Nirvana: In Utero (20th Anniversary Deluxe Edition)

Nirvana: In Utero (20th Anniversary Deluxe Edition)

Universal

VÖ: 20.09.2013

 

Wertung: 11/12

Tipp!

 

Es gibt drei reguläre Studioalben von Nirvana, die Fangemeinde ist ebenso dreigeteilt. Da hätten wir all jene, die sich schon zu „Bleach“ zu den beinharten Anhänger zählten, aber bei „Nevermind“ dann den ganzen Kommerz nicht mehr mitmachen wollten. Komisch, eigentlich hätten Nirvana damals schon in Stadien spielen müssen, wenn man hört wie groß die Schar jener Jünger der ersten Stunde war. Dann ging „Nevermind“ durch die Decke und plötzlich hatte die Band auch Fans aus dem Mainstreamlager. Insbesondere Cobain wollte und konnte die totale Vereinnahmung nicht mitmachen und dann folgte mit „In Utero“ der Brocken schlechthin. Es gibt genug Leute, die dies als einziges authentisches Album der Band ansehen. Die Platte feiert jetzt Geburtstag und wird nun in allen möglichen Formaten erneut aufgelegt. Dies gleicht fast schon einem Treppenwitz der Musikgeschichte, damit hätte Cobain damals sicher nicht gerechnet. Es war ja sowieso schon erstaunlich genug, dass „In Utero“ überhaupt veröffentlicht wurde.

 

Cobain war zu jener Zeit fast besessen vom Süsskind-Buch „Das Parfüm“ und natürlich von seinen großen Vorbildern den Pixies. Es war für ihn völlig unverständlich, warum das eher poppige „Nevermind“ derart begehrt war, „Surfer Rosa“ von den Pixies aber eher ein Schattendasein fristete. Dieser Zustand sollte geändert werden und somit holte er sich mit Steve Albini den Mann ins Studio, der diesen Sound mitgeprägt hatte. „In Utero“ klingt dann in soundtechnischer Hinsicht wie ein Klon. Es ist aber das Zusammenspiel aus all seinen Elementen, die „In Utero“ so besonders machen. Das Songwriting, der Sound, der Schmutz, der Dreck und selbst das verstörende Video von „Heart-Shaped Box“ gehören dazu. Und es funktionierte! Das Album verkaufte sich immer noch weit über der zehn Millionen Grenze. Damit hatte keiner gerechnet, aber natürlich wirkte „Nevermind“ immer noch nach.

 

Die Fans liebten „In Utero“ aber heiß und innig. Dieser rohe Sound war selbst für die 90er eine neue Stufe der Musikevolution. Der Gesang wurde von Albini mehr oder weniger überhaupt nicht abgemischt, dafür stand Dave Grohl im Zentrum des Geschehens. Dies alles kanalisierte sich in „Secentless Apprentice“, dem härtesten, aber auch besten Nirvana-Song überhaupt. Auf der zweiten CD gibt es davon noch eine unveröffentlichte Demoversion, die noch beängstigender ist. Wer auch immer behauptet, dass Albini „In Utero“ im Grunde nicht produziert hätte, wird anhand dieses Demos wohl eines Besseren belehrt werden.

 

Das eigentliche Album startet mit dem windschiefen und scheppernden „Serve The Servants“ krachig in dieses Ungetüm. Klingt glatt nach einer Studiosession, aber nicht nach einer Albumeröffnung. Komplettverweigerung der besonderen Art. Das bedrückende „Heart-Shaped Box“ lief damals auf allen Kanälen und ist der Hit der Platte. Einer von der Sorte, der einem Angst macht. „Rape Me“ ist im Grunde nur eine Variation von „Smells Like Teen Spirit“, aber vielleicht hatte Cobain genau das im Sinn. Ein Mittelfinger für die MTV-Generation. „Frances Farmer Will Have Her Revenge On Seattle“ ist sicher nett, aber keiner jener Großtaten des Grunge. Die Nummer lebt aber – wie so vieles hier – von Dave Grohl, der die Felle bearbeitet als wäre die Erde dem Untergang geweiht. Ist sie das nicht auch? Das eher ruhige „Dumb“ ist in seiner Verletzlichkeit immer noch berührend und „Very Ape“ gleicht einem Fußtritt in die Weichteile. „In Utero“ tut eben auch weh. Das aus einer Zwangsjacke entsprungene „Milk It“ ist mit seiner latenten Aggressivität bedrückend und berührend zugleich. Und dann gibt es mit „Pennyroyal Tea“ und besonders „All Apologies“ noch mal ein Aufbäumen und ein Fingerzeig in die Zukunft, jene Zukunft, die nicht mehr stattfinden konnte. Cobain wollte für das nächste Werk ja in eine R.E.M.-Richtung gehen – es sollte nicht mehr dazu kommen. Dazwischen wurden mit „Radio Friendly Unit Shifter“ und „tourett´s“ zwei Feedbackorgien gepackt, die sämtlichen Schmalz aus den Ohren sprengten.

 

„In Utero“ enthält in der Deluxe Edtion noch jede Menge unveröffentlichtes Material. Das eigentliche Werk wurde selbstverständlich rematert und jetzt kann jeder den Selbsttest machen und überprüfen, ob das tatsächlich einen nennenswerten Mehrwert hat. Lauter ja, aber sonst? Dafür gibt es auf der zweiten CD die komplette Platte aber noch mal im 2013 Mix – natürlich von Albini! Hier hört man teilweise doch frappierende Unterschiede. Nicht nur, dass die einzelnen Songs jetzt um ein paar Sekunden gekürzt oder verlängert wurden, auch der Sound ist ein anderer. Hier wurde doch ein bisschen die Politur herausgeholt und auch ein wenig an den Ecken und Kanten geschliffen. „In Utero“ glänzt jetzt und ist nicht mehr so schmutzig. Kann man bemängeln, klar, aber im Gegenzug sind die Gitarren deutlich im Vordergrund zu finden. Ist so verkehrt nicht und lässt einen das Werk noch mal völlig neu erleben.

 

Auf der ersten CD gibt es dann noch die B-Sides und Bonustracks. „Moist Vagina“, „Sappy“ und „I Hate Myself And Want To Die“ liegen ebenfalls im 2013 Mix vor. Gerade „Sappy“ lässt aufhorchen und ist bisher ja nur als Hidden Track eines Samplers bekannt. Insgesamt klingen die Songs allerdings auch reichlich unproduziert und nach Proberaum. Am „Pennyroyal Tea“ Mix von Scott Litt scheiden sich ja sowieso die Geister. Eine nette Variation ist es aber allemal. Und wer noch mal überprüfen möchte, wie sich Steve Albini „Heart-Shaped Box“ und „All Apologies“ 1993 ursprünglich vorstellte, kann dies nun anhand der erstmals veröffentlichten Versionen tun. Braucht man nicht wirklich, gibt auf der anderen Seite auch einen Blick über die Entwicklung der Songs wieder.

 

Selbiges gilt auch für die Instrumentalversionen von „Dumb“, „Very Ape“, „Pennyroyal Tea“, „Radio Friendly Unit Shifter“ und „tourette´s“ der zweiten CD, die ebenfalls bisher nirgends veröffentlicht wurden. So etwas läuft unter der Rubrik nett und ist für Fans natürlich lebenswichtig. Das akustische „Marigold“ will so überhaupt nicht zu „In Utero“ passen und verbreitet eine psychedelische Atmosphäre. Warum wohl? Fragen wir mal bei Herrn Grohl nach. Gänzlich neu sind „Frogotten Song“ vom April 92 und „Jam“ vom November 92. Das ist im Gesamtkontext sicher interessant, könnte aber auch von einer Schülerband aus dem Proberaum stammen. Krist Novoselic bearbeitet immerhin sehr fein seinen Bass. Letztlich sind die unveröffentlichten Songs eben jene Raritäten und obskure Material, wie es sich für so eine Geburtstagsausgabe gehört – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger!

 

Fazit: Mit „In Utero“ in der 20th Anniversary Ausgabe liegt nun das endgültige Vermächtnis der bedeutendsten Band der 90er vor. Dieses Monster wurde remastert, neu gemixt und mit allerlei Bonusmaterial und unveröffentlichtem Material angereichert. Mehr geht nicht? Doch, denn der Super Deluxe Box liegt nun endlich auch noch „Live And Loud“ bei, jenes legendäre Konzert vom Dezember 93. Selbiges gibt es allerdings auch als Einzel-DVD zu kaufen. Ebenfalls ein Pflichtkauf, wie auch die Deluxe Edition von „In Utero“. Eine Dampfwalze wie sie besser nicht sein könnte!

 

http://www.nirvana.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Nirvana: Nevermind (20th Anniversary Deluxe Edition)

Nirvana: Nevermind (20th Anniversary Deluxe Edition)

Universal

VÖ: 23.09.2011

 

Wertung: 12/12

Tipp!

 

Das muss man sich mal vorstellen, es gibt tatsächlich erwachsene Menschen, für die hat nie eine Welt ohne „Nevermind“ existiert. Es dürfte sogar schon Familienmütter – und -väter geben, für die es völlig normal ist, dass man einfach so in den Laden gehen und dieses musikalisches Monument käuflich erwerben kann. Wie doch die Zeit vergeht, denn das war nicht immer so! Es gab tatsächlich mal eine Zeit ohne Nirvana! Kaum zu glauben, aber diese Platte feiert nun bereits den zwanzigsten Geburtstag. Über 30 Millionen Käufer später ist viel passiert. Das Musikgeschäft wartet nun erneut auf eine neue Offenbarung. Weit und breit ist diese nicht in Sicht. Den Strokes gelang mit „Is This It“ zumindest in wesentlich kleinerem Rahmen ein ähnliches Kunststück. Man hat das Gefühl, dass der Musikzirkus sich seit diesen Tagen wie ein schwerer Tanker durch die stürmische See manövriert. Rettung ist aber weit und breit nicht in Sicht. Es braucht mal wieder eine Revolution. Anlässe dafür würde es genug geben.

 

„Nevermind“ wird gemeinhin ja die Rettung der Rockmusik nachgesagt. Dieses Album hat zumindest einiges auf den Weg gebracht und ist mit Sicherheit dafür (mit) verantwortlich, dass mit sämtlichen Konventionen gebrochen wurde und plötzlich alles möglich schien. Die erste Hälfte der 90er war plötzlich so vielfältig wie noch nie im Musikgeschäft. Ob sie nun wollten oder nicht, Nirvana haben mit „Nevermind“ den Stein ins Rollen gebracht. Plötzlich war alles möglich und jede Woche wurde mindestens ein Album des Jahres herausgebracht. Alternativ- und Independentmusik war plötzlich der neue Mainstream und das Musikfernsehen stand voll im Saft. Was noch vor wenigen Jahren unmöglich schien, war plötzlich etabliert: die schrägste, härteste, ja wahnwitzigste Musik lief plötzlich zur besten Sendezeit – egal ob im Radio oder Fernsehen.

 

Die tragische Geschichte von Nirvana ist bekannt, auch hierfür wird „Nevermind“ zum Teil verantwortlich gemacht. Kurt Cobain wollte gar nicht in diese Rolle gedrängt werden, in die er sich nach dieser Platte nun einmal befand. Gar einer neuer Musikstil wurde dafür von findigen Journalisten erfunden. Grunge war das Zauberwort der Stunde. Seattle war der Nabel der Welt und plötzlich wurden die vier großen Bands, die stilistisch teilweise aber ganz krass in gegensätzlichen Ecken zu finden waren, alle in einen Topf geschmissen: Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden, Alice In Chains.

 

Und dann hat natürlich (fast) jeder, der irgendwann in den 70ern das Licht der Welt erblickte, seine ganz persönliche „Nevermind-“Geschichte zu erzählen. Wie bereits erwähnt, heute ist es normal, dass diese Platte existiert, aber damals traf selbige einen wie ein Schlag in die Magengegend. Natürlich gibt es auch heute wieder welche, die das alles vorausgeahnt haben, aber lasst euch nichts erzählen, „Nevermind“ ist über alle völlig unvorbereitet hinweg gerollt. Man verbrachte ganze Abende damit sich dieses Album immer und immer wieder anzuhören und zu diskutieren. Die Jugend fühlte sich verstanden und hatte plötzlich eine Art Katalysator und Sprachrohr gefunden. Es war eine verrückte Zeit und die Zeit des musikalischen Aufbruchs. Nach „Nevermind“ war nichts mehr wie vorher!

 

Nörgler? Die gab es auch, sogar aus dem Bandumfeld oder direkt innerhalb der Band. Zu poppig sei die Platte. Der ganze Dreck und Rotz der Straße wäre nicht mehr zu finden. Die Übersingle „Smells Like Teen Spirit“ wäre ja gar kein Rock, kein Punk, kein Grunge – einfach zu viel Pop. Nein, das hatte man nicht gewollt. Und plötzlich war der Schuldige gefunden: Produzent Butch Vig. Geschenkt, dies alles ändert an der Größe dieser Platte nichts. An ihrer Bedeutung sowieso nicht!

 

Jetzt wird dieses wichtige Ereignis gebührend gefeiert und man kann dieses Album in allen nur erdenklichen Formaten nach Hause tragen. Hätte dies Kurt Cobain gewollt? Man kann nur über das NEIN spekulieren!

 

Über das Album selber ist eigentlich alles gesagt, was es zu sagen gibt. „Smells Like Teen Spirit“, „In Bloom“ „Come As You Are“ und das zerrissene „Polly“ werden auf ewig in Stein gemeißelte Monumente der Rockmusik bleiben. „Breed“ ist immer noch ein Schlag mitten in die Fresse und „Territorial Pissings“ pflügt alles nieder, was sich dem Song in den Weg stellt. Was für damals auch noch recht ungewöhnlich war, ist die Hidden Track Geschichte! Die 20th Anniversary Edition kommt selbstverständlich nun remastert um die Ecke. Keine Sorge, jetzt wird nicht an dem Thron von „Nevermind“ gerüttelt. Der Sound ist aber nun diesem Werk angemessen und der Bass kommt viel klarer und druckvoller daher. Es wurden nicht nur die Regler nach oben geschoben. Die Super Deluxe Variante hält übrigens noch den finalen Devonshire Mix von „Nevermind“ bereit. Dies ist angeblich das Album in seiner Ursprungsversion, wie es von Vig produziert und abgemischt wurde, im Gegensatz zu der finalen, kommerziellen Version, die Vig produziert und Andy Wallace gemixt hatte. Es wurde also an alle gedacht.

 

Dem Original-Album wurden nun noch die B-Seiten angehangen. Wer selbige noch nicht im Schrank stehen hat, wird staunen, wie ungekünstelt die Band zu dieser Zeit auch geklungen hat. Die zweite CD befasst sich dann mit „The Smart Studio Sessions“, „The Boombox Rehearsals“ und den „BBC Sessions“. Gerade die Rehearsals sind klanglich natürlich keine Offenbarung. Das klingt wie in der Mülltonne von Oscar aufgenommen. Darum geht es aber nicht. Das ist ja teilweise komplett unveröffentlichtes Material und hier kann man auf wunderbare Art und Weise nachvollziehen, wie sich die Tracks entwickelt haben. Man hat teilweise das Gefühl, dass man bei der Entstehung von „Smells Like Teen Spirit“, „Come As You Are“ „Something In The Way“ oder „On A Plain“ dabei ist. Erstmalig sind nun auch die Demos zu „In Bloom“, „Breed“, „Lithium“, „Dive“ und „Sappy“ zu hören, die in den Smart Studios von Butch Vig aufgenommen wurden. Erstaunlich, wie weit entwickelt die Nummern schon waren. Selbstverständlich klingen sie in diesem Stadium noch wesentlich roher. „Drain You“ und „Something In The Way“ der BBC Sessions runden das Paket mit weiterem unveröffentlichten Material ab.

 

Fazit: Die 20th Anniversary Ausgabe von „Nevermind“ lässt einen das Album noch mal ganz neu erleben und entdecken. Man durchläuft als Hörer noch mal die verschiedenen Entwicklungsstufen des wichtigsten Album der Rockmusik der letzten zwanzig Jahre. Die vielen unveröffentlichten Demos werfen einen ganz neuen Blickwinkel auf diese Platte. Und ja, „Nevermind“ wurde remastert und ja, dies hat dem Album hörbar gut getan, auch wenn jetzt einige wieder meckern werden, dass dieses Werk seinem eigentlichen Charakter beraubt wurde. Das ist schlicht und ergreifend falsch! Ob Kurt Cobain das alles befürworten würde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Alle Beteiligten dürfen aber stolz auf „Nevermind“ sein. Danke Kurt Cobain! Danke Dave Grohl! Danke Krist Novoselic! Es wird Zeit für eine neue Revolution im Musikgeschäft - „Nevermind“!

 

http://www.nirvana.de/

 

Text: Torsten Schlimbach

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