Primal Scream: Live In Japan (Legacy Vinyl)
Sony/Legacy
VÖ: 15.04.2016
Wertung: 10/12
Tipp!
Einen Tag vor dem Record Store Day wird von Primal Scream ein richtiges Schmankerl veröffentlicht. „Live In Japan“ wurde ursprünglich nur für den japanischen Markt herausgegeben. Der Release von 2003 wurde 2002 im Zepp in Tokyo aufgenommen. Eine Vinyl-Variante war aber auch da nicht vorgesehen. Jetzt hat sich Legacy, die Katalogabteilung von Sony, endlich dazu entschlossen die Sause auch auf Vinyl zu veröffentlichen. Natürlich gibt es das auf 180g als Doppel-Vinyl! Das feine Teil bringt somit schon einiges an Gewicht auf die Waage. Da freut sich nicht nur der Fan, sondern auch das Sammlerherz.
Es war aber auch schon 2003 eine kleine Sensation, dass Primal Scream endlich ein Live-Dokument veröffentlicht. Die Band hatte bis dahin in dieser Richtung nicht gerade mit einer Flut an Material geglänzt. Im Gegenteil, es tendierte gen Null. Es gab und gibt ja nicht wenige Leute, die Primal Scream als eine ganz famose Live-Band ansehen, die es zudem versteht auf der Bühne ihre Songs weiterzuentwickeln. Damals wie heute ist „Live In Japan“ eine wichtige und richtige Geschichte!
Hört man sich dieses Konzert aus heutiger Sicht noch mal an, dann fällt einem da immer noch die Kinnlade in den Keller. Mehr Druck, mehr Geschwindigkeit, mehr Härte geht eigentlich nicht. Die Lautstärke ist schon beeindruckend, die muss man auf eine gewisse Art und Weise aushalten können. Die Gitarren sind derart verzerrt, dass jede andere Indieband dagegen wie eine Dorfkapelle wirkt. Die Rhythmusabteilung liefert punktgenau ab und die Synthesizer heulen, dass jede 70er und 80er Band einpacken kann. Kevin Shields ist der heimliche Star. Was der Mann hier abliefert ist schon ein wilder Ritt, der kaum zu bändigen ist.
Bei der Songauswahl lag der Fokus naturgemäß auf den damals aktuellen Alben „XTRMNTR“ und „Evil Heat“. Darauf sind aber auch radikale Songs zu finden, die nicht unbedingt mit dem Backkatalog bis dahin übereinstimmten. „Skull X“ und „Kowalski“ sind schon heftig. Immerhin gibt es mit „Rocks“ und „Jailbird“ auch einen Rückgriff auf die Stones-Phase der Band. Mit „Higher Than The Sun“ gibt es einen sphärischen und atmosphärisch dichten Track, der – wie auch „Autobahn 66“ - dem Zuhörer auch mal eine kleine Verschnaufpause gönnt.
Das Großformat kommt optisch natürlich um einiges besser rüber, als die schnöde CD-Variante. Die beiden Platten machen einen hervorragenden Eindruck. Das Klanggewitter wird wunderbar abgefedert und ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der bekannten CD. Wellen sind keine vorhanden und die Nadel läuft recht ruhig durch die Rinnen. Die Abtastung ist zudem vorzüglich.
Fazit: Mit „Live In Japan“ kommt von Primal Scream ein rares Teil in den Handel. Bisher gab es die Live-Tracks nämlich nur auf CD und für den japanischen Markt. Jetzt darf sich der Fan und Sammler über die Vinyl-Ausgabe freuen. Die beiden Platten liegen selbstverständlich im Standardformat von 180g vor. Die Haptik ist schon überragend und auch der Klang kann überzeugen. Die Band selber prescht wie ein Derwisch durch das Set, lässt hier und da aber ein paar Verschnaufpausen für den Zuhörer zu. Auch, wenn das Set mit fast 50 Euro nicht ganz günstig ist, so stellt es doch in jeder Vinyl-Sammlung ein echtes Highlight dar!
Text: Torsten Schlimbach
Primal Scream: Screamadelica (20th Anniversary Edition)
Sony Music
Wertung: 10,5/12
Tipp!
Als Primal Scream in den 90ern mit „Sreamadelica" um die Ecke kamen, haben sich nicht gerade wenige Hörer verwundert und ratlos im Spiegel angeguckt. Man wusste ja, dass die Band für alles offen und
zu allem fähig ist, aber was sie hier auf die Menschheit losgelassen hatte, verstörte doch den einen oder anderen. Der gut abgehangene Rock trat nicht mehr so deutlich zum Vorschein wie noch in der
Vergangenheit. Auch der Ritt auf der Raveklinge war nun anders. Aber waren Primal Scream nicht sowieso die immer etwas andere Band? In einer Zeit, als die Alternativmusik zu explodieren drohte und es
eigentlich gar keinen richtigen Indiebereich mehr gab, weil irgendwie alles und auch wieder nichts Indie war, stellten Primal Scream eben doch eine Alternative dar.
„Screamadelica" wird nun erneut veröffentlicht. Die 20th Anniversary Edition zeigt eines ganz deutlich, nämlich, dass dieses Album den Test der Zeit erstaunlich gut bestanden hat. Primal Scream waren natürlich auch immer irgendwo Retrorocker. Kann man aber sowieso nicht zum Vorwurf machen, denn daraus wurde ja auch nie ein Geheimnis gemacht. Die drogenvernebelten Rave- und Danceelemente gehörten aber auch schon immer zum guten Tonfall dieser Band. „Screamadelica" vereint dies alles unter einem Hut. Ein Torso und ein Ritt am Abgrund tut sich da auf. Wer diese Songs noch überhaupt nicht kennt, wird immer noch staunend und verstört seine Anlage begutachten. Keine Sorge, mit dieser ist vermutlich alles in bester Ordnung.
Segen oder Fluch? Beides! Die Platte polarisiert eben. Ist doch schön, dass man es hier mit elf Tracks zu tun hat, die eben nicht allen gängigen Genreklischees entsprechen. Hört man sich „Screamadelica" an, dann fühlt man sich wie ein kleines Kind im großen Süßwarenladen. Man nimmt ein bisschen hiervon, testet ein bisschen davon und wirft schließlich alle Zutaten in einen Topf. Nichts passt zusammen und doch schmeckt das alles wunderbar. Anders als gewohnt, aber dafür ist der Genuss umso nachhaltiger. Beindruckender.
Dabei fängt das alles noch ziemlich konventionell an. „Movin´ On Up" kommt in bester Stones Manier daher. Das ist erdiger Rock mit einer ganz dicken Prise Soul. „Slip Inside This House" verlässt diese Schiene schon nachhaltig. Der Soul ist zwar noch da, aber der Rest bewegt sich eher in psychedelischen Regionen. Die Musik rückt auch immer mehr in der Vordergrund, Worte sind nur Schall und Rauch. „Don´t Fight It, Feel It" ist ein Dancekracher vor dem Herrn. An dieser Schiene versuchen sich ja wieder immens viele Künstler, was Primal Scream aber schon damals veranstalteten, war und ist immer noch wegweisend. Die richtige Einstimmung für das Partywochenende. Die Beats fahren einem derart in die Beine, dass man auf der Stelle loszappeln möchte. Primal Scream haben aber auch eine zarte Seite. Das verschwurbelte „Hight Than The Sun" baut sich sphärisch auf und steht zunächst für die ruhige Seite. Danach gibt es aber ein dezentes Klanggewitter, als würde die Welt für einen kurzen Moment den Atem anhalten. Der Track ist auch im Jahre 2011 immer noch eine Offenbarung. Die Vielfalt macht dieses Album einfach aus. „Inner Flight" zirpt und flirrt durch den Raum und „Come Together" klingt wie für eine Unterwasserparty gemacht. Die Stones werden mit „Loaded" auch noch mal gehuldigt und „I´m Comin´ Down" fährt ein Saxophon auf, als hätte die Band endgültig ihre wahre Bestimmung gefunden.
Als besonderes Schmankerl gibt es die „Dixie Narco EP" obendrauf. Im Grunde handelt es sich hier um die Singleauskopplung zu „Movin´ On Up". Hier kommen dann auch die Puristen auf ihre Kosten. Mit der Ballade „Soul My Soul" gibt es die Band noch mal in altem Fahrwasser zu erleben. Auch „Carry Me Home" schlägt in eine ähnliche Kerbe, bevor mit dem fast über zehn Minuten langen „Screamadelica" dann der Wahnsinn nach und nach Formen annimmt.
Fazit: „Screamadelica" von Primal Scream ist in der Nachbetrachtung gesehen ein völlig unterschätztest Album. Die Kritiken waren seinerzeit zwar recht gut, insgesamt ist dieses Werk mittlerweile aber fast vergessen. Schön, dass die wunderbar aufgemachte 20th Anniversary Edition diese Songs wieder mehr in den Fokus rückt. Zwischen erdigem Rock, Dance, Soul, Rave und Psychedelica reicht die Palette. Erstaunlicherweise hat die Platte den Test der Zeit mehr als gut bestanden. Schön auch, dass die „Dixie-EP" diese Veröffentlichung bereichert. Empfehlenswert!
Text: Torsten Schlimbach