Elvis Costello: Hey Clockface
Universal
VÖ: 30.10.2020
Wertung: 10/12
Tipp!
Elvis Costello veröffentlicht mit „Hey Clockface“ dieser Tage sein 33.(!) Album. Das ist schon eine beachtliche Anzahl und auf seinen Backkatalog kann der Mann durchaus sehr stolz sein. Die Aufnahmen zu seinem neusten Werk entstanden unter anderem in Paris, Helsinki und New York. In Paris brachte der Aufenthalt innerhalb von zwei Tagen neun Songs hervor, die nun auf diesem Werk zu hören sind. Costello selber findet, dass die Tracks der Helsinki-Session wesentlich düsterer ausgefallen sind.
Die ergiebigen Aufnahmen in Paris waren ganz besonders. Er sang live im Studio und führte von dort Regie. Gesprochen wurde, laut Costello, sehr wenig. Die Musiker reagierten sofort auf das, was Costello sang. Das Ensemble "Le Quintette Saint Germain", wie Costello es nennt, wurde von Steve Nieve (der Flügel, Klavier, Orgel, Mellotron und Melodica spielt), Mickaél Gasche an Trompete, Flügelhorn und Serpent, Pierre-François 'Titi' Dufour am Cello und Percussion, Drums und hohen Harmonien von Ajuq, gestellt. Der Rohrblattspieler Renaud-Gabriel Pion spielte Kontrabassklarinette, Bassklarinette, B-Klarinette, Tenorsaxophon, Bassflöte und Englischhorn. François Delabrière nahm dies alles in Paris auf.
In New York wurde das vom Komponisten, Arrangeur und Trompeter Michael Leonhart in Zusammenarbeit mit den Gitarristen Bill Frisell und Nels Cline produziert und von Costello "via Electrical Wire" textlich als auch gesanglich vervollständigt. Das Ergebnis als Gesamtes ist ziemlich beachtlich! Hey Clockface“ ist nämlich in allen erdenklichen Schattierungen ein ganz wilder Ritt! Das fängt mit „Revolution 49“ und den arabischen Klängen und dem Spoken Word-Beitrag von Costello an und ist mit dem Lärm von „No Flag“, einer Nummer, die sich in Punkgefilde vorwagt, noch lange nicht vorbei. Costello hat hier sämtliche Stile aufgenommen. „They´re Not Laughing At Me Now“ schleppt sich zwischen Chanson und Singer/Songwriter dahin.
Dann geht es erneut in eine gänzlich andere Richtung und das düstere „Newspaper Pane“ holt den Groove in das Album hinein. Eine ganz große Nummer! „I Do (Zula´s Song)“ klingt danach wie ein Trauermarsch aus Nashville. Ebenfalls eine Sternstunde! „We Are All Cowards Now“ hat Soul, groovt aber nochmnals ganz grandios.
„Hey Clockface/How Can You Face Me“ holt den Hörer musikalisch nach New Orleans ab. Louis Armstrong und der Jazz und Swing kommen einem da in den Sinn. Es schließt sich mit „The Whirlwind“ eine tieftraurige Ballade an. Was wir ja noch nicht hatten, ist HipHop - den gibt es aber mit „Hetty O´Hara Confidential“. Mit „The Last Confession Of Vivian Whip“ wagt sich Costello anschließend dezent in die Klassik-Richtung. Eine schöne Klavieballade. „What Is It That I Need That I Don´t Already Have“ versucht es von der Attitüde mal in der Musical-Ecke, bevor „Radio Is Everything“ eine astreine Spoken Word-Nummer ist. „I Can´t Say Her Name“ ist nochmal in den Südstaaten angesiedelt. „Byline“ ist ganz zum Schluss das ganz große melancholische Balladenbesteck – ein wundervoller Albumabschluss!
Fazit: Respekt, Herr Costello! Wer nach all den Jahren und dieser Vielzahl an Alben noch so ein Ding raushaut wie „Hey Clockface“, gehört zu den ganz, ganz Großen! Derart viele Stile hat man selten so zusammengewürfelt vernommen – es passt aber alles wunderbar zusammen. Musikalisch ist das herausragend. Kunst, die aber keineswegs künstlich klingt. Ein klasse Spätwerk!
https://www.elviscostello.com/#!/
Text: Torsten Schlimbach
Elvis Costello: Unfaithful Music & Soundtrack Album
Universal
VÖ: 06.11.2015
Wertung: 9/12
Elvis Costello veröffentlicht seine Memoiren „Unfaithful Music – Mein Leben“ und hat sich dazu auch eine ganz besondere musikalische Reise ausgedacht. Mit „Unfaithful Music & Soundtrack Album“ erscheint nun nämlich auch das passende musikalische Werk dazu. Es ist aber keine schnöde „Best Of-“Zusammenstellung und auch nicht das obligatorische „Greatest Hits“ in der Weihnachtszeit. Natürlich lässt sich das bei dem vorliegenden Projekt nicht ganz vermeiden, denn selbstverständlich gehören auch die bekannten Songs zu seiner Geschichte, aber letztlich wählte er die Songs aus, die für ihn eine tiefe emotionale Verbindung zu den Themen und Geschichten in seinen Memoiren bilden.
Das Album ist mit 39 Tracks randvoll gepackt. Dazu gehört aber auch „Sketches From Unfaithful Music & Disappearing“, die nicht im Buch enthalten sind. Mit 38 Songs ist das aber natürlich auch so eine tolle Sammlung. Auch das Booklet ist mit den Songtexten, Fotos und Informationen zu den einzelnen Songs sehr gelungen und erhellend. Man sollte Buch und Album gleich zusammen in einer schmucken Box anbieten, das wäre dann in jeglicher Hinsicht eine tolle Geschichte.
Die musikalische Reise durch das Leben von Elvis Costello ist extrem vielfältig, interessant und teilweise auch recht obskur und skurril. So startet das Album mit „Accidents Will Happen“, einer schrägen Live-Version von der 7“ Single „Live At Hollywood High“. Die Anordnung ist übrigens nicht in chronologischer Reihenfolge, denn mit „Poison Moon“ gibt es danach einen Song jüngeren Datums, zumindest wenn man die Erstveröffentlichung im Jahre 2001 als Maßstab nimmt. Natürlich dürfen die Songs mit den Attractions nicht fehlen. „Oliver´s Army“ ist immer noch ein tolles Rock and Roll-Stück, während „Riot Act“ oder „New Lace Sleeves“ einen anderen Weg einschlagen. New Wave wirft seine Schatten und der Bass bei letztgenannter Nummer ist schon richtig fett. „Man Out Of Time“ fängt punkig an, geht dann aber glatt in eine Musical-Richtung.
Völlig aus der Art schlägt „Stranger In The House“, eine Zusammenarbeit von Costello und George Jones. Amerikanischer könnte der Sound zwischen Country und Folk ja nicht sein. Der Song stammt vom Album „My Very Special Guests“ von George Jones. „Beyond Belief“ von The Attractions ist dann musikalisch endgültig in den 80ern angekommen. Natürlich gehört das zu den Songs, die dieses fürchterliche Musikjahrzehnt schadlos überstanden haben. „Indoor Fireworks“ oder „Shipbuilding“ zeigen noch mal eine sanfte Seite von Costello. Dies geht eindeutig in die Musical-Ecke. Die erste CD schließt mit „Red Cotton“ aus dem Jahre 2009. Man hört da schon recht deutlich, dass T Bone Burnett daran beteiligt war. Die Nummer ist ja recht traditionell.
„Veronica“ ist ein Hit, auch in dieser Demofassung. Punkt. „In The Darkest Place“ mit Burt Bacharach ist nicht nur auf dem Papier eine großartige Konstellation, sondern auch in der Realtität. Tolles Barjazz-Stück, welches berührt und zu Herzen geht. „The Other Side Of Summer“ ist eine extravagante Mischung aus Kirmesklimbim und Schlager. Und was gibt es dann auf die Ohren? Mit „London´s Brillant Parade“ ein Stück, welches sich genau so anhört, wie es der Titel verspricht. Costello ist einer der Künstler, der mit Leichtigkeit zwischen den musikalischen US- und UK-Welten hin und her springen kann.
Und dann gibt es immer wieder diese Ausflüge in die Theater- oder Musicalmusik wie „Jimmie Standing In The Rain“. Oder die fantastischen Zusammenarbeiten wie bei „Wise Up Ghost“ mit The Roots. Und wie wäre es mit einem Walzer? Bittschön: „Couldn´t Call It Unexpected No. 4“ wäre da die richtige Wahl. Das lässige „Alison“ geht dann wieder ganz weit zurück in die 70er. „April 5th“ ist bisher gänzlich unveröffentlicht geblieben. Der Song mit Rosanne Cash und Kris Kristofferson ist mit seiner reduzierten Instrumentierung und seinem langsamen Gesang sehr berührend. Das Folkstück „I Can´t Turn It Off“ wird hier ebenfalls erstmals rausgehauen.
Fazit: „Unfaithful Music & Soundtrack Album“ von Elvis Costello ist ein buntes Potpourri seines musikalischen Schaffens. Der Soundtrack zum Film ist aber nicht mit einer üblichen Zusammenstellung zu vergleichen. Elvis Costello hat darauf geachtet, dass dies emotional zu seinen Memoiren passt. Die 38 Songs nehmen den Zuhörer mit auf die musikalische Reise nach UK, schaffen dabei mühelos den Schwenk von Punk zu New Wave zu Britpop und ziehen weiter über den großen Teich und lugen beim Country, Folk und Americana vorbei. Dazu wird dann auch noch Theater- und Musicalmusik gereicht. Ein Wahnsinnsritt durch ein bewegtes, musikalisches Leben!
Text: Torsten Schlimbach