Lissie: Carving Canyons

Lissie: Carving Canyons

Lionboy Records/ The Orchard

VÖ: 16.09.2022

 

Wertung: 10/12

Tipp!

 

Lissie schreibt nur Songs, wenn sie etwas zu sagen hat und die Songs aus ihr herauswollen. Sie selber sagt, dass sie sich nicht hinsetzt und krampfhaft versucht ein Album zu starten. Auf ihrem fünften Album „Carving Canyons“ hat sie nun eine ganze Menge zu erzählen. Die Texte sind persönlich wie selten, aber auch die Musik ist inspirierend. Lissie hat die Einsamkeit und den Herzschmerz vertont. Klar, das sind klassische Song-Themen, aber trotzdem hat die Dame eine ganze Menge kundzutun. Covid-19, die damit verbundene Isolation und eine Trennung können einen schon mal in ein schwarzes Loch stürzen. Lissie fand in der Natur eine Art Seelentröster. Die Geschichte dazu liefert nun „Carving Canyons“.

 

Lissie brach nach Nashville auf und schrieb einen Großteil der Songs zusammen mit vorwiegend weiblichen Songwritern - darunter Bre Kennedy, Madi Diaz, Morgan Nagler, Natalie Hemby, Kate York und Sarah Buxton -, die auch zusätzliche Vocals auf dem Album beisteuern. Ende 2020 ging sie mit Produzent Curt Schneider ins Studio. Die Arbeiten sollten sich ein ganzes Jahr hinziehen. Zeit war ja auch genug vorhanden, denn die Musikindustrie stand ja bekanntlich auch ein großes Stück still.

 

„Unravel“ beginnt mit dezentem Fingerpicking und der Stimme von Lissie. Mehr denn je klingt diese nach Stevie Nicks. Das über alle Maßen melancholische „Sad“ könnte man sich auch von Frau Nicks vorstellen. Die handgemachte Musik hat dabei immer einen Americana-, aber auch Popeinschlag. Es ist ein tolles Stück. In einer besseren Welt würde die Nummer im Radio hoch- und runtergespielt. „Chasing The Sun“ bringt in direktem Anschluss wieder die Hoffnung zurück. Inspiriert würde der Song und Text von den frühen Sonnenuntergängen im Winter in Iowa. „Lonesome Wine“ ist ein toller, reduzierter Song. Lissie singt über die Beziehung zu einer Flasche Wein, die sie öffnete, wenn sie alleine mit ihren Problemen war – bis sie erkannte, dass dies nicht die Lösung der Probleme war. Diese Traurigkeit, die den Song durchzieht und diese tolle Melodie begeistern.

 

„Night Moves“ erinnert in der Ausstaffierung und Instrumentierung endgültig an einen Fleetwood Mac-Song, den Stevie Nicks singt. Diese stimmliche Nähe ist schon beeindruckend. Die schönsten Blüten kommen bekanntlich aus der Scheiße, sagt Lissie, und so erklärt sich dann auch „Flowers“. „Carving Canyons“ mit dem gedoppelten Gesang überzeugt ebenso wie das ruhige instrumentierte „I Hate This“. Diese ausdrucksstarke Stimme trägt den Song fast alleine. Zum Schluss öffnet er sich aber noch der vollen Instrumentierung. Eine kleine Hymne mit Gänsehautgarantie. Tolle Gitarre!

 

„Unlock The Chains“ bringt musikalisch noch ein bisschen Tom Petty-Flair unter. „Hearts On Fire“ ist netter Pop, fällt gegenüber dem Rest aber auch etwas ab. Mit „Yellow Roses“ gibt es noch ein bisschen Lagerfeuerromantik. Die Nummer schleppt sich wie ein langsamer Walzer dahin. Mit einer sehnsuchtsvollen Trompete klingt das Album mit „Midnight“ aus.

 

Fazit: Wer auf neue Musik von Stevie Nicks wartet, sollte dieses Jahr unbedingt Lissie auf dem Zettel haben. Dies ist übrigens ausdrücklich als Kompliment zu verstehen! Trauer, Trennung, Aufstehen und Hoffnung sind die Themen dazu. Musikalisch ist das zwischen Lagerfeuerfolk, Americana und Pop angesiedelt. Tolle Melodien und Refrains bereichern das Klangbild. „Carving Canyons“ ist ein wirklich schönes Album!

 

https://lissie.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Lissie: Watch Over Me (Early Works 2002-2009)

Lissie: Watch Over Me (Early Works 2002-2009)

Cooking  Vinyl

VÖ: 10.09.2021

 

Wertung: 7/12

 

Lissie lüftet mal ordentlich durch und hat in ihren Archiven aufgeräumt. Was man halt so während einer Pandemie macht, wenn man nicht auf Tour gehen kann. Sie hat dabei vergessene Songs oder Versionen entdeckt, die sie zu der Künstlerin gemacht haben, die sie heute ist, und die ihr den Weg geebnet haben. Nachdem sie „Catching A Tiger“ schon mit einer neuerlichen Veröffentlichung gefeiert hat, schiebt sie nun, nicht mal einen Monat später „Watch Over Me (Early Works 2002-2009)“ nach. Neun Songs sind hier zu finden, die Lissie noch von ihrer rohen, ungefilterten Seite zeigen.

 

Geschrieben wurden die Songs bevor sie von einem Major unter Vertrag genommen wurde. Der Namensgeber dieser Zusammenstellung – „Watch Over Me“ – ist ein nicht mal zweiminütiges Folkstück, welches sich anhört, als hätte Lissie die Nummer in ihrer Küche aufgenommen. So ungefiltert strahlt das einen ganz besonderen Charme aus. Mit „Hey Boy“ gibt es im Anschluss einen bissigen Americana-Folk-Rocker zu hören. Sexismus und Frauenfeindlichkeit, die Lissie erleben musste, als sie als junge Künstlerin versucht hat im Musikgeschäft ein Bein in die Tür zu kriegen, werden hier thematisiert.

 

„On My Chest“ ist ein melancholischer, gar verträumter Song, der allerdings auch eine gewisse Schwere ausstrahlt. „No Sense At All“ ist derart gut ausgearbeitet, dass dem Song echte Hitqualitäten attestiert werden müssen. „All Be Okay“ ist nett, es fehlt aber das Besondere. „Call Out The Beast“ hat aufgrund der dunklen Atmosphäre und der sich dahinschleppenden Instrumentierung genau das zu bieten. „It´s The Alcohol“ könnte auch ein Demo sein. „Wishing On A Star“ plätschert etwas dahin, dafür erwischt einen Lissie mit „Simple Woman“ zum Schluss noch mal vollends. Nur ihre Stimme und Akustikgitarre – mehr braucht es auch nicht!

 

Fazit: „Watch Over Me“ bietet einen Einblick in die frühen Arbeiten und Songs von Lissie. Ihr Talent als Songschreiberin, Musikerin und nicht zuletzt als Sängerin, sind schon sehr deutlich zu erkennen. Manches ist noch nicht bis zum letzten ausgereift, punktet dafür aber mit unglaublich viel Charme.

 

 https://lissie.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

Lissie: Catching A Tiger (10th Anniversary Edition)

Lissie: Catching A Tiger (10th Anniversary Edition)

Lionboy Records/Membran

VÖ: 20.08.2021

 

Wertung: 9/12

 

Mittlerweile gibt es von vielen – mehr oder weniger – bahnbrechenden Alben die eine oder andere Anniversary Edition. Mit dieser Veröffentlichungspolitik lässt sich der geneigte Fan ja auch mehrfach abschröpfen. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass da so manche schöne Geschichte bei rumgekommen ist. Bei der Haptik wird sich da meist sehr viel Mühe gegeben und auch der zusätzliche Inhalt ist nicht nur Kaufanreiz, sondern auch meist eine mehr als nette Zugabe. Nach zehn Jahren ist es aber schon zweifelhaft ob man ein Album als Anniversary Edition veröffentlichen muss. Genau dies geschieht nun mit „Catching A Tiger“ von Lissie.

 

Das Album hat die Musikwelt vor zehn Jahren nicht gerade erschüttert und so bahnbrechend war es jetzt auch nicht, dass man im Jahr 2021 noch davon spricht. Lissie selber ist auch nicht unbedingt in die Riege der Superstars aufgestiegen. Die neuerliche Veröffentlichung schenkt sich Lissie in erster Linie selbst, denn damals trotzte sie allen Widrigkeiten und versuchte Fuß in dem Haifischbecken Musikgeschäft zu fassen. Sie hat dabei ihre eigene Nische gefunden. „Catching A Tiger“ ist übrigens ein ziemlich gutes Album, welches eigentlich von einem viel größeren Publikum entdeckt hätte werden sollen! Jetzt gibt es ja erneut die Möglichkeit dazu. Fünf Bonustracks sind als Schmankerl obendrauf gepackt worden.

 

Das Album startet ungemein stark. Handgemachte Popmusik, mit einem unglaublich guten Gespür für Melodien. Die Kompositionen sind zu Beginn extrem stark. „Record Collector“ hat zudem einen tollen Songaufbau zu bieten. Lissie singt das ganz famos und ihre Stimme versteht es, den Hörer zu berühren. „Hey Boy“ wird sehr eindringlich vorgetragen. „When I´m Alone“ ist die Ballade ohne Zucker, dafür mit einer großen Portion Melancholie – und Schmackes im Popo. „In Sleep“ ist eine Art modernes Americana-Stück. Mit der Klavierballade „Bully“ wird der ruhige Teil des Albums eingeläutet. Dazu gehört auch „All Be Okay“, eine Nummer, die sich nett und schunkelig entfaltet. „Little Lovin“ haut anschließend endlich wieder auf den Putz. Der Song selber klingt wie eine Schamanenbeschwörung. Fluffig kommt „Stranger“ aus den Boxen. „It´s The Alcohol“ wurde sehr gefühlvoll umgesetzt und arrangiert. „Loosen The Knot“ und „Cuckoo“ sprudeln über vor Talent. Lissie müsste eigentlich die neue Joni Mitchell sein. Eigentlich. Die Klavierballade „Oh Mississippi“ kann ein Lied davon singen.

 

„Just Because I Can“ ist ein sehr trauriges Lied. Gut, dass der Song nun auf diesem Album einen Platz gefunden hat. „A Bird Could Love A Fish“ kriegt durch die Klarheit des Gesangs eine feine Note. „It´s Not Me“ hätte es aber nicht unbedingt gebraucht, aber nun gut. „This Much I Know“ ist nun der kitschige Abschluss. Vielleicht muss ein solches Album aber auch genau so enden!

 

Fazit: „Catching A Tiger“ mag vor zehn Jahren die Welt nicht auf den Kopf gestellt haben, aber wer die Songs damals gehört hat, wird dies auch heute noch gerne tun. Ob es nun zum zehnten Geburtstag eine neuerliche Veröffentlichung gebraucht hätte, sei mal dahingestellt. Fakt ist, dass es ein gutes Album ist, welches kompositorisch, musikalisch, handwerklich und gesanglich voll und ganz überzeugen kann. Jetzt mit noch mehr Material!

 

https://lissie.com/

 

Text: Torsten Schlimbach

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