich die komplette Abkehr zum Vorgänger. „My Guernica“ franst zum Schluss immer noch herrlich in das Lärmende ab. Die Band kann eben auch ordentlich rocken und nicht nur im Bombast schwelgen. „Freedom Of Speech Won´t Feed My Children“ ist eine pumpende Rockhymne die mit Feedback und sehr viel Düsternis zunächst ängstigt, aber natürlich schwingt sich Bradfield auch noch mal in versöhnliche Töne auf. Lässige Rocknummer.

 

Politisch waren die Manic Street Preachers ja sowieso immer unterwegs. Bei „Masses Against The Classes“ stimmt dann aber auch die aufwühlende und mitreißende Musik dazu. Bradfield plärrt sich die Stimmbänder wund. „Dead Martyrs“ dröhnt zum Schluss ordentlich, aber vermutlich hatte die Band nach dem Bombast des Vorgängers auch einfach mal wieder Bock drauf. Und ja, „Miss Europa Disco Dancer“ klingt so, wie es der Titel vermuten lässt. Können die Herren also auch.

 

Schönklang ist aber auch auf „Know Your Enemy“ angesagt. Alleine der Opener „The Year Of Purification“ ist in dieser Hinsicht ganz groß. Der Refrain und die Melodie sind grandios. Bei „So Why So Sad“ sind die Beach Boys allgegenwärtig und haben Pate gestanden. Sehr Schön. Der Track „Door To The River“ kommt auch ganz gefällig daher. Hin und wieder fehlt es bei den ruhigeren Songs etwas an Spannung. Die schwebende Gitarre bei „Rosebud“ sorgt allerdings dann doch wieder für einige Aha-Momente. Melodien können die Herren ja sowieso. „His Last Painting“ hüllt einen in diesen Schönklang wie eine wärmende Decke ein. Gut, dass es diese Band immer noch gibt!

 

Fazit: „Know Your Enemy“ von den Manic Street Preachers erstrahlt noch mal in ganz neuem Glanz. Die ursprüngliche Idee der beiden Alben wurde wiederaufgenommen. Der überflüssige Ballast wurde hingegen über Bord geschmissen, alles schön entschlackt, gesäubert und wieder zusammengesetzt. Das macht Sinn, das macht Spaß.  So machen dann auch Jubiläumseditions sehr viel Freude und sind mehr als nur Geldmacherei. Tolle Umsetzung!

 

https://www.manicstreetpreachers.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Manic Street Preachers: Send Away The Tigers (10 Year Collectors Edition)

Manic Street Preachers: Send Away The Tigers (10 Year Collectors Edition)

Sony

VÖ: 12.05.2017

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Eigentlich ist es ja nicht die gängige Praxis, dass nach zehn Jahren schon eine Jubiläumsedition eines Albums veröffentlicht wird. „Send Away The Tigers“ der Manic Street Preachers hat jetzt auch nicht unbedingt die ganz großen Spuren im Musikgeschichtsbuch hinterlassen. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass nun vom besagten Album eine „10 Year Collectors Edition“ erscheint. Dies dürfte die Wartezeit auf den Nachfolger von „Futurology“ verkürzen, an dem angeblich gearbeitet wird. Mittlerweile hat das Werk ja auch schon wieder drei Jahre auf dem Buckel. Die neuerliche Veröffentlichung von „Send Away The Tigers“ wird aber nicht nur einfach so vom Label auf den Markt geschmissen, sondern trifft durchaus auf sehr viel Wohlwollen der Band. Nicky Wire hat beispielsweise handgeschriebene Lyrics und Bilder aus seinem persönlichen Archiv beigesteuert.

 

Die Aufmachung ist erstklassig und damit verdient sich die Collectors Edition einen Platz ganz vorne im Schrein. Das Buchformat ist sehr hochwertig ausgefallen. Optisch ist das ein echter Hingucker. Inhaltlich kann das aber auch überzeugen. Alle notwendigen Informationen finden sich im Booklet wieder. Die drei Scheiben werden jeweils in einem Schubfach sicher aufbewahrt. Auch diese überzeugen mit sehr viel Material aus dieser Ära und so wird „Send Away The Tigers“ aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchtet. Die original Songs wurden digital optimiert. Dazu gesellen sich einige Demos und auf einer zweiten CD finden sich die B-Seiten sowie einige Raritäten wieder. Die DVD hat dann den kompletten Glastonbury-Auftritt aus dem Jahre 2007 zu bieten. Promovideos sowie seltene und unveröffentlichte Probenmitschnitte runden das sehr schön ab.

 

Das Album selber hat sich erstaunlich gut gehalten. Vielleicht hat man der Scheibe vor zehn Jahren auch nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet. Vieles auf dem Album kann man mittlerweile sogar als zeitlos bezeichnen. Hymnen wohin man auch hört. Bombast reicht dem Punk die Hand. Das war bei der Band ja schon immer so. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Dazu werden Ohrwurmmelodien gereicht, für die andere Musiker Haus und Hof verkaufen würden.

 

Die Single „Your Love Is Not Enough“ mit Nina Persson von den Cardigans ist immer noch großartig. Der Titelsong - „Send Away The Tigers“ - lässt endlich die Gitarren wieder jubilieren. Es rockt. James Dean Bradfield singt angriffslustig, Sean Moore lässt die Drums scheppern und Nicky Wire hält den ganzen Laden zusammen. „Welcome To The Dead Zone“ ist gesanglich sehr variabel und lässt auch musikalisch so manche Feinheit auf den Hörer los. Ein großartiger Song, mit sehr vielen Reminiszenzen an die vergangenen Dekaden. „Indian Summer“ wurde damals ebenfalls als Single veröffentlicht. Wer den rockigen Ohrwurm hört, weiß auch wieder warum. „The Second Great Depression“ ist allerdings immer noch recht nervig.

 

Die Band war stets politisch und mit dem rotzigen „Rendition“ geht es dann auch in diese Richtung. „Autumnsong“ fängt an und hört auf, als hätte Slash mal eben mit im Studio gestanden. Mittendrin gibt es auch noch ein Solo, als wäre das jetzt eine Metalband. Kann man mal machen. „I´m Just A Patsy“ kommt straight rockend auf den Punkt und mit „Imperial Bodybags“ wird es dann wieder politisch. Musikalisch geht das sogar als Punkrock über die Ziellinie. „Winterlovers“ ist nett, während „Working Class Hero“ tatsächlich im Maniacs-Style hinhaut. Diese Interpretation hätte vielleicht sogar Lennon gefallen.

 

Danach widmet man sich den Demos. „Send Away The Tigers“ lässt schon die großartige Ohrwurmmelodie erkennen, während „Underdogs“ knietief im Punk steht. Das macht Spaß. „Your Love Is Not Enough“ - hier als 60´s Jangle bezeichnet – ist unfertig und ohne Nina Persson – trotzdem sehr charmant. „Indian Summer“ rauscht und leiert – eine Aufnahme auf Kassette von Bradfield. Der Text ist auch jenseits von fertig. Schön, dass den Fans die Möglichkeit gegeben wird, an der Entstehung und Entwicklung teilzuhaben. Dies gilt auch für „Rendition“ und „I´m Just A Patsy“, ebenfalls von Kassette. Der Gesang von Bradfield ist auch alles andere als ausgearbeitet. „Autumnsong“, „Imperial Bodybags“ und „Winterlovers“, alles Studio-Demos, sind dagegen fast fertig - die Produktion fehlt noch. Dafür scheppert das Schlagzeug sehr schön.

 

Die zweite CD, die dieser Edition beiliegt, ist nicht minder interessant. Das sollen B-Seiten und Raritäten sein? Danach würden sich andere Bands die Finger lecken. „Lady Lazarus“ besticht beispielsweise mit einem 60ies Vibe, wie es nur noch ganz wenige Bands hinbekommen. Bei dieser hier klingt das nicht erzwungen sondern besticht mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Oder nehmen wir den Opener „Leviathan“. Das Ding rockt und scheppert. „Umbrella“ ist eine Coverversion des Rihanna-Hits. Die Nummer haben die Manic Street Preachers komplett durch den Fleischwolf gedreht, vom ganzen Popballast befreit und krachend neu aufgenommen. Ganz groß! Klar, das Instrumentalstück „You Know It´s Going To Hurt“ lässt einen vielleicht etwas ratlos zurück, ist aber nicht uninteressant. Die Single „Your Love Alone Is Not Enough“ liegt als reines Akustikstück, nur von Nina Persson interpretiert, vor. Zauberhaft. Und selbst jetzt im Mai funktioniert das rockige „Ghost Of Christmas“. „Fearless Punk Ballad“ gefällt mit seinen Stakkato-Riffs, ist aber auch gefühlvoll. Der „Autumnsong“ gefällt auch im Akustikgewand und die B-Seite „The Vorticists“ kann als Instrumentaltrack trotzdem mit seinem hymnenhaften Sound überzeugen. Es gibt unglaublich viel (Gutes) zu entdecken! Die zweite CD alleine rechtfertigt ja schon den Kauf!

Die DVD liefert wiederum bekanntes Material. Der Auftritt beim Glastonbury Festival 2007 ist in jeglicher Hinsicht mitreißend. Sean Moore wirkt immer etwas wie der schüchterne Junge, James Dean Bradfield wie der Junge, mit dem man sich gerne mal volllaufen lassen würde und Nicky Wire ist der Paradiesvogel der Band. Geschminkt, rote Haare und ein Poser vor dem Herrn. Er spielt mal auf den Knien, an die Boxen gelehnt oder hüpft wie ein Gummibällchen über die Bühne. Die Augen oftmals geschlossen. Das Set ist rockig und der Pop, der auf den Alben oftmals vorhanden ist, wird durch mehr Punk ersetzt. So hat die gute Nina Persson auch einige Mühe in ihrem Strickjäckchen ihrer Stimme bei „Your Love Alone Is Not Enough“ den nötigen Druck zu verleihen um gegen die Instrumente anzusingen. Charmant ist es trotzdem. „Your Stole The Sun Of My Heart“ wird von der beeindruckenden Kulisse natürlich dankbar aufgenommen und da wird dann auch jede Textzeile mitgesungen. „If You Tolerate This You Children Will Be Next“ ist leider immer noch aktuell. Natürlich war das auch 2007 schon ein Klassiker und wurde dementsprechend gefeiert. Wenn man sich mal anguckt, wie viel Leute/Kollegen links und rechts an der Seite der Bühne stehen, dann wird einem auch noch mal eindrucksvoll verdeutlicht, dass die Band auf der Insel einen ganz besonderen Ruf genießt. Dieses Konzert verdeutlicht nachhaltig, warum das so ist. Auch wenn nach „A Design For Life“ nach einer Stunde der Zauber schon wieder vorbei ist, ist das ein toller Konzertmitschnitt.

 

Als Extras gibt es die Videos zu den Songs des Albums. Von „Autumnsong“ hat man dann auch gleich noch das Alternativ-Video mit den beiden Damen des Covermotivs drauf gepackt. Das Video von „Your Love Alone Is Not Enough“ ist immer noch sehr stark. Wie sich Nina Persson und James Dean Bradfield auf den beiden Bühnen gegenüberstehen, hat einfach was. Fast noch besser ist das „Making Of“, denn hier gibt die Schwedin ein paar O-Töne zum Besten - während sie strickt! Wer noch Zweifel daran hatte, dass Nicky Wire das Sprachrohr der Band ist, kann sich die knapp 13 Minuten von „Track By Track“ mal angucken, denn da spricht fast ausschließlich Wire und die anderen beiden sitzen – mehr oder weniger – daneben. 35 Minuten Rehearsals aus Cardiff runden das sehr schön ab. Das hat zwar teilweise nur Bootlegcharakter-Qualität, ist aber immens aufschlussreich. Wann lässt einen eine Band schon so nahe an sich ran?

 

Fazit: „Send Away The Tigers“ war 2007 ein tolles Album. Das hat man damals vielleicht gar nicht so mitbekommen. Die Songs haben sich erstaunlich gut gehalten und sind zehn Jahre später immer noch frisch. Die „10 Year Collectos Edition“ ist von der Aufmachung über das digital optimiert Album, die Raritäten, Demos, B-Seiten bis zur DVD ein echtes Schmuckstück. Darf und sollte man sich gerne in die Sammlung stellen!

 

http://www.manicstreetpreachers.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Manic Street Preachers: Everything Must Go 20 (Remastered)

Manic Street Preachers: Everything Must Go 20 (Remastered)

Sony

VÖ: 20.05.2016

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Es gibt Jubiläen die sollten gefeiert werden. „Everything Must Go“, das Meisterwerk der Manic Street Preachers, wird 2016 20 Jahre alt. Bis heute ist es die bestverkaufte Platte der Waliser. Die Band ist sich über den Status des Albums durchaus im Klaren und aktuell damit auf Tour. Manche Künstler lehnen es ja ab, ein altes Werk in Gänze zu spielen. Die Manic Street Preachers machen eben viele Geburtspartys daraus und das ist auch gut so. „Everything Must Go“ dürfte ja sowieso für das Trio einen ganz besonderen Stellenwert haben, denn dies ist ja bekanntlich das erste Album ohne Richard James Edwards, der am 1. Februar 1995 spurlos verschwand und mittlerweile für vermutlich tot erklärt wurde. Die Band zahlt übrigens immer noch 25 % der Tantiemen auf ein Konto für Edwards ein. Beachtlich! Fünf Songs auf „Everything Must Go“ sind zudem mit den Texten von Edwards versehen.

 

Jetzt wird „Everything Must Go“ also noch mal neu aufgelegt. Für Fans dürfte die Box interessant sein, die es auch auf der bandeigenen Homepage in signierter Form zu erwerben gab. Natürlich ist das Teil längst ausverkauft. Die Doppel-CD feiert das Werk aber auch gebührend. „Everything Must Go“ läutete auf ganz sanfte Art und Weise die nächste Bandphase ein. Der Gitarrenrock von „The Holy Bible“ ist zwar nicht gänzlich verschwunden und doch ist dieses Werk wesentlich mehr dem Britpop zugetan. Selbstverständlich wurde die Geschichte remastered. Klanglich stellt das noch mal eine Verbesserung dar, weil das nun wesentlich klarer erscheint. Für das Remastering ist Tim Young verantwortlich. Hier wird auch die Komprimierung des Remastering der 10th Anniversary Edition – ja ja, die gab es ja auch schon – wieder etwas angeglichen. Vor zehn Jahren war das Ergebnis nicht ganz so gut und die Transparenz ließ doch ein paar Wünsche offen. Lautstärke ist eben nicht alles. Das hat man nun verbessert!

 

Auf der zweiten CD gibt es einen Liveauftritt. „Live At Nynex“ wurde ja schon mal als „Everything Live“ auf VHS und DVD (in Japan) veröffentlicht. Aber eben nicht komplett. Wer die Box erwirbt, kriegt die Sause nun erstmals in Gänze auf DVD geboten. Die Doppel-CD hat immerhin die Audio-Version der legendären Show am Start. Für Fans ist das ja eine Art heiliger Gral - schön, dass dies nun endlich in guter Qualität das Licht der Welt erblickt! Man musste sich aber auch etwas einfallen lassen und ins Zeug legen, denn die erweiterte Ausgabe vor zehn Jahren hatte ja schon jede Menge überragendes Bonusmaterial am Start. Es gab da Livesongs, Demos, Remixe und Videos. Ein paar Aufnahmen von „Live At Nynex“ rundeten das Paket damals ab.

 

Das eigentliche Album ist mitunter zeitlos. Es ist nicht unbedingt ein Prototyp des Britpop der 90er. Natürlich ist der Glamrock bei den Manic Street Preachers immer irgendwie präsent. Trotzdem gibt es hier auch viele Elemente und Instrumente, die nicht direkt dem damaligen Zeitgeist entsprechen. Streicher jubilieren einem im Grunde überall entgegen. Hymnen wohin das Ohr auch hört. Die Produktion ist um einiges glatter als bei den Vorgängern ausgefallen und der Bombast schreit nach einem großen Halleluja. Das ist übrigens nicht als Kritik gemeint, nur eine Orientierung, was einen auf „Everything Must Go“ erwartet.

 

Breitwand-Sound und Harfen, konnte das gut gehen? Und wie! Die Manic Street Preachers schaffen nämlich hier einen Drahtseilakt und sie kommen dabei nie ins straucheln. Die Songs rocken teilweise nämlich immer noch recht amtlich. „Design For Life“ ist längst einer der Bandklassiker. Eine Hymne. Nie zuvor waren die Herren positiver gestimmt. Und natürlich lässt sich das auch immer noch herrlich mitgrölen. Es folgt mit „Kevin Carter“ ein ruppiger Song. Die Gitarren lärmen und das Schlagzeug scheppert als hätte man es mit einer Garagenband zu tun. Zusammengehalten vom Bass. Und dann diese sehnsuchtsvolle Trompete. Der Song über den Purlitzer Preisträger, der ein sterbendes Kind aus Ruanda fotografierte und sich später das Leben nahm, hätte nicht besser vertont werden können. „Enola/Alone“ fängt zwar mit einem schneidenden Gitarrenthema an, ist aber auch von einer Wehmut durchzogen, die schon ein Fingerzeig in Richtung zukünftige musikalische Großtaten der Band war.

 

„Everything Must Go“ - der Titel und die Geschichte der Band lassen da keinen Interpretationsspielraum. Man hat den Spagat geschafft das nicht zu kitschig zu gestalten. Das ruhige „Small Black Flowers That Grow In The Sky“ wird nicht nur von der Akustikgitarre getragen, sondern auch von einer Harfe! Einer Harfe! „Girl Who Wantet To Be God“ ist bombastisch, aber auf eine schöne Art auch luftig. „Removables“ sollte wohl eine Hommage an Nirvana sein, klingt aber auch nach den Pixies, was natürlich auf der Hand liegt. „Australia“ hat eine tolle Hookline und Melodie. Das Stück klingt nach Aufbruch. Wire wollte ja auch eigentlich dorthin auswandern nachdem Edwards verschwunden war. „Interiors“ und „Further Away“ sind unspektakulär, aber trotzdem sehr schön im Albumfluss verankert und natürlich hat „Further Away“ einen Refrain zu bieten, der die ganze Welt umarmt. „No Surface All Feeling“ dürfte sich noch mal mit den tragischen Geschehnissen befassen. Nicky Wire hat zwar mal betont, dass er das Stück viel früher geschrieben hat und doch sind die Anspielungen allzu offensichtlich.

 

Der Klang von „Live At Nynex“ ist nicht gerade mit heutigen Live-Veröffentlichungen zu vergleichen. Es gibt Bootlegs aus dem Jahre 2016 die klingen besser. Dafür kriegt man hier schon das komplette Livegefühl vermittelt und wie die Zuschauer beim Opener „Everything Must Go“ jede Textzeile mitsingen und -brüllen, ist schon aller Ehren wert. Mancher Song wird im Livegewand eine ganze Spur ruppiger gespielt - „Enola/Alone“ beispielsweise. Nicht alles ist ganz sauber („Removables“), dafür aber 100 % live. Man hört zudem, dass die Band unglaublich viel Spaß hat die Songs zu spielen. Das ältere Material wird gewohnt rockig und rotzig rausgehauen. Ist „Motown Junk“ nicht groß? Doch, ist es! Die Gitarre von „Motorcycle Emptiness“ rührt einen immer noch zu Tränen, die durch „No Surface All Feeling“ nicht gerade getrocknet werden – auch wenn man dazu durch die Bude hüpfen kann. „Raindrops Keep Falling On My Head“ ist eine ganz nette Interpretation des Klassikers und hat vor Ort sicher eine Menge strahlender Gesichter hervorgerufen. „Stay Beautiful“ rockt alles nieder – Punk von den Manic Street Preachers. Logisch, dass der Übersong „A Design For Life“ mit „You Love Us“ den Rausschmeißer markiert. Zum Schluss gibt es da aber keine Melancholie, sondern voll auf die Fresse. Lust For Life! Ein gutes Live-Dokument!

 

Fazit: „Everything Must Go“ von den Manic Street Preachers ist auch nach zwanzig Jahren immer noch ein verdammt gutes Album. Zeitlos gar. Die Band musste eine Tragödie verkraften, tat das aber mit sehr viel Würde und klasse Songmaterial. Das Remastering ist nun besser als noch vor zehn Jahren. Als Bonus gibt es die Live-CD „At Nynex“. Für Fans ein tolles Bonbon und alle anderen können sich davon überzeugen, dass dies eine tolle Live-Band ist.

 

http://everythingmustgo.manicstreetpreachers.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

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