Claudia Kohde-Kilsch - Interview am 16.01.2025

Claudia Kohde-Kilsch hat im Dezember ihre Autobiografie „Regenpause“, für die sie von der Fachpresse und den Lesern sehr viel Lob einheimst, veröffentlicht. Seit Januar 2025 gibt es auch eine E-Book-Version und im April/Mai wird auch noch das Hörbuch dazu veröffentlicht. Wie auch in ihrem Buch, war Claudia Kohde-Kilsch im Interview sehr authentisch und aus den verabredeten 20 bis 30 Minuten wurde dann eine knappe Stunde. Es gibt ja auch genug Themen, über die es zu sprechen lohnt – von ihren Anfängen als Tennisspielerin, über ihr Verhältnis zu Steffi Graf, ihre Aufgabe als Bundestrainerin-Ost und die Jugendarbeit allgemein in Deutschland. Ihre Favoriten beim ersten Gand Slam des Jahres 2025 dürfen natürlich auch nicht fehlen.

 

 

Hallo Claudia, vielen Dank für Deine Zeit. Wie bist Du Deine Autobiografie angegangen? Hattest Du die Themen da schon grob im Kopf? Und auch schon Themen, wo Du gesagt hast, da möchte ich definitiv nicht drüber schreiben?

Ja, die Themen hatte ich schon viele Jahre im Kopf. Vor Jahren haben immer mal wieder Leute gesagt, dass ich ein Buch schreiben soll. Ich hatte auch schon im Kopf wie das aussehen soll, welche Themen drin sein sollten und mir war wichtig, dass das Buch auch ein bisschen beratend ist. Und dann wollte ich natürlich meine Tenniskarriere von den Anfängen bis zum Ende beschreiben und darstellen was es bedeutet, Sportprofi zu werden - wie das Ganze überhaupt startet. Die meisten Menschen haben ja gar keine Vorstellung wie sowas überhaupt beginnt und wie man sich entschließt Profi zu werden und dann eben dieses Wagnis einzugehen. Das hatte ich schon alles so im Kopf und hatte das auch schon irgendwo in der Schublade. Dann sind natürlich auch noch ein paar Jahre vergangen. Ich habe das wieder zur Seite gelegt und dann nicht mehr dran gedacht. Hätte ich das Buch vor zehn Jahren geschrieben, wären es weniger Themen gewesen, weil da ja noch einiges in den letzten Jahren passiert ist. Es kamen dann noch einige Themen dazu. Die Kapitel hatte ich recht schnell - in 5 Minuten so ungefähr. Und dann bin ich an das Füllen der Kapitel gegangen. Beim Schreiben sind mir dann noch Dinge, die plötzlich wieder hochgekommen sind, eingefallen. Die Grundstruktur hatte ich allerdings schon im Kopf, darum war ich auch so schnell. 

Was heißt schnell? Ich glaube die meisten Menschen können sich gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit tatsächlich in so einem Buch auch steckt. Wie viel Schweiß, Herzblut und wie viele Stunden man damit verbringt.

Ja, ja, genau. Du hattest ja eben auch gefragt, ob es Themen gibt, über die ich nicht schreiben wollte. Ich habe mir halt gesagt, wenn es meine Biografie ist und mein Herzensprojekt, dann muss da alles rein, auch die schlimmen Zeiten. Ich habe dann auch gar nichts ausgespart, wie beispielsweise meine Insolvenz. Ein Geheimnis war die Insolvenz nicht, das war ja damals sowieso auch in der Presse. Ich habe im Juni letzten Jahres angefangen und war dann im November fertig. Also 5 Monate. Ich habe fast jeden Tag, Urlaub ausgenommen, am PC gesessen und habe da Kapitel für Kapitel bearbeitet. Nochmal und nochmal. Also es sind schon viele, viele, viele Stunden. Die Formulierungen überlegt man sich auch genau und das braucht auch Zeit. Ich wollte die Dinge mit meinem Vater natürlich auch so rüberbringen, dass die Menschen, die das lesen, auch verstehen. Also es braucht schon seine Zeit, ja. Das ist viel, viel Arbeit. Es hat mich wirklich ein halbes Jahr beschäftigt. 

Wo Du gerade die schwierigen Themen ansprichst: hat das dann nochmal alte Wunden aufgerissen oder war es eher so, dass es geholfen hat, das Ganze nochmal anders zu verarbeiten?

Letzteres. Direkt Wunden aufgerissen hat es nicht mehr, aber ich habe gemerkt, dass ich das mit dem Niederschreiben einfach nochmal abschließend verarbeite. Bis dahin hatte ich das nur verdrängt, aber nicht verarbeitet. Als ich gerade mit dem Kapitel mit meinem Vater fertig war, bin ich total in Tränen ausgebrochen. Ich habe da gesessen und ich konnte das gar nicht steuern. Da kam alles in mir hoch. Dann habe ich erst mal meine Mutter angerufen, mit ihr noch eine halbe Stunde gesprochen. Erst dann habe ich gemerkt, dass ich das eigentlich verarbeitet habe. Die fünf Jahre vor Gericht und das alles steckte noch tief drin. Wenn man es dann über Jahre einfach immer nur verdrängt, verarbeitet man es ja eigentlich gar nicht. Ein Buch zu schreiben hilft, auch bei der Verarbeitung von vielen Dingen. Die lustigen Sachen, die erzählen sich halt leicht. Für die schwierigen Sachen braucht man dann ein bisschen mehr Zeit.

War das auch eine nostalgische Reise für Dich? Besonders den Tennisbereich betreffend? Oder bist Du gar kein nostalgischer Mensch, der auf diese Art zurückblickt?

Doch, doch, bin ich schon sehr. Also ich bin oft, gerade was das angeht, in der Vergangenheit. Jetzt gerade habe ich die Australian Open an. Klar kommen dann schon die Erinnerungen wieder hoch. Und dann denkt man schon darüber nach, wie das damals bei einem selber war. Auf dem Center Court habe ich auch gestanden. Und das ist auf jeden Fall eine schöne und nostalgische Reise. Nochmal durch vergangene Zeiten, durch meine Kindheit und durch meine Jugend zu streifen ist schon schön. 

Du warst ja von 84 bis 88 permanent in den Top 10, sowohl im Einzel als auch im Doppel. Du hast ja gerade die Australian Open erwähnt. Gegenüber Deiner Zeit hat sich schon viel verändert, oder? Heute gibt es ja fast nur noch Spezialisten, die entweder Einzel oder Doppel spielen. Mir fällt noch Coco Gauff und Pegula ein, die meistens beides spielen. So wie Du das praktiziert hast und wie Du das auch sehr anschaulich in Deinem Buch beschreibst, gibt es das ja gar nicht mehr.

Nein, genau. Zu meiner Zeit haben ja alle Einzel und Doppel gespielt. Die Top 10 haben alle auch Doppel gespielt, in jedem Turnier. Und manchmal sogar noch Mixed dazu. Nein, es hat sich total geändert. Da gibt es die reinen Doppelspezialisten, die auf der Einzeltour keinen Blumentopf gewinnen, aber Doppel ganz weit oben sind und damit auch ihr Geld verdienen. Dadurch, dass die Preisgelder sich so vervielfacht haben, kann man als reiner Doppelspezialist richtig gut auch sein Geld verdienen. Da gibt es einige, die überhaupt kein Einzel auf der Tour spielen, sondern nur Doppel. Die Topspieler spielen kein Doppel - bei den Männern noch eklatanter als bei den Frauen. Djokovic oder Sinner spielen ja kein Doppel. Bei den Frauen gibt es ein paar mehr. Ja genau, Pegula und Gauff, die dann halt mal Doppel spielen. Aber Swiatek oder Rybakina, ich glaube, die spielen auch kein Doppel mehr. Oder Sabalenka. Die konzentrieren sich alle voll auf das Einzel. Also es ist schon interessant, dass sich das so geändert hat.

Du beschreibst ja in Deinem Buch auch das schwierige Verhältnis der Väter Graf und Kohde-Kilsch. Du schreibst ja ausdrücklich, dass dies nicht Steffi und Dich betraf. Ich fand die Worte, die Du für Steffi in dem Buch gefunden hast, fast wie eine Liebeserklärung an Steffi als Sportlerin. Nervt es Dich, wenn Du jetzt teilweise in der Presse entnimmst, dass dann wieder vom schwierigen Verhältnis zu Steffi geschrieben wird, was ja in dem Buch so gar nicht drin steht?

Ja, ein bisschen, obwohl es jetzt bei denen, die es gelesen haben, abflaut. Der Sportinformationsdienst, das ist eine Tennisjournalistin, die das für den SID schreibt, hat es ja eigentlich auch ganz gut beschrieben. Liebeserklärung ist vielleicht auch falsch, wir waren ja jetzt nicht beste, intimste Freundinnen. Wir hatten ja auch ausserhalb des Platzes keinen Kontakt. Ich wollte einfach zum Ausdruck bringen, dass wir einfach die zwei Mädels waren, die Tennis gespielt haben. Es gab ja keinen Grund, dass wir da Krieg geführt hätten. Steffi war eine faire, toughe Sportlerin, genau wie ich. Ich bin ein fairer Mensch und ich glaube, was ich versucht habe darzulegen, ist meine Wertschätzung für sie - für ihre Leistungen. Und Steffi ist ja jetzt kein böser Mensch und deswegen habe ich gesagt, dass man das auseinanderhalten muss, zwischen den zwei Alphatieren, unseren Vätern, die sich da ständig irgendwie angegangen sind und wir zwei Mädels, die im Hintergrund Tennis gespielt haben. Steffi und ich haben das ja gut verstanden, das habe ich ja auch so erzählt. Und was ihre Leistungen angeht, die sind sowieso vom anderen Stern. Es ist bei 99,9 Prozent der Hochleistungssportler so, dass man sich auf sich konzentriert und die Leistungen der anderen anerkennt. Das hat man ja in der normalen Gesellschaft oft nicht so. Da gibt es sehr viel Neid und Missgunst und Hass. Aber das muss man neidlos anerkennen, was die Steffi erreicht hat. Mit so vielen Grand Slams, das wird in in Deutschland so schnell nicht wieder kommen. Das sind halt außerordentliche Leistungen.

Du hast aber auch ein bisschen den Weg geebnet. Auch das beschreibst Du ja in Deinem Buch. Du warst ja im Grunde die Erste, hast somit Pionierarbeit geleistet. 

Genau, das habe ich auch noch mal dargestellt. Interessanterweise wusste das tatsächlich auch niemand. Deswegen habe ich das auch noch mal so hervorgehoben. Auch die deutsche Presse war auch ganz erstaunt. Mensch, tatsächlich, dass war ja die Erste, die das gemacht hat. Ich meine, das ist jetzt 45 Jahre her, fast ein halbes Jahrhundert. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt: schaffe ich das überhaupt? was bedeutet das? klappt das überhaupt? welchen Weg muss man gehen? Und das habe ich ja alles, glaube ich, ganz gut beschrieben. Dieses Do-it-yourself, alles irgendwie selbst, weil es eben keine Vorreiter gab, keine Vorbilder, niemanden wo man hingucken konnte. Da bin ich auch ganz stolz drauf, so eine Pionierin. Steffi kam ja dann auf die Tour als sie 13 war - da habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Ich bin sechs Jahre älter, da war ich dann gerade schon so zwei Jahre dabei. Und dann kam sie ja schon und hat alles niedergemäht

Du bist ja für junge Tennisspieler, Tennisspielerinnen und insbesondere auch für Eltern eine Art Ratgeberin. Du kommst ja in dem Buch auch auf die Aufgabe als Bundestrainerin­­­­-Ost zu sprechen. Tennis lag ja da viele Jahre relativ brach. Hat Dich genau das, diese Aufbauarbeit, die Du da leisten kannst, auch an diesem Job gereizt?

Ja, auf jeden Fall! Als mich der DTB angefragt hat, war das genau das reizvolle an der Aufgabe. Ein paar Leute sagten allerdings auch  zum mir: Ach Gott, du Arme, das wird schwer. Jeder Landesverband im Osten kocht so sein eigenes Süppchen. Ich habe da tatsächlich erst mal vor gar nichts gestanden. Ich musste erst mal gucken, wie fange ich da überhaupt an? Das war schon reizvoll und ich fand das auf jeden Fall sehr interessant. Auch eben mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und deren Eltern zu beraten. Und deswegen wollte ich das auch so ein bisschen ins Buch reinbringen, damit auch die Tenniseltern von heute mal sehen wie das ist. Der DTB kann auch nicht direkt alles backen und direkt 100.000 Euro auf das Tablett legen. Es ist so, dass am Anfang die Eltern wahnsinnig viel Engagement bringen müssen - auch finanzielles und zeitliches Engagement. So wie das meine Eltern auch gemacht haben. Und das habe ich auch Eltern jetzt in den letzten Jahren immer wieder gesagt: am Anfang, seid ihr erst mal dran. Erst wenn das Kind ein Spitzentalent ist und in den Kader kommt, dann greift auch die Förderung vom Deutschen Tennisbund. Das ist eine Spitzenförderung, das darf man nicht vergessen. Man kann sich nicht dauernd beschweren, dass der DTB nichts macht. Man muss ja auch erst mal selber ein bisschen Eigeninitiative zeigen. Das war mir halt auch wichtig, das ein bisschen zu erklären.

Ist dieser Part schwieriger, die Gespräche mit den Eltern, als die direkte Arbeit mit den Mädchen und Jungs?

Die Gespräche mit den Eltern sind schwieriger, ja. Es gibt auch tolle Eltern, die es genau richtig machen, mit denen ich dann im engen Austausch bin. Aber es gibt eben auch diese schwierigen und beratungsresistenten Eltern, die sich sofort, oder auch auf sozialen Medien, beschweren: ist alles scheiße was der DTB macht. Bei Hardcore-Eltern musste ich auch schon Gespräche abbrechen. Die gab es auch, Gott sei Dank nur vereinzelt. Aber ja, das ist schwierig, weil die oftmals nicht aus dem Tennissport kommen oder aus dem Hochleistungssport. Die wissen nicht, was das eigentlich alles bedeutet. Und da ist es dann schon schwieriger, das dann auch zu erklären und da auch Anerkennung bei den Eltern zu finden. Das ist für die Kinder und Jugendlichen in den Lehrgängen, die Kader-Kids, überhaupt gar kein Problem. Die waren in den letzten Jahren alle super. Ich habe dann auch Fragestunden mit mir gemacht und dann fragen die auch und googeln mich und sind dann alle irgendwie hin und weg und hören mir zu. Das ist das Allerleichteste, weil die Kids wirklich alle super sind. Manchmal muss man die Eltern nur ein bisschen einfangen. Das gehört aber auch dazu, gerade als Bundestrainer. Als Trainer sind wir ja auch so ein bisschen Pädagogen. Es gab nur wirklich einen Fall, da hat ein Vater alle angegriffen - mich und den DTB. Wir haben dann alle gesagt, dass da eine Zusammenarbeit nicht mehr geht. Aber das ist dann wirklich sehr selten. Und ansonsten ist es schon eine sehr interessante und spannende Aufgabe, die auch viel Spaß macht, weil man seine Erfahrungen und was man erlebt hat, weitergeben kann.

Du sprichst ja in Deinem Buch in dem Zusammenhang auch das Nationale Deutsche Jüngsten Tennisturnier in Detmold an und dass der Umgang dieses Jahr besonders schlimm war. 

Ich war natürlich jetzt nicht bei jedem Turnier dabei, aber es war in der Wahrnehmung letztes Jahr vom Gefühl schon so, dass es schlimmer geworden ist. Das betrifft das Verhalten der Kids auf dem Platz - gerade  bei den 11-, 12-Jährigen -, aber auch das Verhalten der Eltern am Platzrand. Es war schon heftig teilweise. Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht liegt es oft dran, dass die Eltern die Realität nicht so sehen und da vielleicht schon viel zu viel von ihren Kindern erwarten. Bei manchen blinken auch schon die Dollarzeichen in den Augen, weil das Kind bei den 10-Jährigen in Detmold gewonnen hat und dann denken manche Eltern, dass ihr Kind jetzt der nächste Superstar wird. Das projezieren die Eltern dann auf ihre Kinder. Wenn Eltern so ein bisschen mit beiden Füßen auf dem Boden stehen und gut mit ihrem Kind umgehen, dann sind die Kinder auch anders auf dem Platz. Das war zu beobachten.

Bei den Jugendturnieren hört man ja auch oft „Rangliste, Rangliste, Rangliste“. Würdest Du mir zustimmen, dass das bei der U11, U12 eigentlich überhaupt erstmal gar nicht wichtig ist, sondern es um andere Dinge geht?

Ja, das habe ich ja auch so beschrieben. Für mich ist Rangliste nur sekundär wichtig. In den jungen Altersklassen ist das ja oftmals auch ein bisschen verzerrt. Da ist vielleicht ein Kind, das sehr viel Potenzial in vielen anderen Dingen hat, in der Rangliste aber noch weiter hinten ist, weil es vielleicht mal krank war, nicht so viel gespielt hat oder noch nicht in der Weltgeschichte rumfährt um Punkte zu sammeln. Ich gucke dann schon mal wo ich das Kind in der U12 finde,  aber für mich ist es viel wichtiger, mir das Kind dann anzuschauen. Ich sage auch immer den Trainern aus den Landesverbänden, dass sie Kinder mit Potenzial  mit zum DTB-Lehrgang bringen sollen. Dann kann ich mir das Kind anschauen, egal wo es in der Rangliste steht. Das ist in dem Alter nicht wichtig. Als ich den Podcast gemacht habe, haben wir uns ja auch über die Rangliste und LK-Klasse unterhalten. Ich bekam  prompt eine Nachricht von einem Vater: mit Verlaub, ich fahre aber mit meinem 10-jährigen Kind überall hin, weil anders kriegen wir keine Punkte. Also, ja, manchmal stimmt auch im System was nicht. Das ist natürlich die andere Seite.

Das System ist ja so: wenn du keine niedrige LK hast, kommst du in die entsprechenden Ranglistenturniere nicht rein. Vielleicht bedarf es da auch mal irgendwie einer Reform?

Ja, aber wenn man dann älter wird, so 14, 15, 16, dann ist die Rangliste ja auch in Ordnung. In die Weltranglistenturniere als Profi kommt man ja auch nur rein, wenn man eine gewisse Rangliste hat. Aber was ich halt wichtig finde, dass man nicht bei den 10- und 11-Jährigen da schon hinguckt. Ich hatte schon Diskussionen, weil ein Kind nicht im Lehrgang war, ein Kind aus der Rangliste dahinter aber schon. Das andere Kind hatte für mich halt mehr Potenzial. Da ist mir auch egal, ob das Kind 10 Plätze dahinter steht. Also, darum geht es ja. Um diese ganz jungen Spieler, da ist es halt einfach nicht das Wichtigste. Später, wenn man mit 15, 16 da noch nirgendwo zu finden ist, dann ist man auch nicht im Kader. Aber nicht bei den Kleinen – das ist unwichtig.

Du beschreibst ja in Deinem Buch nochmal so ein bisschen wie Du gespielt hast. Ich fand ja immer Dein Volley-Spiel unglaublich faszinierend. Das gibt es ja in der heutigen Zeit fast so gar nicht mehr. Wenn ich mir mal Jugendliche angucke, die sind ja wie festgetackert hinten an der Grundlinie. Es wird auch kaum noch Doppelspiel trainiert. Warum macht man das nicht mehr wie in den USA? Da ist das ja ein elementarer Trainingsbestandteil. Versuchst Du das als Bundestrainerin auch mal anzusprechen? Und vielleicht mit ins Training einfließen zu lassen?

Ja, auf jeden Fall. Wenn wir Lehrgänge haben, dann spielt man oftmals den ganzen Nachmittag nur Doppel. Letztens habe ich mal eine Stunde so einen Theorie-Teil gemacht. Ich habe da die Grundregeln des Doppelspiels erklärt. Die 14-Jährigen kennen die teilweise nicht - in einem Kaderlehrgang wohlgemerkt - weil die es einfach bei ihren Trainern nicht trainieren. Ich finde das aber super wichtig, weil das Doppel auch viel fürs Einzel bringt - siehe Laura Siegemund. Das Volleyspiel ist teilweise eine Katastrophe. Gerade bei den Mädels in dem Alter. Und wie du schon sagst, die sind an der Grundlinie festgetackert. Die können links und rechts laufen, aber nicht nach vorne. Also es ist teilweise wirklich schlimm wie eindimensional die spielen! Ich sage aber immer, guckt euch doch mal die Top Ten an, die können alle alles. Natürlich spielen die ein enormes Tempo von hinten, aber schon mit Überlegung, die können alle vollieren, die können nach vorne. Ich weiß nicht warum das, wenn die bei ihren Trainern trainieren, so vernachlässigt wird. Was ich auch beschrieben habe, dass mit dem Top Spin-Volley ein neuer Schlag dazu gekommen ist. Ich sehe die teilweise zwei Meter vorm Netz, also bei den Mädchen ist das oft zu beobachten, auch bei deutschen Meisterschaften und spielen den Top Spin-Volley anstatt den normalen Volley. Ganz kurios. Oder laufen vom Netz wieder zurück um den Top Spin zu spielen.

Würdest Du Dir als Bundestrainerin Ost manchmal wünschen, dass die einzelnen Landesverbände dann vielleicht auch einheitlicher miteinander arbeiten? Da kocht ja auch jeder so ein bisschen sein eigenes Süppchen. Es gibt ja in den Verbänden noch Bezirke, das ist ja alles unglaublich aufgesplittet.

Ja, ja, so ein bisschen einheitliche Kriterien wären vielleicht manchmal nicht schlecht! Klar, die haben alle unterschiedliche Trainer, andere Geschäftsstellen und Pläne und man kann das nicht genau gleich aufbauen, aber ich glaube, so insgesamt wäre so ein einheitliches Förderkriterium nicht schlecht. Ist schwierig zu sagen. Der Verband Bayern arbeitet vielleicht auch anders als der Verband in Baden. Im Osten ist das jetzt auch schwierig, weil manche Landesverbände wirklich sehr, sehr strukturschwach sind, wie beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern. Die sind halt ganz weit hinten dran. Das ist aber der Struktur geschuldet. Also, es ist gerade jetzt im Osten ein bisschen schwierig, wobei Sachsen recht gut dasteht. Man kann das aus diesen Gründen schon gar nicht vereinheitlichen.

Ich würde nochmal gern auf das Buch, auf den Stil zurückkommen. Ich finde, Deine Autobiografie hebt sich wohltuend von vielen anderen ab, weil man bei anderen schnell erkennt, dass die nicht selber geschrieben wurden - Stichwort Ghostwriter. War es von Anfang an für Dich klar, dass Du die Sätze formulierst?

Ja, genau. Ich wollte es einfach selber machen, das war mein Ziel. Wenn man das aus der Hand gibt, geht das auch nicht mehr in die Tiefe, dann bleibt es immer irgendwie so ein bisschen an der Oberfläche. Wenn man selber schreibt, dann kann man auch immer noch was einfügen und dann noch mehr in die Tiefe gehen. Ich wollte das in klaren Worten formulieren, so wie ich eben bin. Das war mir total wichtig, weil sonst wäre es irgendwie nicht mehr ich oder nicht mehr mein Projekt oder nicht mehr mein Buch, wenn das jemand anderes geschrieben hätte. Ich weiß, da gibt es genügend. Was noch geht ist vielleicht mit einem Co-Autor, dass man dann zusammen sitzt, aber es komplett abzugeben und dann hinterher mal zu gucken, was steht da eigentlich, das hätte ich nie gemacht.

Die Resonanz ist ja wirklich überwältigend, wenn ich das so mitkriege. Also ich höre nur positive Dinge, lese nur positive Dinge über „Regenpause“.  Hat das Deine Erwartungen übertroffen und warst Du selbst überrascht, dass der Markt dafür dann doch so groß ist? Ja, total. Also ich habe es gehofft, aber ich habe natürlich keine Ahnung gehabt, wie das überhaupt ankommt. Ich selbst kenne meine Geschichten, aber ich wusste nicht, wie wirkt das jetzt überhaupt auf jemand völlig Fremden, der das dann liest. Oder wie ist die Erwartungshaltung, wenn Leute sich so eine Biografie kaufen? Bin ich überhaupt interessant genug? Interessiert das überhaupt die Leute? Ich bin auch total geflasht über die Resonanz. Es war noch kein böses Wort oder noch kein fieser Kommentar dabei, das bin ich so ja auch gar nicht gewohnt. Und wirklich, wie du schon sagst, nur richtig tolle Rezensionen, Feedbacks, Meldungen, also da bin ich auch super glücklich drüber. Hätte ich so nicht erwartet. Und ich habe jetzt noch keine Ahnung, wie es jetzt verkauft wurde. Die Zahlen kriegen wir ja erst ein bisschen später. Es freut mich halt, das war so das Ziel, dass die Leute mich kennenlernen, interessiert sind an dem, was da drin steht und interessiert weiterlesen, nicht nach ein paar Seiten sagen, oh nee, wie langweilig.Und das war ja bis jetzt nicht der Fall. Da haben ja alle bisher gesagt, egal ob das jetzt ehemalige Tenniskollegen waren, die das gelesen haben oder Leute, die mit Tennis eigentlich nichts am Hut haben, wie meine zwei besten Freundinnen, die es toll finden. Oder Journalisten. Also es kam ja von allen wirklich nur Positives und das haut mich ja echt vom Sockel, also das freut mich auch total.

Ja, Tennis boomt ja auch wieder, also ich kann das nur allen jungen Kids auch wirklich ans Herz legen, da mal rein zu gucken und zu gucken, was bedeutet dieser Weg überhaupt? Was bedeutet das für mich? Es ist ja nicht immer nur Freude, es ist ja auch mit Entbehrungen verbunden.

Genau, und dieser Druck und diese Rückschläge und wie ich das auch beschrieben habe, dass ich am Anfang direkt wieder aufhören wollte, weil ich da so schrecklich verloren habe gegen eine Kanadierin. Es geht ja alles nicht immer nur steil nach oben. Ich habe gehofft, dass das für alle Lebenslagen interessant ist und so scheint es ja auch zu sein.

Wir haben ja eben über die jungen Talente gesprochen, jetzt mal den Bogen zu den aktuellen Geschehnissen: hast Du eine Lieblingsspielerin, einen Lieblingsspieler auf der Tour und wer gewinnt die Australian Open bei den Damen und Herren?

Also meine beiden Lieblingsspieler haben jetzt aufgehört: Federer und Nadal. Federer ist sowieso mein absoluter Lieblingsspieler gewesen. Jetzt muss ich mir von den verbleibenden Spielern nochmal einen aussuchen. Ich sehe Zverev sehr gerne spielen. Ich finde das immer sehr emotional und er spielt halt echt gut. Ich würde es ihm echt gönnen, wenn er jetzt mal einen Grand Slam gewinnt. Er kann es dieses Jahr gewinnen. Djokovic spielt ja auch noch. Sinner auch noch dabei, also wird schwer bei den Herren. Aber gut, dann muss ich mal einen Tipp abgeben. Ich tippe nochmal auf Sinner. Er spielt schon gut. Bei den Damen, ich mag Sabalenka sehr gerne. Sie hat echt so einen Charakter. Ich sehe die auch super gerne spielen. Ich mag auch Iga Swiatek. Ich glaube aber, dass Sabalenka momentan sehr stark ist. Ich tippe jetzt mal auf sie als Siegerin. Paolini (spielt gerade), die finde ich auch geil. Die ist super. Kleine Fighterin. Raducanu sehe ich echt super gerne spielen. Ein schönes Tennis. Und es freut mich auch, dass sie wieder zurückgekommen ist. Das sind so die Typen-Spieler, die ich gerne sehe. Wie gesagt, Sabalenka finde ich vom Typ her, von ihrem Spiel her super und ich finde es auch grandios, wie sie ihren Aufschlag alleine in den Griff gekriegt hat. Nachdem die ja doch so eine Phase hatte und dann immer so 20 Doppelfehler gemacht hat. Das ist im Hochleistungssport schwer zu ändern. Das hat sie ja relativ schnell geschafft. Deswegen spielt sie auch so gut. Sie hat so viel gewonnen. Sie tut dem Tennis auch gut, dem weiblichen, finde ich. Das ist wirklich so eine, wo auch die Mädels zu aufschauen. Die Ons Jabeur ist auch super, die hat ein Händchen. Oder eine Caroline Garcia - auch super. Da gibt es echt einige. Und ich mag auch die Osaka. Die hat ja gegen Garcia jetzt gespielt. Die spielt noch ein bisschen wackelig, aber wenn die on fire ist, spielt die auch wahnsinniges Tennis. Und Iga Swiatek, wie gesagt, mag ich auch, aber die spielt mir manchmal ein bisschen zu hektisch. Die ist immer so hektisch. Alles so schnell und so hektisch und die Technik ist so eng am Körper. Mein Lebensgefährte sagt, nicht auf Iga rumhacken, der mag die nämlich auch total. Ist auch eine tolle Spielerin. Djokovic ist vom Typ überhaupt nicht mein Fall, aber der spielt halt auch unmenschlich. Wenn er sich bewegt und wieder den Gang hochschaltet, wenn er gerade mal muss und das dann über Jahre hält, das ist schon sehr bewundernswert.

Da hier die Musik in dem Magazin sehr viel Platz einnimmt: hast Du eine All-Time-Lieblingsband und eine Lieblingsmusikerin- oder musiker?

Supertramp, Bee Gees und Elton John. Ingesamt mag ich die Musikrichtungen Rock und Pop sehr gerne. Manchmal auch ein bisschen Hardrock. Und Acid Jazz. Da gibt es auch zwei coole Bands - Incognito und die Brand New Heavies. All-Time sind dann aber die oben genannten tollen Künstler. Die Bee Gees habe ich live in New York im Madison Square Garden gesehen. Bei Supertramp war ich in London im Earls Court und Elton John habe ich sogar in Saarbrücken in der Saarlandhalle gesehen. 

Dann ist es doch jetzt ein bisschen länger geworden. Ich danke Dir für Deine Zeit, für Deine ehrlichen Worte, auch für Dein Vertrauen. Das ist ja alles nicht selbstverständlich.

Das habe ich super gerne gemacht. Vielen Dank.

 

https://claudia-kohde-kilsch.de/

 

Interview geführt von Torsten Schlimbach

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