Björk: Biophilia

Björk: Biophilia

Universal

VÖ: 07.10.2011

 

Wertung: 7/12

 

Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar! Hurra, die kauzige Tante Björk ist wieder da! Es wäre ja auch viel zu einfach ein simples Album auf den Markt zu bringen. Nicht mit der kreativen Isländerin! Nein, diesmal hat sie sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Vielleicht ist sie sogar die einzige Person auf diesem Planeten, die das alles komplett erfassen kann – sofern sie überhaupt eine Erdenbewohnerin ist. Vielleicht besucht sie uns auch aus einer fernen Galaxie um uns, also die Menschen, zu erleuchten. Bei Björk ist einfach alles denkbar, eben nur nicht das Normale.

 

Das gilt sicher auch für ihr siebtes Studioalbum. Das ganze Konzept, welches dahinter steckt, ist komplex und anspruchsvoll. Mit „Biophilia“ legt sie in dieser Hinsicht ihr bisheriges Meisterstück ab. Das multimediale Mammutwerk besteht eben nicht nur aus zehn Songs, sondern damit korrespondieren zehn iPod/iPad-Apps. Inspiriert wurde sie von Oliver Sachs´ „Musicophilia“. Apps sind die eine Geschichte, aber dann gibt es noch Workshops, eine dreijährige Welttournee, Videos, eine Website und und und. Heute ist alles digital und vernetzt und keine weiß dies besser für sich zu nutzen wie eben Björk. Sie schafft in dieser Hinsicht mit „Biophilia“ das erste allumfassende Meisterwerk! Hier werden ganz neue Standards gesetzt und vielleicht reißt sie mit diesem Projekt sogar die Tür für eine ganze neue Musikwelt auf.

 

Björk schafft sich ihr ganz eigenes Universum. Jeder Planet ist ein Song und jeder Song eine App. „Biophilia“ soll die Liebe zur Natur vertonen. Wissenschaftliches, Naturphänomene und musikwissenschaftliche Erkenntnisse werden miteinander verwoben. Die Isländerin spricht den Kopf ebenso an, wie auch die Gefühlswelten. Man könnte jetzt Seiten mit weiteren Erklärungen und Abhandlungen füllen, aber was ist denn mit dem eigentlichen Kerngeschäft? Was ist mit der Musik? Konnte man überhaupt jemals bei Björk von Musik sprechen? Zu Beginn sicher, aber nach und nach drang sie in Sphären und Klangwelten vor, die damit oftmals nur noch etwas am Rande zu tun hatten. Wenn es eines Tages mal einen Künstler gibt, der nur noch die austretenden Geräusche seiner Körperöffnungen vertonen würde, dann könnte man sich in dieser Rolle auch Björk als Vorreiterin vorstellen.

 

Das Album ist im Grunde unhörbar und doch ist es eine typische Björk-Platte und somit sogar wenig überraschend. Schon die ersten Töne von „Moon“ lassen zweifelsfrei die Urheberin erkennen und dabei hat Björk zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar keine Laute ihrem Mund entweichen lassen. Das ist Avantgarde und mit einem so schweren Brocken wie „Dark Matter“ bewegt selbst sie sich am Rande ihres eigenen Kosmos. Auch mit „Hollow“ führt sie sämtliche Strukturen der Popmusik ad absurdum.

 

Das ist aber nur die eine Seite, denn mit dem wunderschönen „Virus“ ist sie wieder nahe dran an der kleinen Popelfe. Natürlich ist das nichts für den Mainstreamhörer, denn für selbigen dürfte das immer noch viel zu verstörend sein. Wenn bei „Sacrifice“ die Beats und Synthies plötzlich ausbrechen, wird man auch als Zuhörer aus seiner Lethargie geholt. Spätestens der von Björk so liebgewonnene Chor säuselt einen wieder ein. „Crystalline“ ist vielleicht der zugänglichste Track der Platte und das will schon was heißen, denn selbstverständlich folgt sie auch hier keinen gängigen Strukturen. Ihre Stimme variiert sie mittlerweile nicht mehr ganz so oft und so hat man beispielsweise bei „Mutal Core“ das Gefühl, dass man das alles schon mal gehört hat. Auch, wenn „Biophilia“ eine kaum zu knackende Nuss ist, hört man den unverkennbaren Björk-Style doch heraus.

 

Fazit: Björk hat mit „Biophilia“ ein Projekt auf die Beine gestellt, welches die Popmusik wohl nachhaltig verändern soll. Wird es aber nicht, denn dafür werden viel zu wenig Leute selbigem folgen wollen. Trotz der kompletten Vernetzung ist das schier nicht zu verdauende Kost. Die Musik sollte nämlich bei diesen ganzen Nebenkriegsschauplätzen nicht aus den Augen verloren werden und die ist nicht nur Avantgarde, sondern stemmt sich komplett gegen alles was gängigen Popstrukturen entspricht. Björk hat mit „Biophilia“ ihren ganz eigenen Klangkosmos aus dem Boden gestampft und entlarvt sie schließlich dann doch wieder als die kauzige, verkopfte Björk. Es darf auch gerne mal wieder mehr Song sein und weniger komplexe Klänge! Es muss ja nicht gleich Standardpop sein. Es gibt nämlich genug Momente auf diesem Album, die zeigen, zu was die Dame eigentlich im Stande wäre – wenn nur nicht immer dieser verdammte Kunstanspruch wäre!

 

http://www.bjoerkmusic.de/

 

Text: Torsten Schlimbach

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